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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Wenn aber Style der Ausdruck von Volks- oder Zeitcharakteren sein sollen,
so müßte bei plötzlicher Aenderung des Geschmackes auch eine solche des
Volkscharakters zu bemerken sein, was sich keineswegs nachweisen läßt. Ich
wenigstens habe nicht die Kühnheit die italienische Renaissance mit der deutschen
Reformation in Verbindung zu bringen. Viel wichtiger ist die Rücksichtnahme
auf das jeweilige Bedürfniß, mehr noch auf das architektonische Können, auf
Material, Stand der Technik und Aehnliches. Dome wachsen nicht aus der
Erde wie Pilze; Anlage, Gewölbconstruction, das System der Widerlager
und Strebepfeiler muß durch viele Versuche und Generationen lang währende
Uebung gelernt sein, die ungeheuere Größe der Dimensionen muß sich durch
viele gelungene kleinere Versuche erst als ausführbar erwiesen haben, um
riskirt zu werden, das Ornament muß sich allmählich den Construetionslinien
anfügen und sich durch lange Uebung und Bildung des Auges so rein und edel
gestalten, um jenen classischen Charakter zu gewinnen, den wir an jenen
Meisterwerken mit Recht bewundern. Es muß sich ein tüchtiges Volk von
Steinmetzen, Zimmerleuten, Schlossern und Metallgießern bilden, die sich
gegenseitig zu stützen und fördern wissen, wie eine gut eingespielte Capelle;
vor Allem müssen die Mittel zu solchen Bauten flüssig sein, wenn auch nicht
reichlich, so doch continuirlich, um Tradition und Erfahrung stets frisch zu
erhalten. Dies alles sind Vorbedingungen, welche mit dem geistigen Leben
der Nation eigentlich wenig genug zu thun haben.

Auch Aenderungen des Styls von so tiefgreifender Gestalt, wie wir sie
mit dem Auftreten der Gothik und der Renaissance zu verzeichnen haben,
haben ihre eigene ziemlich complicirte Geschichte, die sich mit einigen Schlag¬
worten nicht abmachen läßt. Ich habe wiederholt gelesen das Auftreten des
Spitzbogens -- beiläufig gesagt ein nur secundäres Merkmal des gothischen
Styles -- bezeichne den Uebergang der bis dahin geistlichen Baukunst in
weltliche Hände. Das mag der Zeit nach ziemlich zutreffen, nur ist's uner¬
findlich, wie der innere Zusammenhang dieser zwei Thatsachen erwiesen wer¬
den soll. Dazu bauen auch nach dieser Zeit geistliche Laienbrüder spitze Fenster
und weltliche Steinmetzen runde. Ich muß mir versagen eine detaillirte Er¬
klärung dieser übrigens oft besprochenen Erscheinung zu geben, was ohne Bei¬
fügung von Illustrationen doch nicht durchführbar sein würde, und begnüge
mich im Allgemeinen nur zu bemerken, daß die Entstehung des Spitzbogens
aus rein technischen Gründen zu erklären ist. Und zwar bildet die Veran¬
lassung eine Aenderung, die man in der Gewölbeeonstruction eintreten ließ.
Das romantische Kreuzgewölbe bestand aus vier zusammen gelegten rund-
bogigen Kappen, welche ebenso von Pfeiler zu Pfeiler übers Kreuz wie bei
ihrer Berührung an den Seitenwänden Halbkreise bilden. In den rund-
bogigen Abschnitt der Außenwand paßt natürlich ein rundbogiges Fenster.


Wenn aber Style der Ausdruck von Volks- oder Zeitcharakteren sein sollen,
so müßte bei plötzlicher Aenderung des Geschmackes auch eine solche des
Volkscharakters zu bemerken sein, was sich keineswegs nachweisen läßt. Ich
wenigstens habe nicht die Kühnheit die italienische Renaissance mit der deutschen
Reformation in Verbindung zu bringen. Viel wichtiger ist die Rücksichtnahme
auf das jeweilige Bedürfniß, mehr noch auf das architektonische Können, auf
Material, Stand der Technik und Aehnliches. Dome wachsen nicht aus der
Erde wie Pilze; Anlage, Gewölbconstruction, das System der Widerlager
und Strebepfeiler muß durch viele Versuche und Generationen lang währende
Uebung gelernt sein, die ungeheuere Größe der Dimensionen muß sich durch
viele gelungene kleinere Versuche erst als ausführbar erwiesen haben, um
riskirt zu werden, das Ornament muß sich allmählich den Construetionslinien
anfügen und sich durch lange Uebung und Bildung des Auges so rein und edel
gestalten, um jenen classischen Charakter zu gewinnen, den wir an jenen
Meisterwerken mit Recht bewundern. Es muß sich ein tüchtiges Volk von
Steinmetzen, Zimmerleuten, Schlossern und Metallgießern bilden, die sich
gegenseitig zu stützen und fördern wissen, wie eine gut eingespielte Capelle;
vor Allem müssen die Mittel zu solchen Bauten flüssig sein, wenn auch nicht
reichlich, so doch continuirlich, um Tradition und Erfahrung stets frisch zu
erhalten. Dies alles sind Vorbedingungen, welche mit dem geistigen Leben
der Nation eigentlich wenig genug zu thun haben.

Auch Aenderungen des Styls von so tiefgreifender Gestalt, wie wir sie
mit dem Auftreten der Gothik und der Renaissance zu verzeichnen haben,
haben ihre eigene ziemlich complicirte Geschichte, die sich mit einigen Schlag¬
worten nicht abmachen läßt. Ich habe wiederholt gelesen das Auftreten des
Spitzbogens — beiläufig gesagt ein nur secundäres Merkmal des gothischen
Styles — bezeichne den Uebergang der bis dahin geistlichen Baukunst in
weltliche Hände. Das mag der Zeit nach ziemlich zutreffen, nur ist's uner¬
findlich, wie der innere Zusammenhang dieser zwei Thatsachen erwiesen wer¬
den soll. Dazu bauen auch nach dieser Zeit geistliche Laienbrüder spitze Fenster
und weltliche Steinmetzen runde. Ich muß mir versagen eine detaillirte Er¬
klärung dieser übrigens oft besprochenen Erscheinung zu geben, was ohne Bei¬
fügung von Illustrationen doch nicht durchführbar sein würde, und begnüge
mich im Allgemeinen nur zu bemerken, daß die Entstehung des Spitzbogens
aus rein technischen Gründen zu erklären ist. Und zwar bildet die Veran¬
lassung eine Aenderung, die man in der Gewölbeeonstruction eintreten ließ.
Das romantische Kreuzgewölbe bestand aus vier zusammen gelegten rund-
bogigen Kappen, welche ebenso von Pfeiler zu Pfeiler übers Kreuz wie bei
ihrer Berührung an den Seitenwänden Halbkreise bilden. In den rund-
bogigen Abschnitt der Außenwand paßt natürlich ein rundbogiges Fenster.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/86>, abgerufen am 25.08.2024.