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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Nichts fernliegendes also unternehmen wir, wenn wir jetzt das Andenken
eines deutschen Mannes erneuern, zu dessen Zeit und durch den vorzüglich sich
jene Trennung vollzog; ich meine den Mfilas, den Apostel der Gothen. Ein
späterer Bischof unter diesem Wolke, verblendet im Eifer seines Katholicismus,
nennt ihn einen Feind des wahren Glaubens und unzweifelhaften Antichrist
in Schafskleidern. Sehen wir, was wir von diesem Ausbruch geistlichen
Zornes zu halten haben.

Von dem Leben jenes Mannes kann nicht geredet werden, ohne die
Weltbegebenheiten, die Gährung in den Gemüthern und die wilden Stürme
zu erwähnen, von denen es zwar äußerlich und innerlich ergriffen, aber nicht
mit fortgerissen und in seinem Frieden dauernd gestört ward. -- Im Anfang des
4. Jahrhunderts, als im römischen Reiche Constantin der Große unter harten
Kämpfen gegen seine Mitkaiser sich die Weltherrschaft gewann und dem
Christenthume die Mittel dazu in die Hand gab, gelangte auch das Volk der
Gothen zu einer Bedeutung, die es früher nicht besessen hatte. Von einem
versprengten Theil derselben berichtet Tacitus um das Jahr 100 n. Eh., daß
er an der Weichsel seßhaft sei. Die Hauptmasse aber wohnte bei ihrem Ein¬
tritt in die Geschichte an der Nordküste des schwarzen Meeres und schied sich
in 2 Theile, Ostgothen östlich vom Dniepr und Dniestr und Westgothen
westlich davon. Bereits im 3. Jahrhundert werden ostgothtsche Könige ge¬
nannt, wie Ostrogotha, Culpa, die über beide Stämme herrschten. Unter
einem Nachfolger derselben, Ermcmrich, breiteten sich die Ostgothen auch über
die benachbarten slavischen und sarmatischen Völker aus und sollen sich sogar
bis zur Ostsee erstreckt haben. Die Westgothen blieben in Abhängigkeit und
daher wurden ihre Angelegenheiten nicht von einem Stammeskönig, sondern
von mehreren Richtern und Vögten verwaltet. Wenn man blos den aus¬
gedehnten Raum bedenkt, in dem die Gothen auftreten, die Fülle ihrer Heere,
so muß man sich überzeugen, daß sie einen Hauptbestandtheil des deutschen
Volkes ausmachten. Kein deutscher Stamm erscheint edler als die Gothen
und nichts konnte irrthümlicher sein, als sich dieselben als rohe ungebildete
Barbaren vorzustellen.

Schon der große Wortreichthum der Sprache beweist, daß sich das Leben
derselben nicht auf die einfachen Gewohnheiten halbwilder Völker beschränkte.
Von Alters her besaßen sie in Runen geschriebene Gesetze, nämlich ethische
und politische Spruchgedichte, wie wir ähnliches bei den nordischen Völkern
finden. Die Thaten der Väter, wie die Geschichte der Wanderung von Asien
her lebte in Gesängen fort. Schlachtlieder begeisterten zum Kampf und
Klagelieder umtönten die Leichen der Gefallenen. Harfe, Horn und Flöte
waren einheimische Instrumente und Harfensänger von Beruf und Ruhm
fehlten nicht bei Fest und Tanz. Selbst Könige verschmähten es nicht, die


Nichts fernliegendes also unternehmen wir, wenn wir jetzt das Andenken
eines deutschen Mannes erneuern, zu dessen Zeit und durch den vorzüglich sich
jene Trennung vollzog; ich meine den Mfilas, den Apostel der Gothen. Ein
späterer Bischof unter diesem Wolke, verblendet im Eifer seines Katholicismus,
nennt ihn einen Feind des wahren Glaubens und unzweifelhaften Antichrist
in Schafskleidern. Sehen wir, was wir von diesem Ausbruch geistlichen
Zornes zu halten haben.

Von dem Leben jenes Mannes kann nicht geredet werden, ohne die
Weltbegebenheiten, die Gährung in den Gemüthern und die wilden Stürme
zu erwähnen, von denen es zwar äußerlich und innerlich ergriffen, aber nicht
mit fortgerissen und in seinem Frieden dauernd gestört ward. — Im Anfang des
4. Jahrhunderts, als im römischen Reiche Constantin der Große unter harten
Kämpfen gegen seine Mitkaiser sich die Weltherrschaft gewann und dem
Christenthume die Mittel dazu in die Hand gab, gelangte auch das Volk der
Gothen zu einer Bedeutung, die es früher nicht besessen hatte. Von einem
versprengten Theil derselben berichtet Tacitus um das Jahr 100 n. Eh., daß
er an der Weichsel seßhaft sei. Die Hauptmasse aber wohnte bei ihrem Ein¬
tritt in die Geschichte an der Nordküste des schwarzen Meeres und schied sich
in 2 Theile, Ostgothen östlich vom Dniepr und Dniestr und Westgothen
westlich davon. Bereits im 3. Jahrhundert werden ostgothtsche Könige ge¬
nannt, wie Ostrogotha, Culpa, die über beide Stämme herrschten. Unter
einem Nachfolger derselben, Ermcmrich, breiteten sich die Ostgothen auch über
die benachbarten slavischen und sarmatischen Völker aus und sollen sich sogar
bis zur Ostsee erstreckt haben. Die Westgothen blieben in Abhängigkeit und
daher wurden ihre Angelegenheiten nicht von einem Stammeskönig, sondern
von mehreren Richtern und Vögten verwaltet. Wenn man blos den aus¬
gedehnten Raum bedenkt, in dem die Gothen auftreten, die Fülle ihrer Heere,
so muß man sich überzeugen, daß sie einen Hauptbestandtheil des deutschen
Volkes ausmachten. Kein deutscher Stamm erscheint edler als die Gothen
und nichts konnte irrthümlicher sein, als sich dieselben als rohe ungebildete
Barbaren vorzustellen.

Schon der große Wortreichthum der Sprache beweist, daß sich das Leben
derselben nicht auf die einfachen Gewohnheiten halbwilder Völker beschränkte.
Von Alters her besaßen sie in Runen geschriebene Gesetze, nämlich ethische
und politische Spruchgedichte, wie wir ähnliches bei den nordischen Völkern
finden. Die Thaten der Väter, wie die Geschichte der Wanderung von Asien
her lebte in Gesängen fort. Schlachtlieder begeisterten zum Kampf und
Klagelieder umtönten die Leichen der Gefallenen. Harfe, Horn und Flöte
waren einheimische Instrumente und Harfensänger von Beruf und Ruhm
fehlten nicht bei Fest und Tanz. Selbst Könige verschmähten es nicht, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/6>, abgerufen am 29.06.2024.