Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

über seine Unterthanen habe. So geht man einer Regierung ähnlich der in
der Schweiz und dem Sturze der monarchischen Verfassung des Königreiches
entgegen."

"Die Geistlichen", sagt Montluc, "predigen, daß die Könige keine andere
Macht haben könnten als die, welche dem Volke gefiele, andere predigten, daß
der Adel nicht mehr sei, als sie selbst." Da sehen wir deutlich den auf Frei¬
heit und Gleichheit gerichteten Hauch des Calvinismus. Tavannes kam häufig
auf den demokratischen Geist der Hugenotten zurück. "Es sind", sagt er, "in
den königlichen Staaten Republiken, die ihre getrennten Mittel, Kriegsleute
und Finanzen haben und ein demokratisches Volksregiment aufrichten wollen."
Der große Rechtsgelehrte Dumoulin klagte die protestantischen Pastoren vor
dein Parlament an, indem er sagte: "Sie haben keine andere Absicht, als
Frankreich zu einem Volksstaat und einer Republik gleich der von Genf zu
Aachen, von wo sie den Grafen und den Bischof vertrieben haben, und sie
bemühen sich gleichermaßen, das Recht der Erstgebornen abzuschaffen, indem
sie die Gemeinen den Edlen und die nachgebornen den Erstgebornen gleich¬
stellen wollen, da sie allesammt Kinder Adams und durch göttliches und na¬
türliches Recht gleich seien." Das sind offenbar die Ideen der französischen
Revolution, und wenn Frankreich im sechszehnten Jahrhundert die Reformation
^genommen hätte, so würde es sich von da an der Freiheit und Selbstre¬
gierung erfreut haben.

Man hat dem protestantischen Adel den Vorwurf gemacht, Frankreich
W kleine republikanische Staaten, wie die der Schweiz, zu zertheilen, und man
hat es der Ligue als Verdienst angerechnet, die französische Einheit erhalten
zu haben. Die Thatsache ist richtig; ob der Tadel berechtigt ist. wird sich
bis zu einem gewissen Maße bestreikn lassen. Die Hugenotten wollten in
der That die locale Autonomie, die Decentralisation und ein föderales Re¬
giment, welches die communalen und provinziellen Freiheiten achtete. Das
^ aber noch jetzt das, was man in Frankreich vergeblich erstrebt; die blinde
^'denschaft der Mehrzahl, die auf ungegliederte Einheit und Einförmigkeit
sichtet ist, war es, die jede Revolution scheitern ließ und immer den Despo¬
tismus wieder an das Staatsruder brachte.

Calvin will, daß "der Diener des heiligen Evangeliums mit Einwilligung
und Gutheißung des Volkes gewählt werde, die Pastoren sollen bei der Wahl
den Vorsitz führen." Dieß ist die Regierung, welche seine Anhänger in Frank¬
reich einführen wollten. "Im Jahre 1620". sagt Tavannes. "war ihr Staat
^n wahrer Volksstaat, alle Gewalt war in den Händen der Bürgermeister
und der Prediger, und sie gaben davon dem Adel ihrer Partei nur scheinbar
einen Theil ab, so daß, wenn sie ihr Ziel erreichten, der Zustand Frank-


über seine Unterthanen habe. So geht man einer Regierung ähnlich der in
der Schweiz und dem Sturze der monarchischen Verfassung des Königreiches
entgegen."

„Die Geistlichen", sagt Montluc, „predigen, daß die Könige keine andere
Macht haben könnten als die, welche dem Volke gefiele, andere predigten, daß
der Adel nicht mehr sei, als sie selbst." Da sehen wir deutlich den auf Frei¬
heit und Gleichheit gerichteten Hauch des Calvinismus. Tavannes kam häufig
auf den demokratischen Geist der Hugenotten zurück. „Es sind", sagt er, „in
den königlichen Staaten Republiken, die ihre getrennten Mittel, Kriegsleute
und Finanzen haben und ein demokratisches Volksregiment aufrichten wollen."
Der große Rechtsgelehrte Dumoulin klagte die protestantischen Pastoren vor
dein Parlament an, indem er sagte: „Sie haben keine andere Absicht, als
Frankreich zu einem Volksstaat und einer Republik gleich der von Genf zu
Aachen, von wo sie den Grafen und den Bischof vertrieben haben, und sie
bemühen sich gleichermaßen, das Recht der Erstgebornen abzuschaffen, indem
sie die Gemeinen den Edlen und die nachgebornen den Erstgebornen gleich¬
stellen wollen, da sie allesammt Kinder Adams und durch göttliches und na¬
türliches Recht gleich seien." Das sind offenbar die Ideen der französischen
Revolution, und wenn Frankreich im sechszehnten Jahrhundert die Reformation
^genommen hätte, so würde es sich von da an der Freiheit und Selbstre¬
gierung erfreut haben.

