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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Me Kauhütte.
i.
(Zur Geschichte der Stylfrage, Baumittel, Baurechnungen.)

Man liebt es unsere deutschen Dome mit unseren deutschen Wäldern
zu vergleichen, die Säulen mit den schlanken Stämmen, die Gewölbrippen
mit luftigem Gezweig, den bunten Schein mit dem andachtsvollen Dämmer¬
lichte des Waldes; man preist den idealen Schwung der himmelansteigenden
Linien, der selbst bis zur Negation der Schwere fortschreitet; man findet
darin ein Abbild des transcendentalen Geistes der Zeit der Scholastik; man
denkt sich diese Kirchenbauten aus der Erde hervorgewachsen als unmittel¬
barer Ausdruck des christlich germanischen Geistes, als Verkörperung des
hierarchischen Gedankens, wie die würdigen Fronten der Rathhäuser das
Bürgerthum des fünfzehnten Jahrhunderts und die kolossalen Dimensionen
der Renaissance-Schlösser die zum Bewußtsein ihrer selbst kommende Souve¬
ränität der Fürsten kennzeichnen u. s. w. Der geneigte Leser wird sich vielleicht
erinnern, solche in genialen Zügen ausgeführte Raisonnements über Kunst-
und Welthistorie gelesen zu haben; er wird auch den Eindruck behalten haben,
daß unter so hohen und allgemeinen Gesichtspunkten es ungemein leicht ist
Geschichte zu schreiben und zu verstehen. Vielleicht liegt auch eben hierin der
Grund, warum diese Methode moderner Geschäftsforschung soviel Anklang
gefunden hat. --

Was mich betrifft, so muß ich gestehen, daß ich an dieser Art nicht allzu¬
viel Vergnügen finde. Sie kommt mir so vor, als wollte Jemand Geschichte
schreiben und benügte sich mit den Kapitel-Ueberschriften, oder als wollte
einer eine Rede halten mit lauter Worten, die auf "ung" endigen. Die
Geschichte vollzieht sich keineswegs in Abstractionen- Darum kann es leicht genug
geschehen, daß speeialgeschichtliche Untersuchungen auch von den wohlklin-
gendsten Theoremen soviel wegstreichen, daß kaum nennenswerthes übrig bleibt.
Dagegen zeigt sich, daß sich, wie die Welt, so auch die Cultur und Kunstge¬
schichte aus concreten Unterlagen nach concreten Zwecken und mit ebensolchen
Mitteln entwickelt.


Grenzboten IV. 1875. 11
Me Kauhütte.
i.
(Zur Geschichte der Stylfrage, Baumittel, Baurechnungen.)

Man liebt es unsere deutschen Dome mit unseren deutschen Wäldern
zu vergleichen, die Säulen mit den schlanken Stämmen, die Gewölbrippen
mit luftigem Gezweig, den bunten Schein mit dem andachtsvollen Dämmer¬
lichte des Waldes; man preist den idealen Schwung der himmelansteigenden
Linien, der selbst bis zur Negation der Schwere fortschreitet; man findet
darin ein Abbild des transcendentalen Geistes der Zeit der Scholastik; man
denkt sich diese Kirchenbauten aus der Erde hervorgewachsen als unmittel¬
barer Ausdruck des christlich germanischen Geistes, als Verkörperung des
hierarchischen Gedankens, wie die würdigen Fronten der Rathhäuser das
Bürgerthum des fünfzehnten Jahrhunderts und die kolossalen Dimensionen
der Renaissance-Schlösser die zum Bewußtsein ihrer selbst kommende Souve¬
ränität der Fürsten kennzeichnen u. s. w. Der geneigte Leser wird sich vielleicht
erinnern, solche in genialen Zügen ausgeführte Raisonnements über Kunst-
und Welthistorie gelesen zu haben; er wird auch den Eindruck behalten haben,
daß unter so hohen und allgemeinen Gesichtspunkten es ungemein leicht ist
Geschichte zu schreiben und zu verstehen. Vielleicht liegt auch eben hierin der
Grund, warum diese Methode moderner Geschäftsforschung soviel Anklang
gefunden hat. —

Was mich betrifft, so muß ich gestehen, daß ich an dieser Art nicht allzu¬
viel Vergnügen finde. Sie kommt mir so vor, als wollte Jemand Geschichte
schreiben und benügte sich mit den Kapitel-Ueberschriften, oder als wollte
einer eine Rede halten mit lauter Worten, die auf „ung" endigen. Die
Geschichte vollzieht sich keineswegs in Abstractionen- Darum kann es leicht genug
geschehen, daß speeialgeschichtliche Untersuchungen auch von den wohlklin-
gendsten Theoremen soviel wegstreichen, daß kaum nennenswerthes übrig bleibt.
Dagegen zeigt sich, daß sich, wie die Welt, so auch die Cultur und Kunstge¬
schichte aus concreten Unterlagen nach concreten Zwecken und mit ebensolchen
Mitteln entwickelt.


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[0085] Me Kauhütte. i. (Zur Geschichte der Stylfrage, Baumittel, Baurechnungen.) Man liebt es unsere deutschen Dome mit unseren deutschen Wäldern zu vergleichen, die Säulen mit den schlanken Stämmen, die Gewölbrippen mit luftigem Gezweig, den bunten Schein mit dem andachtsvollen Dämmer¬ lichte des Waldes; man preist den idealen Schwung der himmelansteigenden Linien, der selbst bis zur Negation der Schwere fortschreitet; man findet darin ein Abbild des transcendentalen Geistes der Zeit der Scholastik; man denkt sich diese Kirchenbauten aus der Erde hervorgewachsen als unmittel¬ barer Ausdruck des christlich germanischen Geistes, als Verkörperung des hierarchischen Gedankens, wie die würdigen Fronten der Rathhäuser das Bürgerthum des fünfzehnten Jahrhunderts und die kolossalen Dimensionen der Renaissance-Schlösser die zum Bewußtsein ihrer selbst kommende Souve¬ ränität der Fürsten kennzeichnen u. s. w. Der geneigte Leser wird sich vielleicht erinnern, solche in genialen Zügen ausgeführte Raisonnements über Kunst- und Welthistorie gelesen zu haben; er wird auch den Eindruck behalten haben, daß unter so hohen und allgemeinen Gesichtspunkten es ungemein leicht ist Geschichte zu schreiben und zu verstehen. Vielleicht liegt auch eben hierin der Grund, warum diese Methode moderner Geschäftsforschung soviel Anklang gefunden hat. — Was mich betrifft, so muß ich gestehen, daß ich an dieser Art nicht allzu¬ viel Vergnügen finde. Sie kommt mir so vor, als wollte Jemand Geschichte schreiben und benügte sich mit den Kapitel-Ueberschriften, oder als wollte einer eine Rede halten mit lauter Worten, die auf „ung" endigen. Die Geschichte vollzieht sich keineswegs in Abstractionen- Darum kann es leicht genug geschehen, daß speeialgeschichtliche Untersuchungen auch von den wohlklin- gendsten Theoremen soviel wegstreichen, daß kaum nennenswerthes übrig bleibt. Dagegen zeigt sich, daß sich, wie die Welt, so auch die Cultur und Kunstge¬ schichte aus concreten Unterlagen nach concreten Zwecken und mit ebensolchen Mitteln entwickelt. Grenzboten IV. 1875. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/85>, abgerufen am 22.07.2024.