Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wir den Künstler vor zwei Jahren dem Leserkreis der Grenzboten zum ersten
Mal vorführten. Wir begegnen auf den ernsten und heitern Blättern durch¬
weg neuen Gestalten, neuen Situationen; auf keinem verleugnet sich die
Eigenart des Künstlers; und dennoch ruft der Beschauer bet jedem entzückt
aus: das hast Du auch schon gesehen -- das ist unmittelbar der Natur
abgelauscht. Ja, wenn die zu lyrischen Scenen verwendeten Mädchengestalten
der ersten Lieferungen, namentlich in den Gestchtszügen, eine gewisse starke
Aehnlichkeit zeigten, die wohlwollende Freunde des Künstlers veranlassen
konnte, ihm eine Erweiterung seiner darstellungsfähigen Damenbekanntschaft
zu wünschen, und wenn der fränkische, fast Goethe'sche Schnitt vieler Kinder-
gestchter in jenen ersten Lieferungen gleichfalls auf einen geringen Vorrath
an Modellen hinwies, so ist in den neuesten Blättern dagegen ein reicher
Wechsel an typischen Zügen bei Mädchen, Kind und Mann bemerklich. Die
Karrikatur, die auf einigen der früheren Blätter stark hervortrat, ist hier
gänzlich vermieden. Dagegen ist die vis eomioa des Hendschel'schen Griffels
kaum jemals so glänzend hervorgetreten, wie in dieser neuesten Sammlung.
Niemand wird den Knaben, der beim Hersagen seiner lateinischen Verden das
Nesthäkchen am Hemdchen hält bei den ersten Laufversuchen, oder den Kegel¬
jungen, den eine böse Kugel ans Bein getroffen, oder den Schweinezüchter,
der zwei starrsinnige Ferkel in den zu diesem Zwecke mitgebrachten Sack des
Söhnchens hineinzubecomplimentiren versucht, oder den sonntäglichen Schniepel,
der sich auf eine frischgestrichne Bank in den Anlagen gesetzt hat, -- ohne die
größte Heiterkeit betrachten können. Andere Gestalten dieser neuen Blätter
Hendschel's werden rasch ebenso zu allgemein bekannten und verwendeten
Typen werden, wie die Casetiere und das Zeitungsmädchen und viele andere
frühere Bilder. Wir möchten der schuhbindenden Gemüsefrau, dem schultern¬
den kleinen Bahnwärtermädel, den drei Roccocoblättern und den Kindern im
Regen hauptsächlich dieses Schicksal prophezeien. Die Feinheit und Reinheit
der Zeichnungen Hendschel's wird durch die zwei Blätter zu Aschenbrödel,
welche diese Sammlung in Photographien nach der Originalzeichnung uns
vorführt, ganz besonders deutlich gemacht. Denn Diejenigen, denen früher
Hendschel's Bildercyclus zu Aschenbrödel im Holzschnitt bekannt geworden,
werden geradezu erstaunen, wieviel diese bedeutenden Bilder durch den Holz¬
schnitt verloren haben, wie hoch die Originale, die uns die Photographie hier
vermittelt, über jenen Bildern stehen, die trotz ihrer Verballhornung durch die
ungelenke Hand des Xylographen den Namen des Künstlers zuerst bekannt
machten. Ein Theil des Lobes und der Anerkennung, welche die nun voll¬
ständige Sammlung "Aus Albert Hendschel's Skizzenbuch" erregt, gebührt aber
auch dem Verleger Herrn Prestel zu Frankfurt aM. der das Unternehmen
im Vertrauen auf den guten Geschmack und den Kunstsinn des deutschen


wir den Künstler vor zwei Jahren dem Leserkreis der Grenzboten zum ersten
Mal vorführten. Wir begegnen auf den ernsten und heitern Blättern durch¬
weg neuen Gestalten, neuen Situationen; auf keinem verleugnet sich die
Eigenart des Künstlers; und dennoch ruft der Beschauer bet jedem entzückt
aus: das hast Du auch schon gesehen — das ist unmittelbar der Natur
abgelauscht. Ja, wenn die zu lyrischen Scenen verwendeten Mädchengestalten
der ersten Lieferungen, namentlich in den Gestchtszügen, eine gewisse starke
Aehnlichkeit zeigten, die wohlwollende Freunde des Künstlers veranlassen
konnte, ihm eine Erweiterung seiner darstellungsfähigen Damenbekanntschaft
zu wünschen, und wenn der fränkische, fast Goethe'sche Schnitt vieler Kinder-
gestchter in jenen ersten Lieferungen gleichfalls auf einen geringen Vorrath
an Modellen hinwies, so ist in den neuesten Blättern dagegen ein reicher
Wechsel an typischen Zügen bei Mädchen, Kind und Mann bemerklich. Die
Karrikatur, die auf einigen der früheren Blätter stark hervortrat, ist hier
gänzlich vermieden. Dagegen ist die vis eomioa des Hendschel'schen Griffels
kaum jemals so glänzend hervorgetreten, wie in dieser neuesten Sammlung.
