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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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und einer regelrechten Federhaltung" verfaßt hat. Bon der schriftstellerischen
Bedeutung von Frl. Roquette habe ich selbst, wie ich mit Beschämung gestehe,
bis jetzt nichts gewußt. Geräumtes Fräulein hat aus Hettner's "Literatur¬
geschichte des 18. Jahrhunderts" den Abschnitt über Winckelmann in's Fran¬
zösische übersetzt und in der "kLvuv gorumuiyuo" abdrucken lassen. Daß
mir also niemand in Zukunft unter den sächsischen Schriftstellerinnen
Frl. Roquette vergißt!

Aus der mitgetheilten statistischen Uebersicht geht nun schon hervor, wie
falsch der Titel des Buches ist. Das Buch ist gar kein Schriftstellerlexi¬
kon; es ist ebenso wenig eins, wie es die gleichbenannten Bücher des vorigen
Jahrhunderts waren, sondern es ist ein G el eh re en lexikon. Wir wollen
doch ja diesen Unterschied festhalten. Man findet zwar unter den Schrift¬
stellern auch bisweilen große Gelehrte und unter den Gelehrten, wenn auch
schon weniger häufig, tüchtige Schriftsteller; in dem vorliegenden Buche aber
kann kaum der zehnte Theil aller Genannten auf das Prädicat "Schriftsteller"
Anspruch erheben. Man braucht nur, nachdem man die äußern Lebens¬
stellungen der Herren gemustert hat, nun einen oberflächlichen Blick auf ihre
literarischen Leistungen zu werfen, um sich sofort über diesen Punkt vollständig
klar zu werden. Den größten Raum in dem Buche beanspruchen, ganz wie
in den Gelehrtenlexicis des 18. Jahrhunderts, die Predigten. Was im
Königreiche Sachsen heutzutage noch für eine Fluth von Predigten gedruckt
wird, das ist ganz erstaunlich. Diese Kindtaufs-, Trau- und Leichenreden,
diese Schulweih-, Kirchweih- und Glockenweihpredigten, diese Ernte- und
Bergfestpredigten, diese Constttutions- und Reformations -, Ordinations-,
Amtsantritts-, Gast- und Abschieds-, Conserenz- und Visitationspredigten,
wie viele, viele Seiten füllen sie! Nach den Predigern kommen aber noch
lange nicht die "Schriftsteller". Dann kommt zunächst der Volksschullehrer
mit seinen zahllosen kleinen Lehr- und Unterrichtsmitteln, seinen Elementar¬
büchern, Lesebüchern, Uebungsbüchern, Rechenbüchern, Liederbüchern, Choral-
büchern und Spruchbüchern; dann erst folgt die fachwissenschaftliche und da¬
neben die populärwissenschaftliche, endlich auch die belletristische Literatur.
Wo bleibt da der Begriff des Schriftstellerlexikons?

Aber sieht man nun den Gehalt der Beiträge etwas genauer an, wie
bewundert man da vor allen Dingen -- die Geduld des Papieres! Es ist
keine Uebertreibung: Die Hälfte der gesammten Literatur, die in diesem
Buche verzeichnet ist, ist der Art, daß keine Menschenseele je wieder darnach
fragt. Wozu diese ganze Maculatur hier aufspeichern? Die Gewissenhaftig¬
keit ist wahrhaft rührend, mit der die guten Leute oft ihre "Werke" verzeichnet
haben. Namentlich die geistlichen Herren sind groß darin. Mancher braucht
für sich allein zwei volle Seiten, um seine "sämmtlichen Werke" auf z>.-et ,'c


und einer regelrechten Federhaltung" verfaßt hat. Bon der schriftstellerischen
Bedeutung von Frl. Roquette habe ich selbst, wie ich mit Beschämung gestehe,
bis jetzt nichts gewußt. Geräumtes Fräulein hat aus Hettner's „Literatur¬
geschichte des 18. Jahrhunderts" den Abschnitt über Winckelmann in's Fran¬
zösische übersetzt und in der «kLvuv gorumuiyuo" abdrucken lassen. Daß
mir also niemand in Zukunft unter den sächsischen Schriftstellerinnen
Frl. Roquette vergißt!

Aus der mitgetheilten statistischen Uebersicht geht nun schon hervor, wie
falsch der Titel des Buches ist. Das Buch ist gar kein Schriftstellerlexi¬
kon; es ist ebenso wenig eins, wie es die gleichbenannten Bücher des vorigen
Jahrhunderts waren, sondern es ist ein G el eh re en lexikon. Wir wollen
doch ja diesen Unterschied festhalten. Man findet zwar unter den Schrift¬
stellern auch bisweilen große Gelehrte und unter den Gelehrten, wenn auch
schon weniger häufig, tüchtige Schriftsteller; in dem vorliegenden Buche aber
kann kaum der zehnte Theil aller Genannten auf das Prädicat „Schriftsteller"
Anspruch erheben. Man braucht nur, nachdem man die äußern Lebens¬
stellungen der Herren gemustert hat, nun einen oberflächlichen Blick auf ihre
literarischen Leistungen zu werfen, um sich sofort über diesen Punkt vollständig
klar zu werden. Den größten Raum in dem Buche beanspruchen, ganz wie
in den Gelehrtenlexicis des 18. Jahrhunderts, die Predigten. Was im
Königreiche Sachsen heutzutage noch für eine Fluth von Predigten gedruckt
wird, das ist ganz erstaunlich. Diese Kindtaufs-, Trau- und Leichenreden,
diese Schulweih-, Kirchweih- und Glockenweihpredigten, diese Ernte- und
Bergfestpredigten, diese Constttutions- und Reformations -, Ordinations-,
Amtsantritts-, Gast- und Abschieds-, Conserenz- und Visitationspredigten,
wie viele, viele Seiten füllen sie! Nach den Predigern kommen aber noch
lange nicht die „Schriftsteller". Dann kommt zunächst der Volksschullehrer
mit seinen zahllosen kleinen Lehr- und Unterrichtsmitteln, seinen Elementar¬
büchern, Lesebüchern, Uebungsbüchern, Rechenbüchern, Liederbüchern, Choral-
büchern und Spruchbüchern; dann erst folgt die fachwissenschaftliche und da¬
neben die populärwissenschaftliche, endlich auch die belletristische Literatur.
Wo bleibt da der Begriff des Schriftstellerlexikons?

Aber sieht man nun den Gehalt der Beiträge etwas genauer an, wie
bewundert man da vor allen Dingen — die Geduld des Papieres! Es ist
keine Uebertreibung: Die Hälfte der gesammten Literatur, die in diesem
Buche verzeichnet ist, ist der Art, daß keine Menschenseele je wieder darnach
fragt. Wozu diese ganze Maculatur hier aufspeichern? Die Gewissenhaftig¬
keit ist wahrhaft rührend, mit der die guten Leute oft ihre „Werke" verzeichnet
haben. Namentlich die geistlichen Herren sind groß darin. Mancher braucht
für sich allein zwei volle Seiten, um seine „sämmtlichen Werke" auf z>.-et ,'c


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/133>, abgerufen am 29.06.2024.