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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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freilich darf man sich nicht allzusehr in utopischen Erwartungen wiegen und
etwa in der Meinung befangen sein, daß das Aufhören des türkischen un¬
mittelbaren Einflusses den Anfang sofortiger Blüthe bedeuten werde. Eine
schwere Erziehungsaufgabe des höhnisch-herzegowinischen Volkes ist zuvörderst
zu erfüllen und die Umwandlung der Provinzen zu productionsreichen und
consumtionsstarken Gebieten wird manches Opfer und reichlichen Aufwand
erfordern, ganz abgesehen von dem Umstände, daß mancherlei politische Stre¬
bungen alsbald zur Geltung kommen werden. Und diese Strebungen würden
auch von unmittelbarer Wirkung auf Dalmatien sein und können entscheidend
werden für dessen Zukunft; von der Küste geht zwar die Richtung landein¬
wärts, aber auch vom Binnenlande strebt man nach der See. Welche Rich¬
tung wird dann die stärkere sein? Kann ein selbstständiges oder auch nur
ein suzeränes Staatengebilde im nordöstlichen Theile der Balkanhalbinsel auf
den Anspruch nach Seeküste ganz verzichten? Und wenn wirklich der gro߬
serbische Traum bestimmte, greifbare Formen gewinnt, würde der Druck des
neuen Staates nicht schwer auf dem schmalen Dalmatien lasten? Und wo
wäre der ausgleichende Gegendruck; doch nicht unter den slavischen Stammes¬
genossen §

Diese Fragen schweben über Dalmatien und sie sind ernst. Voraus¬
ahnend den möglichen Gang der Ereignisse, wenn einmal der orientalische
Zersetzungsprozeß in Fluß gerathen ist, wird daher von mancher Seite die
Nothwendigkeit betont, in der Erweiterung der Grenzen Oesterreichs liege der
Schutz gegen die angedeuteten Eventualitäten. Aber nicht nur die harte
Mühe dieser opfervoller Mission flößt Bedenken ein, da noch innerhalb der
Marken der Monarchie so manche nicht weniger schwierige Culturarbeit voll¬
bracht werden muß. sondern auch die staatsrechtliche Seite der Angelegenheit
zeigt sich überreich an Schwierigkeiten. Das zur Annexion bezeichnete Land
ist gerade groß genug, um als sprengten für die dualistische Form der
Monarchie zu dienen. Was man in Pest fürchtete, als man auf Dalmatien
gern verzichtete, würde dann unfehlbar eintreten und der kroatische Gedanke,
jetzt schon in der Form eines südslavischen Complexes wäre nimmer zu bannen.
Der Dualismus erweitert sich zur Trias und mit einem Schlage wäre das
ganze Heer föderalistischer Sonderpläne los. um die Neugestaltung der
Monarchie auf einer Basis zu versuchen, welche von einer großen Gruppe
perhorrescirt wird; denn die Deutschen in Oesterreich wissen recht gut, daß
der Ansturm der Föderalisten gegen sie gerichtet ist, und daß man nach
ihrem Erbe die lüsterne Hand ausstreckt, nach dem Erbe, welches in jahr¬
hundertlanger Arbeit von ihnen erworben ward und in dessen Besitz sie bis¬
her bemüht waren, den österreichischen Staatsgedanken als die Vermittlung


freilich darf man sich nicht allzusehr in utopischen Erwartungen wiegen und
etwa in der Meinung befangen sein, daß das Aufhören des türkischen un¬
mittelbaren Einflusses den Anfang sofortiger Blüthe bedeuten werde. Eine
schwere Erziehungsaufgabe des höhnisch-herzegowinischen Volkes ist zuvörderst
zu erfüllen und die Umwandlung der Provinzen zu productionsreichen und
consumtionsstarken Gebieten wird manches Opfer und reichlichen Aufwand
erfordern, ganz abgesehen von dem Umstände, daß mancherlei politische Stre¬
bungen alsbald zur Geltung kommen werden. Und diese Strebungen würden
auch von unmittelbarer Wirkung auf Dalmatien sein und können entscheidend
werden für dessen Zukunft; von der Küste geht zwar die Richtung landein¬
wärts, aber auch vom Binnenlande strebt man nach der See. Welche Rich¬
tung wird dann die stärkere sein? Kann ein selbstständiges oder auch nur
ein suzeränes Staatengebilde im nordöstlichen Theile der Balkanhalbinsel auf
den Anspruch nach Seeküste ganz verzichten? Und wenn wirklich der gro߬
serbische Traum bestimmte, greifbare Formen gewinnt, würde der Druck des
neuen Staates nicht schwer auf dem schmalen Dalmatien lasten? Und wo
wäre der ausgleichende Gegendruck; doch nicht unter den slavischen Stammes¬
genossen §

Diese Fragen schweben über Dalmatien und sie sind ernst. Voraus¬
ahnend den möglichen Gang der Ereignisse, wenn einmal der orientalische
Zersetzungsprozeß in Fluß gerathen ist, wird daher von mancher Seite die
Nothwendigkeit betont, in der Erweiterung der Grenzen Oesterreichs liege der
Schutz gegen die angedeuteten Eventualitäten. Aber nicht nur die harte
Mühe dieser opfervoller Mission flößt Bedenken ein, da noch innerhalb der
Marken der Monarchie so manche nicht weniger schwierige Culturarbeit voll¬
bracht werden muß. sondern auch die staatsrechtliche Seite der Angelegenheit
zeigt sich überreich an Schwierigkeiten. Das zur Annexion bezeichnete Land
ist gerade groß genug, um als sprengten für die dualistische Form der
Monarchie zu dienen. Was man in Pest fürchtete, als man auf Dalmatien
gern verzichtete, würde dann unfehlbar eintreten und der kroatische Gedanke,
jetzt schon in der Form eines südslavischen Complexes wäre nimmer zu bannen.
Der Dualismus erweitert sich zur Trias und mit einem Schlage wäre das
ganze Heer föderalistischer Sonderpläne los. um die Neugestaltung der
Monarchie auf einer Basis zu versuchen, welche von einer großen Gruppe
perhorrescirt wird; denn die Deutschen in Oesterreich wissen recht gut, daß
der Ansturm der Föderalisten gegen sie gerichtet ist, und daß man nach
ihrem Erbe die lüsterne Hand ausstreckt, nach dem Erbe, welches in jahr¬
hundertlanger Arbeit von ihnen erworben ward und in dessen Besitz sie bis¬
her bemüht waren, den österreichischen Staatsgedanken als die Vermittlung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/495>, abgerufen am 24.08.2024.