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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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trag bestraft. In Sachsen von Amtswegen. Die Motive gehen von einem
ganz einseitigen Standpunkt aus, indem sie nur an das Gesinde denken.
Wirkliche Einheit der Rechtsprechung durch authentische Interpretation der
betr. Paragraphen war auf diesem Gebiete nothwendiger, als willkürliche
Neuerung.

Die norddeutsche Allgemeine Zeitung meinte in einem ihrer Artikel über
die Strafgesetznovelle, es sei Zeit, daß man das deutsche Strafrecht nach an¬
deren Erfordernissen einrichte, als denjenigen, welche vertheidigende Rechts¬
anwälte an das Strafrecht stellen. Nun von dieser Seite ist die deutsche Ju¬
stizgesetzgebung noch sehr wenig belästigt worden und am wenigsten in dem
Sinne, den die gedachte Zeitung von deutschen Vertheidigern erwartet. Die
Anwälte, die im deutschen Juristentag vertreten sind, haben im Gegentheil
eine Reihe von Beschlüssen mit gefaßt, welche die Novelle acceptirt hat.
Vielmehr ist sehr zu beklagen, daß das Reichskanzleramt sich das Ma¬
terial der fünfjährigen Erfahrungen in der Strafrechtspflege nach dem
deutschen Strafrecht nur von den Staatsanwälten und Richtern hat liefern
lassen, nicht auch von den Rechtsanwälten, welche hierbei mindestens mit der¬
selben Unbefangenheit und Unparteilichkeit mitgewirkt haben, als die Ver¬
treter der öffentlichen Anklage. Die nothwendigen Aenderungen des
Strafgesetzbuchs, und zwar nicht etwa im Interesse der Vertheidigung, sondern
im Interesse der öffentlichen Ordnung, im Interesse der Rechtseinheit und
Wissenschaftlichkeit des deutschen Strafrechtes, würden dadurch einen viel grö¬
ßeren Umfang gewonnen haben, als durch die vorliegende Novelle. Denn die
Vertheidigung würde noch mehr wie die Staatsanwaltschaft in der Lage ge¬
wesen sein, die Lücken des Strafgesetzbuchs unbefangen anzudeuten. Wo ist
z. B. die Bestimmung zu finden, die den Engrossisten in Kellerwechseln straft,
der Tausende jährlich verdient, indem er werthlose Accepte und Giri's in den
Handel bringt, für 1 bis 2 Procente Vergütung für jedes Hundert, das im
Wechsel verschrieben steht? Die Opfer, die von ihm solche Wechsel kaufen
und sie weiter geben, wandern wegen Betrugs ins Gefängniß. Er selbst
geht straflos und stolz einher. Wo ist die Bestimmung, die jenes straflose
Mittelding zwischen Hehlern und Begünstigern mit dem Arme der Justiz
erfaßt, welches sich Commis oder Geschäftsführer eines Trödlers oder Pfand¬
verleihers titulirt. Der Mann kauft mit Bewußtsein jahraus, jahrein un¬
redlich erworbene Sachen. Aber er selbst hat keinen Vortheil durch den An¬
kauf, kann also auch nicht als Hehler bestraft werden. Und noch ferner liegt
ihm der Dolus des Begünstigers, dem Thäter die Früchte der Strafthat zu
sichern oder ihn der Verfolgung zu entziehen.

Selbst weltbekannte Mängel, schwerempfundene, vom Reichstag und selbst
von den Vertretern der Bundesregierungen anerkannte Verstöße gegen die


trag bestraft. In Sachsen von Amtswegen. Die Motive gehen von einem
ganz einseitigen Standpunkt aus, indem sie nur an das Gesinde denken.
Wirkliche Einheit der Rechtsprechung durch authentische Interpretation der
betr. Paragraphen war auf diesem Gebiete nothwendiger, als willkürliche
Neuerung.