Niemand wird den Knaben, der beim Hersagen seiner lateinischen Verden das
Nesthäkchen am Hemdchen hält bei den ersten Laufversuchen, oder den Kegel¬
jungen, den eine böse Kugel ans Bein getroffen, oder den Schweinezüchter,
der zwei starrsinnige Ferkel in den zu diesem Zwecke mitgebrachten Sack des
Söhnchens hineinzubecomplimentiren versucht, oder den sonntäglichen Schniepel,
der sich auf eine frischgestrichne Bank in den Anlagen gesetzt hat, — ohne die
größte Heiterkeit betrachten können. Andere Gestalten dieser neuen Blätter
Hendschel's werden rasch ebenso zu allgemein bekannten und verwendeten
Typen werden, wie die Casetiere und das Zeitungsmädchen und viele andere
frühere Bilder. Wir möchten der schuhbindenden Gemüsefrau, dem schultern¬
den kleinen Bahnwärtermädel, den drei Roccocoblättern und den Kindern im
Regen hauptsächlich dieses Schicksal prophezeien. Die Feinheit und Reinheit
der Zeichnungen Hendschel's wird durch die zwei Blätter zu Aschenbrödel,
welche diese Sammlung in Photographien nach der Originalzeichnung uns
vorführt, ganz besonders deutlich gemacht. Denn Diejenigen, denen früher
Hendschel's Bildercyclus zu Aschenbrödel im Holzschnitt bekannt geworden,
werden geradezu erstaunen, wieviel diese bedeutenden Bilder durch den Holz¬
schnitt verloren haben, wie hoch die Originale, die uns die Photographie hier
vermittelt, über jenen Bildern stehen, die trotz ihrer Verballhornung durch die
ungelenke Hand des Xylographen den Namen des Künstlers zuerst bekannt
machten. Ein Theil des Lobes und der Anerkennung, welche die nun voll¬
ständige Sammlung „Aus Albert Hendschel's Skizzenbuch" erregt, gebührt aber
auch dem Verleger Herrn Prestel zu Frankfurt aM. der das Unternehmen
im Vertrauen auf den guten Geschmack und den Kunstsinn des deutschen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134829"/>
          <p xml:id="ID_1487" prev="#ID_1486" next="#ID_1488"> wir den Künstler vor zwei Jahren dem Leserkreis der Grenzboten zum ersten<lb/>
Mal vorführten.  Wir begegnen auf den ernsten und heitern Blättern durch¬<lb/>
weg neuen Gestalten, neuen Situationen; auf keinem verleugnet sich die<lb/>
Eigenart des Künstlers; und dennoch ruft der Beschauer bet jedem entzückt<lb/>
aus: das hast Du auch schon gesehen &#x2014; das ist unmittelbar der Natur<lb/>
abgelauscht.  Ja, wenn die zu lyrischen Scenen verwendeten Mädchengestalten<lb/>
der ersten Lieferungen, namentlich in den Gestchtszügen, eine gewisse starke<lb/>
Aehnlichkeit zeigten, die wohlwollende Freunde des Künstlers veranlassen<lb/>
konnte, ihm eine Erweiterung seiner darstellungsfähigen Damenbekanntschaft<lb/>
zu wünschen, und wenn der fränkische, fast Goethe'sche Schnitt vieler Kinder-<lb/>
gestchter in jenen ersten Lieferungen gleichfalls auf einen geringen Vorrath<lb/>
an Modellen hinwies, so ist in den neuesten Blättern dagegen ein reicher<lb/>
Wechsel an typischen Zügen bei Mädchen, Kind und Mann bemerklich. Die<lb/>
Karrikatur, die auf einigen der früheren Blätter stark hervortrat, ist hier<lb/>
gänzlich vermieden.  Dagegen ist die vis eomioa des Hendschel'schen Griffels<lb/>
kaum jemals so glänzend hervorgetreten, wie in dieser neuesten Sammlung.<lb/>
Niemand wird den Knaben, der beim Hersagen seiner lateinischen Verden das<lb/>
Nesthäkchen am Hemdchen hält bei den ersten Laufversuchen, oder den Kegel¬<lb/>
jungen, den eine böse Kugel ans Bein getroffen, oder den Schweinezüchter,<lb/>
der zwei starrsinnige Ferkel in den zu diesem Zwecke mitgebrachten Sack des<lb/>
Söhnchens hineinzubecomplimentiren versucht, oder den sonntäglichen Schniepel,<lb/>
der sich auf eine frischgestrichne Bank in den Anlagen gesetzt hat, &#x2014; ohne die<lb/>
größte Heiterkeit betrachten können. Andere Gestalten dieser neuen Blätter<lb/>
Hendschel's werden rasch ebenso zu allgemein bekannten und verwendeten<lb/>
Typen werden, wie die Casetiere und das Zeitungsmädchen und viele andere<lb/>
frühere Bilder. Wir möchten der schuhbindenden Gemüsefrau, dem schultern¬<lb/>
den kleinen Bahnwärtermädel, den drei Roccocoblättern und den Kindern im<lb/>