Man hat dem protestantischen Adel den Vorwurf gemacht, Frankreich
W kleine republikanische Staaten, wie die der Schweiz, zu zertheilen, und man
hat es der Ligue als Verdienst angerechnet, die französische Einheit erhalten
zu haben. Die Thatsache ist richtig; ob der Tadel berechtigt ist. wird sich
bis zu einem gewissen Maße bestreikn lassen. Die Hugenotten wollten in
der That die locale Autonomie, die Decentralisation und ein föderales Re¬
giment, welches die communalen und provinziellen Freiheiten achtete. Das
^ aber noch jetzt das, was man in Frankreich vergeblich erstrebt; die blinde
^'denschaft der Mehrzahl, die auf ungegliederte Einheit und Einförmigkeit
sichtet ist, war es, die jede Revolution scheitern ließ und immer den Despo¬
tismus wieder an das Staatsruder brachte.

Calvin will, daß „der Diener des heiligen Evangeliums mit Einwilligung
und Gutheißung des Volkes gewählt werde, die Pastoren sollen bei der Wahl
den Vorsitz führen." Dieß ist die Regierung, welche seine Anhänger in Frank¬
reich einführen wollten. „Im Jahre 1620". sagt Tavannes. „war ihr Staat
^n wahrer Volksstaat, alle Gewalt war in den Händen der Bürgermeister
und der Prediger, und sie gaben davon dem Adel ihrer Partei nur scheinbar
einen Theil ab, so daß, wenn sie ihr Ziel erreichten, der Zustand Frank-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134403"/>
          <p xml:id="ID_130" prev="#ID_129"> über seine Unterthanen habe. So geht man einer Regierung ähnlich der in<lb/>
der Schweiz und dem Sturze der monarchischen Verfassung des Königreiches<lb/>
entgegen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_131"> &#x201E;Die Geistlichen", sagt Montluc, &#x201E;predigen, daß die Könige keine andere<lb/>
Macht haben könnten als die, welche dem Volke gefiele, andere predigten, daß<lb/>
der Adel nicht mehr sei, als sie selbst." Da sehen wir deutlich den auf Frei¬<lb/>
heit und Gleichheit gerichteten Hauch des Calvinismus. Tavannes kam häufig<lb/>
auf den demokratischen Geist der Hugenotten zurück.  &#x201E;Es sind", sagt er, &#x201E;in<lb/>
den königlichen Staaten Republiken, die ihre getrennten Mittel, Kriegsleute<lb/>
und Finanzen haben und ein demokratisches Volksregiment aufrichten wollen."<lb/>
Der große Rechtsgelehrte Dumoulin klagte die protestantischen Pastoren vor<lb/>
dein Parlament an, indem er sagte: &#x201E;Sie haben keine andere Absicht, als<lb/>
Frankreich zu einem Volksstaat und einer Republik gleich der von Genf zu<lb/>
Aachen, von wo sie den Grafen und den Bischof vertrieben haben, und sie<lb/>
bemühen sich gleichermaßen, das Recht der Erstgebornen abzuschaffen, indem<lb/>
sie die Gemeinen den Edlen und die nachgebornen den Erstgebornen gleich¬<lb/>
stellen wollen, da sie allesammt Kinder Adams und durch göttliches und na¬<lb/>
türliches Recht gleich seien."  Das sind offenbar die Ideen der französischen<lb/>
Revolution, und wenn Frankreich im sechszehnten Jahrhundert die Reformation<lb/>
^genommen hätte, so würde es sich von da an der Freiheit und Selbstre¬<lb/>
gierung erfreut haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_132"> Man hat dem protestantischen Adel den Vorwurf gemacht, Frankreich<lb/>
W kleine republikanische Staaten, wie die der Schweiz, zu zertheilen, und man<lb/>
hat es der Ligue als Verdienst angerechnet, die französische Einheit erhalten<lb/>
zu haben. Die Thatsache ist richtig; ob der Tadel berechtigt ist. wird sich<lb/>
bis zu einem gewissen Maße bestreikn lassen. Die Hugenotten wollten in<lb/>
der That die locale Autonomie, die Decentralisation und ein föderales Re¬<lb/>
giment, welches die communalen und provinziellen Freiheiten achtete. Das<lb/>
^ aber noch jetzt das, was man in Frankreich vergeblich erstrebt; die blinde<lb/>
