Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

reich gleich dem der Schweiz zum Untergang der Fürsten und des Adels
führen würde."

Sobald die Reformation das Evangelium in die Hände der Bauern ge¬
legt hatte, forderten sie die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Anerken¬
nung ihrer alten Rechte im Namen der "christlichen Freiheit". Wie diesseits
des Rheines geschah dieß auch jenseits. Ueberall verlangte man infolge der
Reformation energisch seine natürlichen Rechte. Freiheit, Duldung, Gleichheit
vor dem Gesetze u. s. w. zurück. Eine große Menge Schriften aus dieser
Zeit enthalten diese Ansprüche. Unser Verfasser nennt nur die berühmte
Flugschrift Languet's: "^null IZruti eeltae, Vincliemv contra l^raimos"
und den Dialog: "vo 1'a.utoi'it6 du prinev et as 1a likortö^äos peuplos."

Diese Ideen, welche die Grundlage der modernen Freiheiten bilden, haben
allezeit im Protestantismus beredte Vertheidiger gefunden. Der Prediger
Jurieu hat sie gegen Bossuet vertheidigt, und Locke hat sie in wissenschaftlicher
Form auseinander gesetzt. Von ihm haben sie Montesquieu, Voltaire und
die politischen Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts entnommen, und
so wurden sie der Ausgangspunkt der französischen Revolution. Aber lange
vorher schon hatten sie mit dauerndem Erfolge in protestantischen Staaten,
zunächst in Holland, dann in England und vor Allem in Amerika Anwen¬
dung gefunden.

Das berühmte Edict vom 16. Juli 1581, durch welches die Generalstaaten
der Niederlande die Absetzung des Königs von Spanien verkündigen, erklärt
mit deutlichen Worten die Souveränetät des Volkes (die wir Deutschen bei¬
läufig bis auf Weiteres nicht wollen, weil wir sie nicht brauchen können).
Um einen König zu entthronen, mußten sie nothwendig dieses Prinzip anrufen.
"Die Unterthanen", so sagen sie dort, "sind nicht für den Fürsten von Gott
geschaffen, um ihm in allem, was ihm zu befehlen beliebt, zu gehorchen,
sondern der Fürst ist vielmehr für die Unterthanen geschaffen, ohne welche er
kein Fürst sein könnte, um sie nach Recht und Vernunft zu regieren." Das
Edict fügt hinzu, daß die Landesbewohner genöthigt gewesen seien, um sich
der Tyrannei des Tyrannen zu entziehen, ihm den Gehorsam aufzukündigen.
"Es bleibt ihnen kein anderes Mittel, als dieses, zur Erhaltung ihrer alten
Freiheit und derjenigen ihrer Weiber, Kinder und Nachkommen, für die sie
nach dem Rechte der Natur verpflichtet sind, ihr Leben und ihr Gut zu wa¬
gen." Die englische Revolution von 1L48 vollzog sich im Namen derselben
Grundsätze. Milton und die andern Republikaner dieser Epoche haben sie mit
großer Geistesschärfe und Entschiedenheit vertheidigt.

Wir sind gewohnt, vor den berühmten Principien der französischen Re¬
volution von 1789 den Hut abzunehmen. Der Verfasser nennt das einen
schweren Irrthum, indem er sagt: "In Frankreich hat man beredte Reden


reich gleich dem der Schweiz zum Untergang der Fürsten und des Adels
führen würde."

Sobald die Reformation das Evangelium in die Hände der Bauern ge¬
legt hatte, forderten sie die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Anerken¬
nung ihrer alten Rechte im Namen der „christlichen Freiheit". Wie diesseits
des Rheines geschah dieß auch jenseits. Ueberall verlangte man infolge der
Reformation energisch seine natürlichen Rechte. Freiheit, Duldung, Gleichheit
vor dem Gesetze u. s. w. zurück. Eine große Menge Schriften aus dieser
Zeit enthalten diese Ansprüche. Unser Verfasser nennt nur die berühmte
Flugschrift Languet's: „^null IZruti eeltae, Vincliemv contra l^raimos"
und den Dialog: „vo 1'a.utoi'it6 du prinev et as 1a likortö^äos peuplos."

Diese Ideen, welche die Grundlage der modernen Freiheiten bilden, haben
allezeit im Protestantismus beredte Vertheidiger gefunden. Der Prediger
Jurieu hat sie gegen Bossuet vertheidigt, und Locke hat sie in wissenschaftlicher
Form auseinander gesetzt. Von ihm haben sie Montesquieu, Voltaire und
die politischen Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts entnommen, und
so wurden sie der Ausgangspunkt der französischen Revolution. Aber lange
vorher schon hatten sie mit dauerndem Erfolge in protestantischen Staaten,
zunächst in Holland, dann in England und vor Allem in Amerika Anwen¬
dung gefunden.

