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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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den Stuhl der Pythia gerufen. Ich halte es aber für besser, den wohl¬
thätigen Einfluß der Weihnachtsferien durch keinerlei Erwägung unerwünschter
Möglichkeiten zu gefährden. Was jene specielle Frage anbetrifft, so wird sie
sich von selbst wieder aufdrängen, und ich sage nicht, daß ich der Einladung
0 --r. der Redaktion bei nächster Gelegenheit nicht folge.





Parlamentarisches und statistisches.

Unsere Abgeordneten im deutschen Reichstag fahren fort zu deklamiren
und Bußpredigten zu halten, wie einst Sanct Johannes in der Wüste, und
auch so ziemlich mit gleichem Erfolge resp. Nicht-Erfolge. Namentlich die
Sitzungen vom 10. und 11. Dezember legen Zeugniß ab von der ungeheuren
Redseligkeit dieser Herren, die nahezu an altweibische Schwatzhaftigkeit grenzt.
Wie früher der Pfarrer von Hagenau, so haben sich jetzt die Abbe's Simonis
und Winterer in dieser Hinsicht auf das Rühmlichste hervorgethan. Der
Pfarrer von Mülhausen hat sich nicht weniger als siebenmal in einer Sitzung
zum Worte gemeldet und es auch erhalten. Das ist doch alles, was man
von einem Abgeordneten verlangen kann. Da möchte man beinahe fragen:
"Wann werdet ihr Poeten des Dichtens einmal müd'? Wann ist einst
ausgesungen das alte ewige Lied?" Denn daß es etwas höchst Lang¬
weiliges und Widerwärtiges an sich hat, so die alten Erbsen, nachdem sie
im Lande selbst schon längst zum größten Theil verdaut sind, immer wieder
aufs Neue aufgewärmt zu sehen, -- Fragen, die nun schon zum hundert
neun und neunzigsten Male vor dem Forum der Oeffentlichkeit in ihrem Pro
und Contra discutirt und zum Theil endgültig entschieden worden, in dem
salbungsvollsten Kanzelton von der Welt weitläufig erörtert zu hören -- das
wird man wohl am Ende zugeben müssen.

Freilich ist es weit bequemer und erquicklicher, "vor dem Angesichts von
Europa" zu bramarbasiren und zu protestiren, als sich den etwas anstrengen¬
den und trockenen Commissions-Arbeiten zu unterziehen, die zu keines Menschen
Ohr gelangen. Deshalb scheinen denn auch die Herren Abgeordneten grund¬
sätzlich diese Commissions-Sitzungen zu -- "schwarzen", um mich eines be¬
zeichnenden Ausdruckes aus dem bilderreichen Studentenlexicon zu bedienen.


den Stuhl der Pythia gerufen. Ich halte es aber für besser, den wohl¬
thätigen Einfluß der Weihnachtsferien durch keinerlei Erwägung unerwünschter
Möglichkeiten zu gefährden. Was jene specielle Frage anbetrifft, so wird sie
sich von selbst wieder aufdrängen, und ich sage nicht, daß ich der Einladung
0 —r. der Redaktion bei nächster Gelegenheit nicht folge.





Parlamentarisches und statistisches.

Unsere Abgeordneten im deutschen Reichstag fahren fort zu deklamiren
und Bußpredigten zu halten, wie einst Sanct Johannes in der Wüste, und
auch so ziemlich mit gleichem Erfolge resp. Nicht-Erfolge. Namentlich die
Sitzungen vom 10. und 11. Dezember legen Zeugniß ab von der ungeheuren
Redseligkeit dieser Herren, die nahezu an altweibische Schwatzhaftigkeit grenzt.
Wie früher der Pfarrer von Hagenau, so haben sich jetzt die Abbe's Simonis
und Winterer in dieser Hinsicht auf das Rühmlichste hervorgethan. Der
Pfarrer von Mülhausen hat sich nicht weniger als siebenmal in einer Sitzung
zum Worte gemeldet und es auch erhalten. Das ist doch alles, was man
von einem Abgeordneten verlangen kann. Da möchte man beinahe fragen:
„Wann werdet ihr Poeten des Dichtens einmal müd'? Wann ist einst
ausgesungen das alte ewige Lied?" Denn daß es etwas höchst Lang¬
weiliges und Widerwärtiges an sich hat, so die alten Erbsen, nachdem sie
im Lande selbst schon längst zum größten Theil verdaut sind, immer wieder
aufs Neue aufgewärmt zu sehen, — Fragen, die nun schon zum hundert
neun und neunzigsten Male vor dem Forum der Oeffentlichkeit in ihrem Pro
und Contra discutirt und zum Theil endgültig entschieden worden, in dem
salbungsvollsten Kanzelton von der Welt weitläufig erörtert zu hören — das
wird man wohl am Ende zugeben müssen.

