Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Parole der nächsten Wahlen lauten: Hie Bismarck! hie nationalliberal!
Oder die nationalliberale Partei müßte bis zur nächsten Wahl zerfallen und
der Name müßte allein auf den an der Politik des Reichskanzlers festhal¬
tenden Theil übergegangen sein.

Da der Antrag Hoffmann formell abgelehnt worden, und folglich die
Majorität formell noch für den Reichskanzler ist, so könnte, wenn eine das
Zerwürfniß vermeidende Behandlung bei der Strafrechtsnovelle gefunden
würde, der angedeutete Verlauf aufgehalten werden. In der That sind je¬
doch die Elemente, welche die jetzige nationalliberale Partei bilden, so dis-
parat, daß die Trennung derselben früher oder später doch unvermeidlich ist/)
Der größte Theil der Partei ist liberal-conservattv; geführt wird aber die
Partei in der Regel von höchst talentvollen Männern, von denen die Mehr¬
zahl nach ihren politischen Grundsätzen die Fortschrittspartei führen sollte.
Dieser Zustand ist eine Mahnung, daß wir keineswegs das Recht haben,
uns über die Coalition der Centren in Versailles mit ihren widerspruchs¬
vollen Ergebnissen lustig zu machen, wie wir zu thun pflegen.

Die beiden letzten Sitzungen dieser Woche betrafen die Ausgaben für
Elsaß-Lothringen, auf die zurückzukommen in anderm Zusammenhange Ge¬
0 -- r. legenheit sein wird.




Weihnachtsbücherschau.

Fünfundzwanzig neue Blätter aus "Albert Hendschel's Skizzen¬
buch"! Das war eine der erfreulichsten dießjährigen Weihnachtsüber¬
raschungen. Mit den früher erschienenen Heften zusammen enthält nun die
ganze Sammlung hundert Blatt. Es wird wenige Künstler .'geben, die es
wagen dürfen, eine so große Anzahl ihrer Skizzen herauszugeben, ohne dem
ungestümen Ruf der Kritik zu begegnen: Manier, Manier! oder -- was noch
schlimmer ist, namentlich für den Verleger solcher Kunstartikel -- sang- und
klanglos zum Orcus hinabzusteigen. Hendschel's neue Skizzenbuchblätter da¬
gegen liefern nur einen neuen Beleg zu der alten Wahrheit, daß kein Künstler
tieferen Eindruck hervorbringt und sich mehr frei hält von Manier, als der¬
jenige, der nur nach der Natur schafft. Daß dieß Hendschel's Streben, das
Geheimniß seiner plötzlichen und stets steigenden Popularität in Deutschland
ist, haben wir eingehend dargelegt in jenem ersten größeren Artikel, in dem



D. Red. ") Aber wann? In Monaten oder Jahrzehnten?

die Parole der nächsten Wahlen lauten: Hie Bismarck! hie nationalliberal!
Oder die nationalliberale Partei müßte bis zur nächsten Wahl zerfallen und
der Name müßte allein auf den an der Politik des Reichskanzlers festhal¬
tenden Theil übergegangen sein.

Da der Antrag Hoffmann formell abgelehnt worden, und folglich die
Majorität formell noch für den Reichskanzler ist, so könnte, wenn eine das
Zerwürfniß vermeidende Behandlung bei der Strafrechtsnovelle gefunden
würde, der angedeutete Verlauf aufgehalten werden. In der That sind je¬
doch die Elemente, welche die jetzige nationalliberale Partei bilden, so dis-
parat, daß die Trennung derselben früher oder später doch unvermeidlich ist/)
Der größte Theil der Partei ist liberal-conservattv; geführt wird aber die
Partei in der Regel von höchst talentvollen Männern, von denen die Mehr¬
zahl nach ihren politischen Grundsätzen die Fortschrittspartei führen sollte.
Dieser Zustand ist eine Mahnung, daß wir keineswegs das Recht haben,
uns über die Coalition der Centren in Versailles mit ihren widerspruchs¬
vollen Ergebnissen lustig zu machen, wie wir zu thun pflegen.

