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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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ihm dies gelungen ist; Herr Pfarrer Schöpff in Geringswalde macht die
interessante Mittheilung, daß er 1847 auf der Kreuzschule in Dresden vale-
dicirte mit einem deutschen Gedichte: "Der Prophet von Ferrara"; Herr
Alexander Hauschild, königlich sächsischer Oberkriegsgerichtssecretär, erzählt uns
in seiner netto zwei Zeilen langen Selbstbiographie, daß er "die Universität
Leipzig mit der Censur omnino et prae eetsris äignus verließ"; Herr
Dr. Oskar Paul, Professor extraorä, an der Universität Leipzig für Theorie und
Geschichte der Musik, theilt uns wörtlich mit: "Nun ging er nach Cöln, trat
dort mehrfach in Concerten auf, entdeckte einen Codex, die 5 Bücher des
Philosophen Boötius über Musik, und die Schriften des Mönchs Huebald".
Könnte denn, fragt man da unwillkürlich, die gelehrte Welt diesen Herrn
nicht veranlassen, daß er öfter einmal eine Concertreise unternähme, wenn
er dabei so ganz gelegentlich Codices "entdeckt"? Herr Dr. Müller (von der
Werra) erzählt, daß ihn 1872 die deutsche Kaiserin durch eigenhändiges
Schreiben und das Geschenk einer goldnen Tasse, und seine Baterstadt (Ummer-
städt) durch Verleihung des Ehrenbürgerdiploms ausgezeichnet habe. Gustav
Nieritz, der bekannte Kilt derschriftenfabrikant, überrascht uns nachträglich
durch das offene Bekenntniß: "Die Noth brachte ihn dazu, Schriftsteller zu
werden". Und diese Notherzeugnisse hat man Jahrzehnte lang für Poesie
ausgegeben und unsrer Kinderwelt als poetische Nahrung vorgesetzt!

Mit Lobeserhebungen über einzelne Autoren ist das "Sächsische
Schriftstellerlexikon" in seinen Biographieen sehr sparsam. Nur wenige Aus¬
erwählte haben das Glück, daß mit einigen Worten auf ihre Verdienste auf¬
merksam gemacht wird. In solchen Fällen stammt das Lob aber dann auch
aus der besten Quelle: die Herren Verfasser haben es sich ja selbst gespendet!
Herr Oskar Klemich z. B, Direktor der Handelsakademie zu Dresden, schließt
seine kleine autobiographische Skizze mit der verschämten Bemerkung: "seine
schriftstellerische Thätigkeit zeugt von seinem Fleiß". Nun, seines Fleißes darf
sich jeder rühmen, sagt Lessing. Herr Simon, Advokat und Dichter in Leipzig,
versteigt sich aber schon etwas weiter; er bemerkt: "Seine Gedichte fanden
an hoher Stelle verdiente (!) Anerkennung, sowie Longfellow und Eliza
Cook dieselben günstig beurtheilten". Noch ungenirter aber geht ein Leipziger
Universitätsprofessor und Rector kmeritns eines Leipziger Gymnasiums zu
Werke; dieser erzählt: "Von Jugend auf der Poesie zugeneigt und bei seinen
ersten Versuchen darin durch seine Lehrer ermuntert, hat er eine sehr große
Anzahl lateinischer, griechischer und deutscher Gedichte durch den Druck ver¬
öffentlicht, durch jedes derselben aber das prophetische Wort eines seiner Lehrer
bewahrheitet, welches derselbe bei einer seiner poetischen Productionen sprach:


1u pvtLg exiiliivs, Aobbi, eomponsi'v vorsus,
NaZnus Apollo tibi ni"t sua. äcma, diu l"

ihm dies gelungen ist; Herr Pfarrer Schöpff in Geringswalde macht die
interessante Mittheilung, daß er 1847 auf der Kreuzschule in Dresden vale-
dicirte mit einem deutschen Gedichte: „Der Prophet von Ferrara"; Herr
Alexander Hauschild, königlich sächsischer Oberkriegsgerichtssecretär, erzählt uns
in seiner netto zwei Zeilen langen Selbstbiographie, daß er „die Universität
Leipzig mit der Censur omnino et prae eetsris äignus verließ"; Herr
Dr. Oskar Paul, Professor extraorä, an der Universität Leipzig für Theorie und
Geschichte der Musik, theilt uns wörtlich mit: „Nun ging er nach Cöln, trat
dort mehrfach in Concerten auf, entdeckte einen Codex, die 5 Bücher des
Philosophen Boötius über Musik, und die Schriften des Mönchs Huebald".
Könnte denn, fragt man da unwillkürlich, die gelehrte Welt diesen Herrn
nicht veranlassen, daß er öfter einmal eine Concertreise unternähme, wenn
er dabei so ganz gelegentlich Codices „entdeckt"? Herr Dr. Müller (von der
Werra) erzählt, daß ihn 1872 die deutsche Kaiserin durch eigenhändiges
Schreiben und das Geschenk einer goldnen Tasse, und seine Baterstadt (Ummer-
städt) durch Verleihung des Ehrenbürgerdiploms ausgezeichnet habe. Gustav
Nieritz, der bekannte Kilt derschriftenfabrikant, überrascht uns nachträglich
durch das offene Bekenntniß: „Die Noth brachte ihn dazu, Schriftsteller zu
werden". Und diese Notherzeugnisse hat man Jahrzehnte lang für Poesie
ausgegeben und unsrer Kinderwelt als poetische Nahrung vorgesetzt!

Mit Lobeserhebungen über einzelne Autoren ist das „Sächsische
Schriftstellerlexikon" in seinen Biographieen sehr sparsam. Nur wenige Aus¬
erwählte haben das Glück, daß mit einigen Worten auf ihre Verdienste auf¬
merksam gemacht wird. In solchen Fällen stammt das Lob aber dann auch
aus der besten Quelle: die Herren Verfasser haben es sich ja selbst gespendet!
Herr Oskar Klemich z. B, Direktor der Handelsakademie zu Dresden, schließt
seine kleine autobiographische Skizze mit der verschämten Bemerkung: „seine
schriftstellerische Thätigkeit zeugt von seinem Fleiß". Nun, seines Fleißes darf
sich jeder rühmen, sagt Lessing. Herr Simon, Advokat und Dichter in Leipzig,
versteigt sich aber schon etwas weiter; er bemerkt: „Seine Gedichte fanden
an hoher Stelle verdiente (!) Anerkennung, sowie Longfellow und Eliza
Cook dieselben günstig beurtheilten". Noch ungenirter aber geht ein Leipziger
Universitätsprofessor und Rector kmeritns eines Leipziger Gymnasiums zu
Werke; dieser erzählt: „Von Jugend auf der Poesie zugeneigt und bei seinen
ersten Versuchen darin durch seine Lehrer ermuntert, hat er eine sehr große
Anzahl lateinischer, griechischer und deutscher Gedichte durch den Druck ver¬
öffentlicht, durch jedes derselben aber das prophetische Wort eines seiner Lehrer
bewahrheitet, welches derselbe bei einer seiner poetischen Productionen sprach:


1u pvtLg exiiliivs, Aobbi, eomponsi'v vorsus,
NaZnus Apollo tibi ni«t sua. äcma, diu l"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/139>, abgerufen am 28.06.2024.