^'denschaft der Mehrzahl, die auf ungegliederte Einheit und Einförmigkeit<lb/>
sichtet ist, war es, die jede Revolution scheitern ließ und immer den Despo¬<lb/>
tismus wieder an das Staatsruder brachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_133" next="#ID_134"> Calvin will, daß &#x201E;der Diener des heiligen Evangeliums mit Einwilligung<lb/>
und Gutheißung des Volkes gewählt werde, die Pastoren sollen bei der Wahl<lb/>
den Vorsitz führen." Dieß ist die Regierung, welche seine Anhänger in Frank¬<lb/>
reich einführen wollten. &#x201E;Im Jahre 1620". sagt Tavannes. &#x201E;war ihr Staat<lb/>
^n wahrer Volksstaat, alle Gewalt war in den Händen der Bürgermeister<lb/>
und der Prediger, und sie gaben davon dem Adel ihrer Partei nur scheinbar<lb/>
einen Theil ab, so daß, wenn sie ihr Ziel erreichten, der Zustand Frank-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] über seine Unterthanen habe. So geht man einer Regierung ähnlich der in der Schweiz und dem Sturze der monarchischen Verfassung des Königreiches entgegen." „Die Geistlichen", sagt Montluc, „predigen, daß die Könige keine andere Macht haben könnten als die, welche dem Volke gefiele, andere predigten, daß der Adel nicht mehr sei, als sie selbst." Da sehen wir deutlich den auf Frei¬ heit und Gleichheit gerichteten Hauch des Calvinismus. Tavannes kam häufig auf den demokratischen Geist der Hugenotten zurück. „Es sind", sagt er, „in den königlichen Staaten Republiken, die ihre getrennten Mittel, Kriegsleute und Finanzen haben und ein demokratisches Volksregiment aufrichten wollen." Der große Rechtsgelehrte Dumoulin klagte die protestantischen Pastoren vor dein Parlament an, indem er sagte: „Sie haben keine andere Absicht, als Frankreich zu einem Volksstaat und einer Republik gleich der von Genf zu Aachen, von wo sie den Grafen und den Bischof vertrieben haben, und sie bemühen sich gleichermaßen, das Recht der Erstgebornen abzuschaffen, indem sie die Gemeinen den Edlen und die nachgebornen den Erstgebornen gleich¬ stellen wollen, da sie allesammt Kinder Adams und durch göttliches und na¬ türliches Recht gleich seien." Das sind offenbar die Ideen der französischen Revolution, und wenn Frankreich im sechszehnten Jahrhundert die Reformation ^genommen hätte, so würde es sich von da an der Freiheit und Selbstre¬ gierung erfreut haben. Man hat dem protestantischen Adel den Vorwurf gemacht, Frankreich W kleine republikanische Staaten, wie die der Schweiz, zu zertheilen, und man hat es der Ligue als Verdienst angerechnet, die französische Einheit erhalten zu haben. Die Thatsache ist richtig; ob der Tadel berechtigt ist. wird sich bis zu einem gewissen Maße bestreikn lassen. Die Hugenotten wollten in der That die locale Autonomie, die Decentralisation und ein föderales Re¬ giment, welches die communalen und provinziellen Freiheiten achtete. Das ^ aber noch jetzt das, was man in Frankreich vergeblich erstrebt; die blinde ^'denschaft der Mehrzahl, die auf ungegliederte Einheit und Einförmigkeit sichtet ist, war es, die jede Revolution scheitern ließ und immer den Despo¬ tismus wieder an das Staatsruder brachte. Calvin will, daß „der Diener des heiligen Evangeliums mit Einwilligung und Gutheißung des Volkes gewählt werde, die Pastoren sollen bei der Wahl den Vorsitz führen." Dieß ist die Regierung, welche seine Anhänger in Frank¬ reich einführen wollten. „Im Jahre 1620". sagt Tavannes. „war ihr Staat ^n wahrer Volksstaat, alle Gewalt war in den Händen der Bürgermeister und der Prediger, und sie gaben davon dem Adel ihrer Partei nur scheinbar einen Theil ab, so daß, wenn sie ihr Ziel erreichten, der Zustand Frank-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/57
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/57>, abgerufen am 22.07.2024.