Das berühmte Edict vom 16. Juli 1581, durch welches die Generalstaaten
der Niederlande die Absetzung des Königs von Spanien verkündigen, erklärt
mit deutlichen Worten die Souveränetät des Volkes (die wir Deutschen bei¬
läufig bis auf Weiteres nicht wollen, weil wir sie nicht brauchen können).
Um einen König zu entthronen, mußten sie nothwendig dieses Prinzip anrufen.
„Die Unterthanen", so sagen sie dort, „sind nicht für den Fürsten von Gott
geschaffen, um ihm in allem, was ihm zu befehlen beliebt, zu gehorchen,
sondern der Fürst ist vielmehr für die Unterthanen geschaffen, ohne welche er
kein Fürst sein könnte, um sie nach Recht und Vernunft zu regieren." Das
Edict fügt hinzu, daß die Landesbewohner genöthigt gewesen seien, um sich
der Tyrannei des Tyrannen zu entziehen, ihm den Gehorsam aufzukündigen.
„Es bleibt ihnen kein anderes Mittel, als dieses, zur Erhaltung ihrer alten
Freiheit und derjenigen ihrer Weiber, Kinder und Nachkommen, für die sie
nach dem Rechte der Natur verpflichtet sind, ihr Leben und ihr Gut zu wa¬
gen." Die englische Revolution von 1L48 vollzog sich im Namen derselben
Grundsätze. Milton und die andern Republikaner dieser Epoche haben sie mit
großer Geistesschärfe und Entschiedenheit vertheidigt.

