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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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Sieht man näher zu, was dieser äußerst fruchtbare "Schriftsteller" geleistet
hat, so find es in vielen Fällen eben nichts, als lauter einzelne Predigten,
Stück für Stück im Umfange von 8--16 Octavseiten und im Preise von
20 --SO Pfennigen. Andere führen eine Unmasse kleiner Zeitungsartikel an,
indem sie jeden einzeln mit genauer Angabe der Zeitschrift und der betreffen¬
den Nummer nennen, in der er sich abgedruckt findet. Und in diesem Punkte
stehen die übrigen "Schriftsteller" mit den geistlichen Herren auf gleicher Linie;
der gelehrteste wie der ungelehrteste, der vornehme Universitätsprofessor wie
der harmlose Dorfschulmeister -- eitel sind sie alle mit einander. Gleichviel,
ob der Artikel "über die Krümmung eines torsionslosen Raumes von n
Dimensionen" oder "über die römischen Männernamen auf g." oder "über die
Farnflora der Cooksinseln" handelt, es wird uns nichts erlassen, alles wird
haarklein aufgezählt. Die wenigsten haben die Selbstüberwindung gehabt,
nachdem sie ihre umfangreicheren und allenfalls nennenswerthen Schriften
aufgeführt, dann kurz und bündig hinzuzufügen: "Außerdem verschiedene
Artikel in den und jenen Zeitschriften". Wie weit der Eifer und die Ge¬
wissenhaftigkeit bisweilen geht, dafür nur ein Beispiel. Der Kirchen- und
Knabenschullehrer Noack zu Arnsseld bei Annaberg hat "Beiträge zur
Pädagogik" geliefert. Das ist vielleicht an sich nichts Ueberflüssiges. Leider
sind es aber nun im Laufe der Zeit neun Hefte geworden, und von sämmt¬
lichen neun Heften giebt uns der Herr Verfasser genau den Inhalt an --
das ist doch entschieden des Guten zu viel! Derselbe wackre Mann hat natür¬
lich auch, wie die meisten seiner Collegen, einen "Liederkranz" herausgegeben.
Auch das wird ihm niemand verargen. Es ist nun einmal das Privileg des
deutschen Schulmeisters, daß er an seiner Schule auch nach seinem Buche
unterrichtet, und dieses Buch ist natürlich stets "das beste". Aber wenn uns
der Herr Verfasser nun auch vorerzählt, wie viel Canons, Terzetten, Volks¬
lieder, kirchliche Figuralgesänge in jedem einzelnen Hefte seines Liederkranzes
stehen, so möchte man doch in aller Freundlichkeit die Frage an ihm richten:
"Ist dir nie der Verdacht gekommen, daß das am Ende schade um's Pa¬
pier ist?"

Wie man aber von jedem Dinge desto größeren Genuß hat, je gründ¬
licher man sich mit ihm beschäftigt, so ist es auch mit unserem "Sächsischen
Schriftstellerlexikon". Verweilen wir darum zunächst noch ein wenig bei dem,
was der Einzelne beigesteuert hat; es lohnt wahrlich der Mühe. Da gewahren
wir denn zunächst auf der einen Seite die erstaunlichste Vielseitigkeit. Muß es
nicht z. B. unsre höchste Bewunderung erregen, wenn ein und derselbe Leip¬
ziger Universitätslehrer im Stande ist, folgende Schriften zu leisten: 1. "Frei¬
herr von Liebig als unberechtigt zu entscheidenden Urtheil über Praxis und
Unterrichtswesen in der Landwirthschaft" -- 2. "Neue Deutung der beiden


Sieht man näher zu, was dieser äußerst fruchtbare „Schriftsteller" geleistet
hat, so find es in vielen Fällen eben nichts, als lauter einzelne Predigten,
Stück für Stück im Umfange von 8—16 Octavseiten und im Preise von
20 —SO Pfennigen. Andere führen eine Unmasse kleiner Zeitungsartikel an,
indem sie jeden einzeln mit genauer Angabe der Zeitschrift und der betreffen¬
den Nummer nennen, in der er sich abgedruckt findet. Und in diesem Punkte
stehen die übrigen „Schriftsteller" mit den geistlichen Herren auf gleicher Linie;
der gelehrteste wie der ungelehrteste, der vornehme Universitätsprofessor wie
der harmlose Dorfschulmeister — eitel sind sie alle mit einander. Gleichviel,
ob der Artikel „über die Krümmung eines torsionslosen Raumes von n
Dimensionen" oder „über die römischen Männernamen auf g." oder „über die
Farnflora der Cooksinseln" handelt, es wird uns nichts erlassen, alles wird
haarklein aufgezählt. Die wenigsten haben die Selbstüberwindung gehabt,
nachdem sie ihre umfangreicheren und allenfalls nennenswerthen Schriften
aufgeführt, dann kurz und bündig hinzuzufügen: „Außerdem verschiedene
Artikel in den und jenen Zeitschriften". Wie weit der Eifer und die Ge¬
wissenhaftigkeit bisweilen geht, dafür nur ein Beispiel. Der Kirchen- und
Knabenschullehrer Noack zu Arnsseld bei Annaberg hat „Beiträge zur
Pädagogik" geliefert. Das ist vielleicht an sich nichts Ueberflüssiges. Leider
sind es aber nun im Laufe der Zeit neun Hefte geworden, und von sämmt¬
lichen neun Heften giebt uns der Herr Verfasser genau den Inhalt an —
das ist doch entschieden des Guten zu viel! Derselbe wackre Mann hat natür¬
lich auch, wie die meisten seiner Collegen, einen „Liederkranz" herausgegeben.
Auch das wird ihm niemand verargen. Es ist nun einmal das Privileg des
deutschen Schulmeisters, daß er an seiner Schule auch nach seinem Buche
unterrichtet, und dieses Buch ist natürlich stets „das beste". Aber wenn uns
der Herr Verfasser nun auch vorerzählt, wie viel Canons, Terzetten, Volks¬
lieder, kirchliche Figuralgesänge in jedem einzelnen Hefte seines Liederkranzes
stehen, so möchte man doch in aller Freundlichkeit die Frage an ihm richten:
„Ist dir nie der Verdacht gekommen, daß das am Ende schade um's Pa¬
pier ist?"

Wie man aber von jedem Dinge desto größeren Genuß hat, je gründ¬
licher man sich mit ihm beschäftigt, so ist es auch mit unserem „Sächsischen
Schriftstellerlexikon". Verweilen wir darum zunächst noch ein wenig bei dem,
was der Einzelne beigesteuert hat; es lohnt wahrlich der Mühe. Da gewahren
wir denn zunächst auf der einen Seite die erstaunlichste Vielseitigkeit. Muß es
nicht z. B. unsre höchste Bewunderung erregen, wenn ein und derselbe Leip¬
ziger Universitätslehrer im Stande ist, folgende Schriften zu leisten: 1. „Frei¬
herr von Liebig als unberechtigt zu entscheidenden Urtheil über Praxis und
Unterrichtswesen in der Landwirthschaft" — 2. „Neue Deutung der beiden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/134>, abgerufen am 28.09.2024.