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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band.

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das Geschrei der Gemarterten nicht höre, wurden während der Procedur
Trommeln und Becken geschlagen. Nach vollendetem Spiel sprach der Narr
den Wunsch aus, daß "zum Flore der Handlung und des Comptoirs diese
edle Sitte immerdar erhalten bleiben möge." Diese Stäupung hatte der Lehr¬
ling nicht blos einmal, sondern acht Jahre hinter einander jedesmal um die¬
selbe Zeit mit sich vornehmen zu lassen, ehe er voller Geselle wurde. Jener
Wunsch des Narren aber erfüllte sich bis tief in das siebzehnte Jahrhundert
hinein. Mehrere Könige von Dänemark hatten der schändlichen Quälerei mit
allerhöchstem Wohlgefallen beigewohnt, als endlich Christian der Dritte
1534 durch eine Beschwerde darüber die Hansa veranlaßte, sie zu verbieten.
Allein schon 1K85 wurde sie wieder erlaubt, nur sollten die Lehrlinge sie fortan,
nur dreimal aushalten müssen.

Auch unter den Fuhrleuten Thüringens war das Häufeln üblich, und
daß die Sitte bis in die höchsten Stände hinaufreichte, ergiebt sich daraus,
daß der Knappe zum Ritter "geschlagen" wurde. Natürlich -- so darf ich bei
dem zunftartigen Charakter unsrer alten Universitäten wohl sagen -- fehlte
sie auch in den Kreisen der gelehrten Welt nicht, und davon will ich setzt in
einem Auszuge aus einem früheren Aufsatze von mir") ein Beispiel geben, das
man mit der Ceremonie vergleichen wolle, durch welche der Faßbinderlehrling
Venen Ziegenschurz ein "ehrlicher Gesell" seines Handwerks wurde. Mit Be¬
dauern werden die Leser dabei gewahr werden, daß unsere Musensöhne bei
derartigen Gelegenheiten weit weniger sinnvoll und zugleich weit weniger
sauber zu Werke gingen als die von ihnen so gering geachteten "Handwerks-
gnoten", ja daß sie eigentlich recht rohe und unfläthige Rüpel waren.

Die Welt außerhalb der akademischen Kreise galt den letzteren im Mittel-
alter und bis in die neue Zeit herein als eine barbarische Wildniß, und wer
aus ihr unter die Jünger der Wissenschaft aufgenommen sein wollte, mußte
sich erst einer gründlichen Reinigung und Zustutzung unterziehen. Er war
ein "Beanus" oder "Bachant", später ein "Fuchs", und so hieß der Aufnahme¬
ritus, den die älteren Studirenden mit ihm vornahmen, Anfangs "Bea-
nia" und in den letzten Jahrhunderten "Fuchstaufe." Diese Ceremonie, auf
allen deutschen Universitäten eingeführt, zerfiel in zwei Acte, welche "die Prüfung
in der Geduld" (oxainen Mi<wtig.o) und die "Lossprechung" (äepositiv) hießen,
und endigte mit einem Schmause. Sie war ein kleines Drama mit zwei
sprechenden und handelnden Personen, dem "Reiniger" (Munüans) und dem
"Gehülfen" (juvans), einer stummen und leidenden Person, dem Beanus oder
Fuchs, und einem ebenfalls stummen Chöre, den Magistern und Studenten
der Burse, zu welcher der Fuchs gehörte. Dieser hatte sich, nachdem 'er
immatriculirt worden, an einen älteren Landsmann zu wenden und um Voll-



") Grenzvoten von 18VV, 2. Quartal, wo die Sache vollständig mitgetheilt worden ist.

das Geschrei der Gemarterten nicht höre, wurden während der Procedur
Trommeln und Becken geschlagen. Nach vollendetem Spiel sprach der Narr
den Wunsch aus, daß „zum Flore der Handlung und des Comptoirs diese
edle Sitte immerdar erhalten bleiben möge." Diese Stäupung hatte der Lehr¬
ling nicht blos einmal, sondern acht Jahre hinter einander jedesmal um die¬
selbe Zeit mit sich vornehmen zu lassen, ehe er voller Geselle wurde. Jener
Wunsch des Narren aber erfüllte sich bis tief in das siebzehnte Jahrhundert
hinein. Mehrere Könige von Dänemark hatten der schändlichen Quälerei mit
allerhöchstem Wohlgefallen beigewohnt, als endlich Christian der Dritte
1534 durch eine Beschwerde darüber die Hansa veranlaßte, sie zu verbieten.
Allein schon 1K85 wurde sie wieder erlaubt, nur sollten die Lehrlinge sie fortan,
nur dreimal aushalten müssen.

Auch unter den Fuhrleuten Thüringens war das Häufeln üblich, und
daß die Sitte bis in die höchsten Stände hinaufreichte, ergiebt sich daraus,
daß der Knappe zum Ritter „geschlagen" wurde. Natürlich — so darf ich bei
dem zunftartigen Charakter unsrer alten Universitäten wohl sagen — fehlte
sie auch in den Kreisen der gelehrten Welt nicht, und davon will ich setzt in
einem Auszuge aus einem früheren Aufsatze von mir") ein Beispiel geben, das
man mit der Ceremonie vergleichen wolle, durch welche der Faßbinderlehrling
Venen Ziegenschurz ein „ehrlicher Gesell" seines Handwerks wurde. Mit Be¬
dauern werden die Leser dabei gewahr werden, daß unsere Musensöhne bei
derartigen Gelegenheiten weit weniger sinnvoll und zugleich weit weniger
sauber zu Werke gingen als die von ihnen so gering geachteten „Handwerks-
gnoten", ja daß sie eigentlich recht rohe und unfläthige Rüpel waren.

Die Welt außerhalb der akademischen Kreise galt den letzteren im Mittel-
alter und bis in die neue Zeit herein als eine barbarische Wildniß, und wer
aus ihr unter die Jünger der Wissenschaft aufgenommen sein wollte, mußte
sich erst einer gründlichen Reinigung und Zustutzung unterziehen. Er war
ein „Beanus" oder „Bachant", später ein „Fuchs", und so hieß der Aufnahme¬
ritus, den die älteren Studirenden mit ihm vornahmen, Anfangs „Bea-
nia" und in den letzten Jahrhunderten „Fuchstaufe." Diese Ceremonie, auf
allen deutschen Universitäten eingeführt, zerfiel in zwei Acte, welche „die Prüfung
in der Geduld" (oxainen Mi<wtig.o) und die „Lossprechung" (äepositiv) hießen,
und endigte mit einem Schmause. Sie war ein kleines Drama mit zwei
sprechenden und handelnden Personen, dem „Reiniger" (Munüans) und dem
„Gehülfen" (juvans), einer stummen und leidenden Person, dem Beanus oder
Fuchs, und einem ebenfalls stummen Chöre, den Magistern und Studenten
der Burse, zu welcher der Fuchs gehörte. Dieser hatte sich, nachdem 'er
immatriculirt worden, an einen älteren Landsmann zu wenden und um Voll-



") Grenzvoten von 18VV, 2. Quartal, wo die Sache vollständig mitgetheilt worden ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148602/101>, abgerufen am 28.09.2024.