Die beiden letzten Sitzungen dieser Woche betrafen die Ausgaben für
Elsaß-Lothringen, auf die zurückzukommen in anderm Zusammenhange Ge¬
0 — r. legenheit sein wird.




Weihnachtsbücherschau.

Fünfundzwanzig neue Blätter aus „Albert Hendschel's Skizzen¬
buch"! Das war eine der erfreulichsten dießjährigen Weihnachtsüber¬
raschungen. Mit den früher erschienenen Heften zusammen enthält nun die
ganze Sammlung hundert Blatt. Es wird wenige Künstler .'geben, die es
wagen dürfen, eine so große Anzahl ihrer Skizzen herauszugeben, ohne dem
ungestümen Ruf der Kritik zu begegnen: Manier, Manier! oder — was noch
schlimmer ist, namentlich für den Verleger solcher Kunstartikel — sang- und
klanglos zum Orcus hinabzusteigen. Hendschel's neue Skizzenbuchblätter da¬
gegen liefern nur einen neuen Beleg zu der alten Wahrheit, daß kein Künstler
tieferen Eindruck hervorbringt und sich mehr frei hält von Manier, als der¬
jenige, der nur nach der Natur schafft. Daß dieß Hendschel's Streben, das
Geheimniß seiner plötzlichen und stets steigenden Popularität in Deutschland
ist, haben wir eingehend dargelegt in jenem ersten größeren Artikel, in dem



