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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Ulfilas.*)
Bon C. Kirchner.

Auf der einen Seite römisches Jmperatorenthum in das Gebiet des
Glaubens übertragen, auf der anderen die Forderung nationaler Selbständig¬
keit auch in religiösen Dingen; dort eine hierarchische Dictatur, die das mensch¬
liche Gewissen einstrickt und zusammenschnürt, die jeden Culturfortschritt des
aufstrebenden Geistes mit Fluch und Bann belegt, hier Denkfreiheit und wissen¬
schaftliche Forschung; dort ein weltlicher Sinn im Gewand des Geistes, der
eines Patrimonium Petri, reicher Einkünfte u. f. rv. nicht glaubt entbehren
zu können', ja der am liebsten alle Hilfsmittel des Staates sich dienstbar
machen möchte, hier ein Staat, der alle Wege frei macht zum Wettlauf nach
der Wahrheit und in ihm ohne Prunk und Pracht abseits vom großen
Markte des Lebens ein Streit des Geistes mit geistigen Mitteln, ein Ringen
nach Erkenntnis um der Erkenntnis willen -- das find die Gegensätze im
Culturkampf unserer Tage, Gegensätze aber, die zugleich tief begründet find
im römischen und deutschen Charakter und den geschichtlichen Bedingungen
dieser beiden Völkerstämme. Konnte auch in den ersten Jahrhunderten des
Christenthums von einem Auflehnen der geistlichen Gewalt gegen die weltliche,
wie wir es jetzt erleben, nicht die Rede sein, so wurden doch unsere Vor¬
fahren schon damals, als sie die erste Verkündigung des Evangeliums emvfin-
3^u. durch einen ähnlichen, langsam sich erweiternden Riß von der Kirche des
römische" Reichs getrennt.



') Die ältere Literatur findet sich vollständigsten be^
^^2^^
lich w wen^ ist in Vorbereitung. (Während des Drucks erschienen.
D- Red. T^^^Ä^ Stellt aus den ^mM^Sozomenus und Theodoret sind bei Wach: Leben und Lehr des Ulfilas abgedruckt Dahin
gehören noch als Quellen die Acten des h. Saba und NMas ferner Eunapms . Jord nes
Orosius, Arnnnanus Isidor -c. In jener Schrift veröffentlichte Wach zuerst den Bericht des
Auxentius, der sich als Nandschrift in dem pariser Codex 8uxMmMt wtw Ur. 594 vorfand
und für die Biographie des Ulfilas von größter Bedeutung ist.
Grenzboten IV. 1875.
Ulfilas.*)
Bon C. Kirchner.

Auf der einen Seite römisches Jmperatorenthum in das Gebiet des
Glaubens übertragen, auf der anderen die Forderung nationaler Selbständig¬
keit auch in religiösen Dingen; dort eine hierarchische Dictatur, die das mensch¬
liche Gewissen einstrickt und zusammenschnürt, die jeden Culturfortschritt des
aufstrebenden Geistes mit Fluch und Bann belegt, hier Denkfreiheit und wissen¬
schaftliche Forschung; dort ein weltlicher Sinn im Gewand des Geistes, der
eines Patrimonium Petri, reicher Einkünfte u. f. rv. nicht glaubt entbehren
zu können', ja der am liebsten alle Hilfsmittel des Staates sich dienstbar
machen möchte, hier ein Staat, der alle Wege frei macht zum Wettlauf nach
der Wahrheit und in ihm ohne Prunk und Pracht abseits vom großen
Markte des Lebens ein Streit des Geistes mit geistigen Mitteln, ein Ringen
nach Erkenntnis um der Erkenntnis willen — das find die Gegensätze im
Culturkampf unserer Tage, Gegensätze aber, die zugleich tief begründet find
im römischen und deutschen Charakter und den geschichtlichen Bedingungen
dieser beiden Völkerstämme. Konnte auch in den ersten Jahrhunderten des
Christenthums von einem Auflehnen der geistlichen Gewalt gegen die weltliche,
wie wir es jetzt erleben, nicht die Rede sein, so wurden doch unsere Vor¬
fahren schon damals, als sie die erste Verkündigung des Evangeliums emvfin-
3^u. durch einen ähnlichen, langsam sich erweiternden Riß von der Kirche des
römische« Reichs getrennt.



') Die ältere Literatur findet sich vollständigsten be^
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lich w wen^ ist in Vorbereitung. (Während des Drucks erschienen.
D- Red. T^^^Ä^ Stellt aus den ^mM^Sozomenus und Theodoret sind bei Wach: Leben und Lehr des Ulfilas abgedruckt Dahin
gehören noch als Quellen die Acten des h. Saba und NMas ferner Eunapms . Jord nes
Orosius, Arnnnanus Isidor -c. In jener Schrift veröffentlichte Wach zuerst den Bericht des
Auxentius, der sich als Nandschrift in dem pariser Codex 8uxMmMt wtw Ur. 594 vorfand
und für die Biographie des Ulfilas von größter Bedeutung ist.
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[0005] Ulfilas.*) Bon C. Kirchner. Auf der einen Seite römisches Jmperatorenthum in das Gebiet des Glaubens übertragen, auf der anderen die Forderung nationaler Selbständig¬ keit auch in religiösen Dingen; dort eine hierarchische Dictatur, die das mensch¬ liche Gewissen einstrickt und zusammenschnürt, die jeden Culturfortschritt des aufstrebenden Geistes mit Fluch und Bann belegt, hier Denkfreiheit und wissen¬ schaftliche Forschung; dort ein weltlicher Sinn im Gewand des Geistes, der eines Patrimonium Petri, reicher Einkünfte u. f. rv. nicht glaubt entbehren zu können', ja der am liebsten alle Hilfsmittel des Staates sich dienstbar machen möchte, hier ein Staat, der alle Wege frei macht zum Wettlauf nach der Wahrheit und in ihm ohne Prunk und Pracht abseits vom großen Markte des Lebens ein Streit des Geistes mit geistigen Mitteln, ein Ringen nach Erkenntnis um der Erkenntnis willen — das find die Gegensätze im Culturkampf unserer Tage, Gegensätze aber, die zugleich tief begründet find im römischen und deutschen Charakter und den geschichtlichen Bedingungen dieser beiden Völkerstämme. Konnte auch in den ersten Jahrhunderten des Christenthums von einem Auflehnen der geistlichen Gewalt gegen die weltliche, wie wir es jetzt erleben, nicht die Rede sein, so wurden doch unsere Vor¬ fahren schon damals, als sie die erste Verkündigung des Evangeliums emvfin- 3^u. durch einen ähnlichen, langsam sich erweiternden Riß von der Kirche des römische« Reichs getrennt. ') Die ältere Literatur findet sich vollständigsten be^ ^^2^^ lich w wen^ ist in Vorbereitung. (Während des Drucks erschienen. D- Red. T^^^Ä^ Stellt aus den ^mM^Sozomenus und Theodoret sind bei Wach: Leben und Lehr des Ulfilas abgedruckt Dahin gehören noch als Quellen die Acten des h. Saba und NMas ferner Eunapms . Jord nes Orosius, Arnnnanus Isidor -c. In jener Schrift veröffentlichte Wach zuerst den Bericht des Auxentius, der sich als Nandschrift in dem pariser Codex 8uxMmMt wtw Ur. 594 vorfand und für die Biographie des Ulfilas von größter Bedeutung ist. Grenzboten IV. 1875.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/5>, abgerufen am 01.07.2024.