Die norddeutsche Allgemeine Zeitung meinte in einem ihrer Artikel über
die Strafgesetznovelle, es sei Zeit, daß man das deutsche Strafrecht nach an¬
deren Erfordernissen einrichte, als denjenigen, welche vertheidigende Rechts¬
anwälte an das Strafrecht stellen. Nun von dieser Seite ist die deutsche Ju¬
stizgesetzgebung noch sehr wenig belästigt worden und am wenigsten in dem
Sinne, den die gedachte Zeitung von deutschen Vertheidigern erwartet. Die
Anwälte, die im deutschen Juristentag vertreten sind, haben im Gegentheil
eine Reihe von Beschlüssen mit gefaßt, welche die Novelle acceptirt hat.
Vielmehr ist sehr zu beklagen, daß das Reichskanzleramt sich das Ma¬
terial der fünfjährigen Erfahrungen in der Strafrechtspflege nach dem
deutschen Strafrecht nur von den Staatsanwälten und Richtern hat liefern
lassen, nicht auch von den Rechtsanwälten, welche hierbei mindestens mit der¬
selben Unbefangenheit und Unparteilichkeit mitgewirkt haben, als die Ver¬
treter der öffentlichen Anklage. Die nothwendigen Aenderungen des
Strafgesetzbuchs, und zwar nicht etwa im Interesse der Vertheidigung, sondern
im Interesse der öffentlichen Ordnung, im Interesse der Rechtseinheit und
Wissenschaftlichkeit des deutschen Strafrechtes, würden dadurch einen viel grö¬
ßeren Umfang gewonnen haben, als durch die vorliegende Novelle. Denn die
Vertheidigung würde noch mehr wie die Staatsanwaltschaft in der Lage ge¬
wesen sein, die Lücken des Strafgesetzbuchs unbefangen anzudeuten. Wo ist
z. B. die Bestimmung zu finden, die den Engrossisten in Kellerwechseln straft,
der Tausende jährlich verdient, indem er werthlose Accepte und Giri's in den
Handel bringt, für 1 bis 2 Procente Vergütung für jedes Hundert, das im
Wechsel verschrieben steht? Die Opfer, die von ihm solche Wechsel kaufen
und sie weiter geben, wandern wegen Betrugs ins Gefängniß. Er selbst
geht straflos und stolz einher. Wo ist die Bestimmung, die jenes straflose
Mittelding zwischen Hehlern und Begünstigern mit dem Arme der Justiz
erfaßt, welches sich Commis oder Geschäftsführer eines Trödlers oder Pfand¬
verleihers titulirt. Der Mann kauft mit Bewußtsein jahraus, jahrein un¬
redlich erworbene Sachen. Aber er selbst hat keinen Vortheil durch den An¬
kauf, kann also auch nicht als Hehler bestraft werden. Und noch ferner liegt
ihm der Dolus des Begünstigers, dem Thäter die Früchte der Strafthat zu
sichern oder ihn der Verfolgung zu entziehen.

Selbst weltbekannte Mängel, schwerempfundene, vom Reichstag und selbst
von den Vertretern der Bundesregierungen anerkannte Verstöße gegen die


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[0454] trag bestraft. In Sachsen von Amtswegen. Die Motive gehen von einem ganz einseitigen Standpunkt aus, indem sie nur an das Gesinde denken. Wirkliche Einheit der Rechtsprechung durch authentische Interpretation der betr. Paragraphen war auf diesem Gebiete nothwendiger, als willkürliche Neuerung. Die norddeutsche Allgemeine Zeitung meinte in einem ihrer Artikel über die Strafgesetznovelle, es sei Zeit, daß man das deutsche Strafrecht nach an¬ deren Erfordernissen einrichte, als denjenigen, welche vertheidigende Rechts¬ anwälte an das Strafrecht stellen. Nun von dieser Seite ist die deutsche Ju¬ stizgesetzgebung noch sehr wenig belästigt worden und am wenigsten in dem Sinne, den die gedachte Zeitung von deutschen Vertheidigern erwartet. Die Anwälte, die im deutschen Juristentag vertreten sind, haben im Gegentheil eine Reihe von Beschlüssen mit gefaßt, welche die Novelle acceptirt hat. Vielmehr ist sehr zu beklagen, daß das Reichskanzleramt sich das Ma¬ terial der fünfjährigen Erfahrungen in der Strafrechtspflege nach dem deutschen Strafrecht nur von den Staatsanwälten und Richtern hat liefern lassen, nicht auch von den Rechtsanwälten, welche hierbei mindestens mit der¬ selben Unbefangenheit und Unparteilichkeit mitgewirkt haben, als die Ver¬ treter der öffentlichen Anklage. Die nothwendigen Aenderungen des Strafgesetzbuchs, und zwar nicht etwa im Interesse der Vertheidigung, sondern im Interesse der öffentlichen Ordnung, im Interesse der Rechtseinheit und Wissenschaftlichkeit des deutschen Strafrechtes, würden dadurch einen viel grö¬ ßeren Umfang gewonnen haben, als durch die vorliegende Novelle. Denn die Vertheidigung würde noch mehr wie die Staatsanwaltschaft in der Lage ge¬ wesen sein, die Lücken des Strafgesetzbuchs unbefangen anzudeuten. Wo ist z. B. die Bestimmung zu finden, die den Engrossisten in Kellerwechseln straft, der Tausende jährlich verdient, indem er werthlose Accepte und Giri's in den Handel bringt, für 1 bis 2 Procente Vergütung für jedes Hundert, das im Wechsel verschrieben steht? Die Opfer, die von ihm solche Wechsel kaufen und sie weiter geben, wandern wegen Betrugs ins Gefängniß. Er selbst geht straflos und stolz einher. Wo ist die Bestimmung, die jenes straflose Mittelding zwischen Hehlern und Begünstigern mit dem Arme der Justiz erfaßt, welches sich Commis oder Geschäftsführer eines Trödlers oder Pfand¬ verleihers titulirt. Der Mann kauft mit Bewußtsein jahraus, jahrein un¬ redlich erworbene Sachen. Aber er selbst hat keinen Vortheil durch den An¬ kauf, kann also auch nicht als Hehler bestraft werden. Und noch ferner liegt ihm der Dolus des Begünstigers, dem Thäter die Früchte der Strafthat zu sichern oder ihn der Verfolgung zu entziehen. Selbst weltbekannte Mängel, schwerempfundene, vom Reichstag und selbst von den Vertretern der Bundesregierungen anerkannte Verstöße gegen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/454>, abgerufen am 22.07.2024.