Regen hauptsächlich dieses Schicksal prophezeien.  Die Feinheit und Reinheit<lb/>
der Zeichnungen Hendschel's wird durch die zwei Blätter zu Aschenbrödel,<lb/>
welche diese Sammlung in Photographien nach der Originalzeichnung uns<lb/>
vorführt, ganz besonders deutlich gemacht. Denn Diejenigen, denen früher<lb/>
Hendschel's Bildercyclus zu Aschenbrödel im Holzschnitt bekannt geworden,<lb/>
werden geradezu erstaunen, wieviel diese bedeutenden Bilder durch den Holz¬<lb/>
schnitt verloren haben, wie hoch die Originale, die uns die Photographie hier<lb/>
vermittelt, über jenen Bildern stehen, die trotz ihrer Verballhornung durch die<lb/>
ungelenke Hand des Xylographen den Namen des Künstlers zuerst bekannt<lb/>
machten. Ein Theil des Lobes und der Anerkennung, welche die nun voll¬<lb/>
ständige Sammlung &#x201E;Aus Albert Hendschel's Skizzenbuch" erregt, gebührt aber<lb/>
auch dem Verleger Herrn Prestel zu Frankfurt aM. der das Unternehmen<lb/>
im Vertrauen auf den guten Geschmack und den Kunstsinn des deutschen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] wir den Künstler vor zwei Jahren dem Leserkreis der Grenzboten zum ersten Mal vorführten. Wir begegnen auf den ernsten und heitern Blättern durch¬ weg neuen Gestalten, neuen Situationen; auf keinem verleugnet sich die Eigenart des Künstlers; und dennoch ruft der Beschauer bet jedem entzückt aus: das hast Du auch schon gesehen — das ist unmittelbar der Natur abgelauscht. Ja, wenn die zu lyrischen Scenen verwendeten Mädchengestalten der ersten Lieferungen, namentlich in den Gestchtszügen, eine gewisse starke Aehnlichkeit zeigten, die wohlwollende Freunde des Künstlers veranlassen konnte, ihm eine Erweiterung seiner darstellungsfähigen Damenbekanntschaft zu wünschen, und wenn der fränkische, fast Goethe'sche Schnitt vieler Kinder- gestchter in jenen ersten Lieferungen gleichfalls auf einen geringen Vorrath an Modellen hinwies, so ist in den neuesten Blättern dagegen ein reicher Wechsel an typischen Zügen bei Mädchen, Kind und Mann bemerklich. Die Karrikatur, die auf einigen der früheren Blätter stark hervortrat, ist hier gänzlich vermieden. Dagegen ist die vis eomioa des Hendschel'schen Griffels kaum jemals so glänzend hervorgetreten, wie in dieser neuesten Sammlung. Niemand wird den Knaben, der beim Hersagen seiner lateinischen Verden das Nesthäkchen am Hemdchen hält bei den ersten Laufversuchen, oder den Kegel¬ jungen, den eine böse Kugel ans Bein getroffen, oder den Schweinezüchter, der zwei starrsinnige Ferkel in den zu diesem Zwecke mitgebrachten Sack des Söhnchens hineinzubecomplimentiren versucht, oder den sonntäglichen Schniepel, der sich auf eine frischgestrichne Bank in den Anlagen gesetzt hat, — ohne die größte Heiterkeit betrachten können. Andere Gestalten dieser neuen Blätter Hendschel's werden rasch ebenso zu allgemein bekannten und verwendeten Typen werden, wie die Casetiere und das Zeitungsmädchen und viele andere frühere Bilder. Wir möchten der schuhbindenden Gemüsefrau, dem schultern¬ den kleinen Bahnwärtermädel, den drei Roccocoblättern und den Kindern im Regen hauptsächlich dieses Schicksal prophezeien. Die Feinheit und Reinheit der Zeichnungen Hendschel's wird durch die zwei Blätter zu Aschenbrödel, welche diese Sammlung in Photographien nach der Originalzeichnung uns vorführt, ganz besonders deutlich gemacht. Denn Diejenigen, denen früher Hendschel's Bildercyclus zu Aschenbrödel im Holzschnitt bekannt geworden, werden geradezu erstaunen, wieviel diese bedeutenden Bilder durch den Holz¬ schnitt verloren haben, wie hoch die Originale, die uns die Photographie hier vermittelt, über jenen Bildern stehen, die trotz ihrer Verballhornung durch die ungelenke Hand des Xylographen den Namen des Künstlers zuerst bekannt machten. Ein Theil des Lobes und der Anerkennung, welche die nun voll¬ ständige Sammlung „Aus Albert Hendschel's Skizzenbuch" erregt, gebührt aber auch dem Verleger Herrn Prestel zu Frankfurt aM. der das Unternehmen im Vertrauen auf den guten Geschmack und den Kunstsinn des deutschen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/483>, abgerufen am 03.07.2024.