Wir sind gewohnt, vor den berühmten Principien der französischen Re¬
volution von 1789 den Hut abzunehmen. Der Verfasser nennt das einen
schweren Irrthum, indem er sagt: „In Frankreich hat man beredte Reden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134404"/>
          <p xml:id="ID_134" prev="#ID_133"> reich gleich dem der Schweiz zum Untergang der Fürsten und des Adels<lb/>
führen würde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_135"> Sobald die Reformation das Evangelium in die Hände der Bauern ge¬<lb/>
legt hatte, forderten sie die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Anerken¬<lb/>
nung ihrer alten Rechte im Namen der &#x201E;christlichen Freiheit". Wie diesseits<lb/>
des Rheines geschah dieß auch jenseits. Ueberall verlangte man infolge der<lb/>
Reformation energisch seine natürlichen Rechte. Freiheit, Duldung, Gleichheit<lb/>
vor dem Gesetze u. s. w. zurück. Eine große Menge Schriften aus dieser<lb/>
Zeit enthalten diese Ansprüche. Unser Verfasser nennt nur die berühmte<lb/>
Flugschrift Languet's: &#x201E;^null IZruti eeltae, Vincliemv contra l^raimos"<lb/>
und den Dialog: &#x201E;vo 1'a.utoi'it6 du prinev et as 1a likortö^äos peuplos."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_136"> Diese Ideen, welche die Grundlage der modernen Freiheiten bilden, haben<lb/>
allezeit im Protestantismus beredte Vertheidiger gefunden. Der Prediger<lb/>
Jurieu hat sie gegen Bossuet vertheidigt, und Locke hat sie in wissenschaftlicher<lb/>
Form auseinander gesetzt. Von ihm haben sie Montesquieu, Voltaire und<lb/>
die politischen Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts entnommen, und<lb/>
so wurden sie der Ausgangspunkt der französischen Revolution. Aber lange<lb/>
vorher schon hatten sie mit dauerndem Erfolge in protestantischen Staaten,<lb/>
zunächst in Holland, dann in England und vor Allem in Amerika Anwen¬<lb/>
dung gefunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_137"> Das berühmte Edict vom 16. Juli 1581, durch welches die Generalstaaten<lb/>
der Niederlande die Absetzung des Königs von Spanien verkündigen, erklärt<lb/>
mit deutlichen Worten die Souveränetät des Volkes (die wir Deutschen bei¬<lb/>
läufig bis auf Weiteres nicht wollen, weil wir sie nicht brauchen können).<lb/>
Um einen König zu entthronen, mußten sie nothwendig dieses Prinzip anrufen.<lb/>
&#x201E;Die Unterthanen", so sagen sie dort, &#x201E;sind nicht für den Fürsten von Gott<lb/>
geschaffen, um ihm in allem, was ihm zu befehlen beliebt, zu gehorchen,<lb/>
sondern der Fürst ist vielmehr für die Unterthanen geschaffen, ohne welche er<lb/>
kein Fürst sein könnte, um sie nach Recht und Vernunft zu regieren." Das<lb/>
Edict fügt hinzu, daß die Landesbewohner genöthigt gewesen seien, um sich<lb/>
der Tyrannei des Tyrannen zu entziehen, ihm den Gehorsam aufzukündigen.<lb/>
&#x201E;Es bleibt ihnen kein anderes Mittel, als dieses, zur Erhaltung ihrer alten<lb/>
Freiheit und derjenigen ihrer Weiber, Kinder und Nachkommen, für die sie<lb/>
nach dem Rechte der Natur verpflichtet sind, ihr Leben und ihr Gut zu wa¬<lb/>
gen." Die englische Revolution von 1L48 vollzog sich im Namen derselben<lb/>
Grundsätze. Milton und die andern Republikaner dieser Epoche haben sie mit<lb/>
großer Geistesschärfe und Entschiedenheit vertheidigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_138" next="#ID_139"> Wir sind gewohnt, vor den berühmten Principien der französischen Re¬<lb/>
volution von 1789 den Hut abzunehmen. Der Verfasser nennt das einen<lb/>
schweren Irrthum, indem er sagt: &#x201E;In Frankreich hat man beredte Reden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0058] reich gleich dem der Schweiz zum Untergang der Fürsten und des Adels führen würde." Sobald die Reformation das Evangelium in die Hände der Bauern ge¬ legt hatte, forderten sie die Abschaffung der Leibeigenschaft und die Anerken¬ nung ihrer alten Rechte im Namen der „christlichen Freiheit". Wie diesseits des Rheines geschah dieß auch jenseits. Ueberall verlangte man infolge der Reformation energisch seine natürlichen Rechte. Freiheit, Duldung, Gleichheit vor dem Gesetze u. s. w. zurück. Eine große Menge Schriften aus dieser Zeit enthalten diese Ansprüche. Unser Verfasser nennt nur die berühmte Flugschrift Languet's: „^null IZruti eeltae, Vincliemv contra l^raimos" und den Dialog: „vo 1'a.utoi'it6 du prinev et as 1a likortö^äos peuplos." Diese Ideen, welche die Grundlage der modernen Freiheiten bilden, haben allezeit im Protestantismus beredte Vertheidiger gefunden. Der Prediger Jurieu hat sie gegen Bossuet vertheidigt, und Locke hat sie in wissenschaftlicher Form auseinander gesetzt. Von ihm haben sie Montesquieu, Voltaire und die politischen Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts entnommen, und so wurden sie der Ausgangspunkt der französischen Revolution. Aber lange vorher schon hatten sie mit dauerndem Erfolge in protestantischen Staaten, zunächst in Holland, dann in England und vor Allem in Amerika Anwen¬ dung gefunden. Das berühmte Edict vom 16. Juli 1581, durch welches die Generalstaaten der Niederlande die Absetzung des Königs von Spanien verkündigen, erklärt mit deutlichen Worten die Souveränetät des Volkes (die wir Deutschen bei¬ läufig bis auf Weiteres nicht wollen, weil wir sie nicht brauchen können). Um einen König zu entthronen, mußten sie nothwendig dieses Prinzip anrufen. „Die Unterthanen", so sagen sie dort, „sind nicht für den Fürsten von Gott geschaffen, um ihm in allem, was ihm zu befehlen beliebt, zu gehorchen, sondern der Fürst ist vielmehr für die Unterthanen geschaffen, ohne welche er kein Fürst sein könnte, um sie nach Recht und Vernunft zu regieren." Das Edict fügt hinzu, daß die Landesbewohner genöthigt gewesen seien, um sich der Tyrannei des Tyrannen zu entziehen, ihm den Gehorsam aufzukündigen. „Es bleibt ihnen kein anderes Mittel, als dieses, zur Erhaltung ihrer alten Freiheit und derjenigen ihrer Weiber, Kinder und Nachkommen, für die sie nach dem Rechte der Natur verpflichtet sind, ihr Leben und ihr Gut zu wa¬ gen." Die englische Revolution von 1L48 vollzog sich im Namen derselben Grundsätze. Milton und die andern Republikaner dieser Epoche haben sie mit großer Geistesschärfe und Entschiedenheit vertheidigt. Wir sind gewohnt, vor den berühmten Principien der französischen Re¬ volution von 1789 den Hut abzunehmen. Der Verfasser nennt das einen schweren Irrthum, indem er sagt: „In Frankreich hat man beredte Reden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/58
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/58>, abgerufen am 22.07.2024.