D. Red. ") Aber wann? In Monaten oder Jahrzehnten?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134828"/>
          <p xml:id="ID_1483" prev="#ID_1482"> die Parole der nächsten Wahlen lauten: Hie Bismarck! hie nationalliberal!<lb/>
Oder die nationalliberale Partei müßte bis zur nächsten Wahl zerfallen und<lb/>
der Name müßte allein auf den an der Politik des Reichskanzlers festhal¬<lb/>
tenden Theil übergegangen sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1484"> Da der Antrag Hoffmann formell abgelehnt worden, und folglich die<lb/>
Majorität formell noch für den Reichskanzler ist, so könnte, wenn eine das<lb/>
Zerwürfniß vermeidende Behandlung bei der Strafrechtsnovelle gefunden<lb/>
würde, der angedeutete Verlauf aufgehalten werden. In der That sind je¬<lb/>
doch die Elemente, welche die jetzige nationalliberale Partei bilden, so dis-<lb/>
parat, daß die Trennung derselben früher oder später doch unvermeidlich ist/)<lb/>
Der größte Theil der Partei ist liberal-conservattv; geführt wird aber die<lb/>
Partei in der Regel von höchst talentvollen Männern, von denen die Mehr¬<lb/>
zahl nach ihren politischen Grundsätzen die Fortschrittspartei führen sollte.<lb/>
Dieser Zustand ist eine Mahnung, daß wir keineswegs das Recht haben,<lb/>
uns über die Coalition der Centren in Versailles mit ihren widerspruchs¬<lb/>
vollen Ergebnissen lustig zu machen, wie wir zu thun pflegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1485"> Die beiden letzten Sitzungen dieser Woche betrafen die Ausgaben für<lb/>
Elsaß-Lothringen, auf die zurückzukommen in anderm Zusammenhange Ge¬<lb/><note type="byline"> 0 &#x2014; r.</note> legenheit sein wird. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Weihnachtsbücherschau.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1486" next="#ID_1487"> Fünfundzwanzig neue Blätter aus &#x201E;Albert Hendschel's Skizzen¬<lb/>
buch"! Das war eine der erfreulichsten dießjährigen Weihnachtsüber¬<lb/>
raschungen. Mit den früher erschienenen Heften zusammen enthält nun die<lb/>
ganze Sammlung hundert Blatt. Es wird wenige Künstler .'geben, die es<lb/>
wagen dürfen, eine so große Anzahl ihrer Skizzen herauszugeben, ohne dem<lb/>
ungestümen Ruf der Kritik zu begegnen: Manier, Manier! oder &#x2014; was noch<lb/>
schlimmer ist, namentlich für den Verleger solcher Kunstartikel &#x2014; sang- und<lb/>
klanglos zum Orcus hinabzusteigen. Hendschel's neue Skizzenbuchblätter da¬<lb/>
gegen liefern nur einen neuen Beleg zu der alten Wahrheit, daß kein Künstler<lb/>
tieferen Eindruck hervorbringt und sich mehr frei hält von Manier, als der¬<lb/>
jenige, der nur nach der Natur schafft. Daß dieß Hendschel's Streben, das<lb/>
Geheimniß seiner plötzlichen und stets steigenden Popularität in Deutschland<lb/>
ist, haben wir eingehend dargelegt in jenem ersten größeren Artikel, in dem</p><lb/>
          <note xml:id="FID_136" place="foot"><note type="byline"> D. Red.</note> ") Aber wann? In Monaten oder Jahrzehnten? </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0482] die Parole der nächsten Wahlen lauten: Hie Bismarck! hie nationalliberal! Oder die nationalliberale Partei müßte bis zur nächsten Wahl zerfallen und der Name müßte allein auf den an der Politik des Reichskanzlers festhal¬ tenden Theil übergegangen sein. Da der Antrag Hoffmann formell abgelehnt worden, und folglich die Majorität formell noch für den Reichskanzler ist, so könnte, wenn eine das Zerwürfniß vermeidende Behandlung bei der Strafrechtsnovelle gefunden würde, der angedeutete Verlauf aufgehalten werden. In der That sind je¬ doch die Elemente, welche die jetzige nationalliberale Partei bilden, so dis- parat, daß die Trennung derselben früher oder später doch unvermeidlich ist/) Der größte Theil der Partei ist liberal-conservattv; geführt wird aber die Partei in der Regel von höchst talentvollen Männern, von denen die Mehr¬ zahl nach ihren politischen Grundsätzen die Fortschrittspartei führen sollte. Dieser Zustand ist eine Mahnung, daß wir keineswegs das Recht haben, uns über die Coalition der Centren in Versailles mit ihren widerspruchs¬ vollen Ergebnissen lustig zu machen, wie wir zu thun pflegen. Die beiden letzten Sitzungen dieser Woche betrafen die Ausgaben für Elsaß-Lothringen, auf die zurückzukommen in anderm Zusammenhange Ge¬ 0 — r. legenheit sein wird. Weihnachtsbücherschau. Fünfundzwanzig neue Blätter aus „Albert Hendschel's Skizzen¬ buch"! Das war eine der erfreulichsten dießjährigen Weihnachtsüber¬ raschungen. Mit den früher erschienenen Heften zusammen enthält nun die ganze Sammlung hundert Blatt. Es wird wenige Künstler .'geben, die es wagen dürfen, eine so große Anzahl ihrer Skizzen herauszugeben, ohne dem ungestümen Ruf der Kritik zu begegnen: Manier, Manier! oder — was noch schlimmer ist, namentlich für den Verleger solcher Kunstartikel — sang- und klanglos zum Orcus hinabzusteigen. Hendschel's neue Skizzenbuchblätter da¬ gegen liefern nur einen neuen Beleg zu der alten Wahrheit, daß kein Künstler tieferen Eindruck hervorbringt und sich mehr frei hält von Manier, als der¬ jenige, der nur nach der Natur schafft. Daß dieß Hendschel's Streben, das Geheimniß seiner plötzlichen und stets steigenden Popularität in Deutschland ist, haben wir eingehend dargelegt in jenem ersten größeren Artikel, in dem D. Red. ") Aber wann? In Monaten oder Jahrzehnten?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/482
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/482>, abgerufen am 03.07.2024.