Freilich ist es weit bequemer und erquicklicher, „vor dem Angesichts von
Europa" zu bramarbasiren und zu protestiren, als sich den etwas anstrengen¬
den und trockenen Commissions-Arbeiten zu unterziehen, die zu keines Menschen
Ohr gelangen. Deshalb scheinen denn auch die Herren Abgeordneten grund¬
sätzlich diese Commissions-Sitzungen zu — „schwarzen", um mich eines be¬
zeichnenden Ausdruckes aus dem bilderreichen Studentenlexicon zu bedienen.


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[0521] den Stuhl der Pythia gerufen. Ich halte es aber für besser, den wohl¬ thätigen Einfluß der Weihnachtsferien durch keinerlei Erwägung unerwünschter Möglichkeiten zu gefährden. Was jene specielle Frage anbetrifft, so wird sie sich von selbst wieder aufdrängen, und ich sage nicht, daß ich der Einladung 0 —r. der Redaktion bei nächster Gelegenheit nicht folge. Parlamentarisches und statistisches. Unsere Abgeordneten im deutschen Reichstag fahren fort zu deklamiren und Bußpredigten zu halten, wie einst Sanct Johannes in der Wüste, und auch so ziemlich mit gleichem Erfolge resp. Nicht-Erfolge. Namentlich die Sitzungen vom 10. und 11. Dezember legen Zeugniß ab von der ungeheuren Redseligkeit dieser Herren, die nahezu an altweibische Schwatzhaftigkeit grenzt. Wie früher der Pfarrer von Hagenau, so haben sich jetzt die Abbe's Simonis und Winterer in dieser Hinsicht auf das Rühmlichste hervorgethan. Der Pfarrer von Mülhausen hat sich nicht weniger als siebenmal in einer Sitzung zum Worte gemeldet und es auch erhalten. Das ist doch alles, was man von einem Abgeordneten verlangen kann. Da möchte man beinahe fragen: „Wann werdet ihr Poeten des Dichtens einmal müd'? Wann ist einst ausgesungen das alte ewige Lied?" Denn daß es etwas höchst Lang¬ weiliges und Widerwärtiges an sich hat, so die alten Erbsen, nachdem sie im Lande selbst schon längst zum größten Theil verdaut sind, immer wieder aufs Neue aufgewärmt zu sehen, — Fragen, die nun schon zum hundert neun und neunzigsten Male vor dem Forum der Oeffentlichkeit in ihrem Pro und Contra discutirt und zum Theil endgültig entschieden worden, in dem salbungsvollsten Kanzelton von der Welt weitläufig erörtert zu hören — das wird man wohl am Ende zugeben müssen. Freilich ist es weit bequemer und erquicklicher, „vor dem Angesichts von Europa" zu bramarbasiren und zu protestiren, als sich den etwas anstrengen¬ den und trockenen Commissions-Arbeiten zu unterziehen, die zu keines Menschen Ohr gelangen. Deshalb scheinen denn auch die Herren Abgeordneten grund¬ sätzlich diese Commissions-Sitzungen zu — „schwarzen", um mich eines be¬ zeichnenden Ausdruckes aus dem bilderreichen Studentenlexicon zu bedienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/521>, abgerufen am 22.07.2024.