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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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96,000 Ducati raubte. Er stand im Verkehr mit allen Briganten Süditaliens,
und wer einen Feind beiseite geschafft zu sehen wünschte, hatte sich nur an
ihn zu wenden. Die Zahl der von ihm eigenhändig Umgebrachten soll 60
bis 70 betragen haben. Seine Behendigkeit, Schlauheit und Unerschrocken-
heit waren erstaunlich. Er war ein vortrefflicher Reiter und Schütze, und das
Glück, mit dem er den größten Gefahren entschlüpfte, ließ das Volk ihn als
einen Gefeiten betrachten. Obschon er Priester war und gelegentlich die Funk¬
tionen eines solchen ausübte, war er ein Freidenker, der seine Amtsbruder,
ohne Zweifel mit Recht, für glaubenslose Betrüger ansah. Er verbot den
Missionspredigern bei Todesstrafe, sich in den Dörfern seiner Gegend blicken
zu lassen, "weil sie statt der wahren Grundsätze des Evangeliums nichts als
Fabeln und Täuschungen lehrten." Man rühmte ihm die Gabe der Bered¬
samkeit und zugleich außerordentliche physische Kraft nach. An allen Orten,
die er durchzog, hatte er Maitressen. AIs König Ferdinand auf den Thron
Neapels zurückkehrte, rief er alle wegen ihrer politischen Vergehungen Ver¬
triebenen heim. Ciro versuchte auch als ein solcher zu gelten, aber es erging
sofort ein neuer Befehl zu seiner Verhaftung, und jetzt trat er, nachdem er
sich derselben durch die Flucht entzogen, an die Spitze der Decisi, mit deren
Hülfe er der Regierung lange Zeit Trotz bot und allerhand Unthaten an den
Anhängern derselben verübte, bis man endlich den General Church gegen die
Secte sandte, dessen Truppen Ciro in einem befestigten Bauernhause bei Fran-
cavilla belagerten und schließlich zur Ergebung zwangen. Ein Kriegsgericht
verurtheilte ihn zu Pulver und Blei. Ein Priester bot ihm die letzten
Tröstungen der Religion an. Er wies ihn lächelnd mit den Worten zurück:
"Keine Possen, wir sind von demselben Handwerk, lachen wir einander nicht
in die Gesichter." Auf der zur Hinrichtung bestimmten Stelle angekommen,
wollte er stehend sterben. Man hieß ihn mit dem Rücken den Soldaten zu¬
gekehrt niederknien, dann fiel er, von zwanzig Kugeln getroffen, starb aber erst,
als man ihm noch eine silberne Kugel, und zwar aus seinem eignen Gewehre,
durch den Kopf jagte. "Er war gefeit, und der Zauber ließ sich nur auf
diese Weise brechen", meinte einer von der Executionsmannschaft später sehr
ernsthaft. Nach Ciro wurden noch 130 Decisi erschossen und ihre Köpfe auf
Stangen gesteckt. Die Farben der Decisi waren Blau, Roth und Gelb. Sie
stellten ihren Bundesbrüdern Certificate aus, die mit zwei Siegeln versehen
waren, von welchen das obere einen Todtenkopf mit einer phrygischen Mütze
und daneben zwei Beile, das untere Blitzstrahlen zeigt, die auf eine Königs¬
krone und die Tiara herniederzuckten. Die Großmeister der Logen hatten die
Befugniß Todesurtheile auszusprechen und vollziehen zu lassen. Wenn sie
an jemand schrieben, um ihm Contributionen abzupressen, so fügten sie, falls


Grenzboten IV. 1875. 63

96,000 Ducati raubte. Er stand im Verkehr mit allen Briganten Süditaliens,
und wer einen Feind beiseite geschafft zu sehen wünschte, hatte sich nur an
ihn zu wenden. Die Zahl der von ihm eigenhändig Umgebrachten soll 60
bis 70 betragen haben. Seine Behendigkeit, Schlauheit und Unerschrocken-
heit waren erstaunlich. Er war ein vortrefflicher Reiter und Schütze, und das
Glück, mit dem er den größten Gefahren entschlüpfte, ließ das Volk ihn als
einen Gefeiten betrachten. Obschon er Priester war und gelegentlich die Funk¬
tionen eines solchen ausübte, war er ein Freidenker, der seine Amtsbruder,
ohne Zweifel mit Recht, für glaubenslose Betrüger ansah. Er verbot den
Missionspredigern bei Todesstrafe, sich in den Dörfern seiner Gegend blicken
zu lassen, „weil sie statt der wahren Grundsätze des Evangeliums nichts als
Fabeln und Täuschungen lehrten." Man rühmte ihm die Gabe der Bered¬
samkeit und zugleich außerordentliche physische Kraft nach. An allen Orten,
die er durchzog, hatte er Maitressen. AIs König Ferdinand auf den Thron
Neapels zurückkehrte, rief er alle wegen ihrer politischen Vergehungen Ver¬
triebenen heim. Ciro versuchte auch als ein solcher zu gelten, aber es erging
sofort ein neuer Befehl zu seiner Verhaftung, und jetzt trat er, nachdem er
sich derselben durch die Flucht entzogen, an die Spitze der Decisi, mit deren
Hülfe er der Regierung lange Zeit Trotz bot und allerhand Unthaten an den
Anhängern derselben verübte, bis man endlich den General Church gegen die
Secte sandte, dessen Truppen Ciro in einem befestigten Bauernhause bei Fran-
cavilla belagerten und schließlich zur Ergebung zwangen. Ein Kriegsgericht
verurtheilte ihn zu Pulver und Blei. Ein Priester bot ihm die letzten
Tröstungen der Religion an. Er wies ihn lächelnd mit den Worten zurück:
„Keine Possen, wir sind von demselben Handwerk, lachen wir einander nicht
in die Gesichter." Auf der zur Hinrichtung bestimmten Stelle angekommen,
wollte er stehend sterben. Man hieß ihn mit dem Rücken den Soldaten zu¬
gekehrt niederknien, dann fiel er, von zwanzig Kugeln getroffen, starb aber erst,
als man ihm noch eine silberne Kugel, und zwar aus seinem eignen Gewehre,
durch den Kopf jagte. „Er war gefeit, und der Zauber ließ sich nur auf
diese Weise brechen", meinte einer von der Executionsmannschaft später sehr
ernsthaft. Nach Ciro wurden noch 130 Decisi erschossen und ihre Köpfe auf
Stangen gesteckt. Die Farben der Decisi waren Blau, Roth und Gelb. Sie
stellten ihren Bundesbrüdern Certificate aus, die mit zwei Siegeln versehen
waren, von welchen das obere einen Todtenkopf mit einer phrygischen Mütze
und daneben zwei Beile, das untere Blitzstrahlen zeigt, die auf eine Königs¬
krone und die Tiara herniederzuckten. Die Großmeister der Logen hatten die
Befugniß Todesurtheile auszusprechen und vollziehen zu lassen. Wenn sie
an jemand schrieben, um ihm Contributionen abzupressen, so fügten sie, falls


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/501>, abgerufen am 22.07.2024.