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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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schwere Körperverletzung herbeigeführt wird, der Privatklage entziehen.
Aber nicht die leichten Körperverletzungen. Wie sollte auch mit der öffent¬
lichen Anklage die weise Compensationsberechtigung von Beleidigung und
Körperverletzung vereinbar sein, welche § 233 zuläßt und die Novelle nicht
anzutasten wagt?

Für die Beseitigung des Privatstrafantrags bei Bedrohung und Nöthi¬
gung führen die Motive die Wahrnehmung an. daß Viele sich aus Furcht
vor dem Thäter zur Strafanzeige nicht entschließen könnten. Dieses Argu¬
ment hat viel von den spannenden Romanscenen an sich, in denen der
Autor seine Helden umbringt, nachdem er ihre letzten einsamen Augenblicke
geschildert. Der Kritiker fragt da: von wem hat der Mann das erfahren?
Ist das Argument aber überhaupt praktisch begründet, dann spricht es gegen die
Antragsdelicte überhaupt und bei Bedrohung und Nöthigung am meisten gegen
die öffentliche Anklage. Denn das Maß von Furcht und Schweigen des Verletzten
wird durch Androhung öffentlicher Ahndung dieser Deliete nur erheblich zunehmen.

Die Privatklage bei Diebstahl, Unterschlagung und Betrug in Lehrver¬
hältnissen soll nach den Motiven beseitigt werden, weil das gemeine deutsche
Strafrecht diese Art von Antragsvergehen nicht kennt, das Gesinde zur Fa¬
milie der Herrschaft nicht mehr gehören wolle und viele dieser Vergehen be¬
sonders schwer seien. Darauf ist einfach zu erwidern, daß das gemeine
deutsche Strafrecht das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich ist und nicht
jenes Sammelsurium von Pandektenstellen und Ueberbleibseln der Carolina,
welches in den Motiven dafür ausgegeben wird. Ferner: wenn die Dienst¬
boten und Hausangestellten sich nicht mehr als Hausgenossen betrachten wol¬
len, ist das ein Grund für den Gesetzgeber, die Lockerung dieser Verhältnisse
zu sanctioniren? Endlich, wenn schwere Fälle beim Hausdiebstähle u- s. w.
vorkommen, z. B. auch Einbruch, ist das ein Grund, den Privatantrag
auszuschließen? Liegt die ratio legis der jetzigen Bestimmung, wonach solche
Vergehen nur auf Antrag bestraft werden, denn in der Annahme, daß solche
schwere Fälle nicht denkbar seien? Läßt daß Gesetz nicht auch beim Nahrungs¬
mitteldiebstahl G 370.5) den Einbruch unbestraft, wenn nicht Strafantrag
Seiten des Verletzten gestellt wird? Was wir hier erwarteten, war nicht
eine Beseitigung der Privatklagbefugniß beim Hausdiebstahl u. s. w., sondern
die Anerkennung der Preußischen Judicatur über diese Paragraphen gegen¬
über derjenigen kleinerer Staaten, z. B. Sachsens. Die Preußische Judicatur
und Jurisprudenz (z. B. Oppenhoff und Meyer) entzieht der öffentlichen An¬
klage mit Recht alle Fälle von Diebstahl, Betrug und Unterschlagung,
welche von Personen gegen ihren Dienst verübt werden, "die sich in Lohn
oder Kost befinden". Denn das ist der Wortlaut des Gesetzes. In Preu¬
ßen wird daher auch z. B. die Unterschlagung von Commis nur auf An-
Grenb


zotm IV. 187S. 57

schwere Körperverletzung herbeigeführt wird, der Privatklage entziehen.
Aber nicht die leichten Körperverletzungen. Wie sollte auch mit der öffent¬
lichen Anklage die weise Compensationsberechtigung von Beleidigung und
Körperverletzung vereinbar sein, welche § 233 zuläßt und die Novelle nicht
anzutasten wagt?

Für die Beseitigung des Privatstrafantrags bei Bedrohung und Nöthi¬
gung führen die Motive die Wahrnehmung an. daß Viele sich aus Furcht
vor dem Thäter zur Strafanzeige nicht entschließen könnten. Dieses Argu¬
ment hat viel von den spannenden Romanscenen an sich, in denen der
Autor seine Helden umbringt, nachdem er ihre letzten einsamen Augenblicke
geschildert. Der Kritiker fragt da: von wem hat der Mann das erfahren?
Ist das Argument aber überhaupt praktisch begründet, dann spricht es gegen die
Antragsdelicte überhaupt und bei Bedrohung und Nöthigung am meisten gegen
die öffentliche Anklage. Denn das Maß von Furcht und Schweigen des Verletzten
wird durch Androhung öffentlicher Ahndung dieser Deliete nur erheblich zunehmen.

Die Privatklage bei Diebstahl, Unterschlagung und Betrug in Lehrver¬
hältnissen soll nach den Motiven beseitigt werden, weil das gemeine deutsche
Strafrecht diese Art von Antragsvergehen nicht kennt, das Gesinde zur Fa¬
milie der Herrschaft nicht mehr gehören wolle und viele dieser Vergehen be¬
sonders schwer seien. Darauf ist einfach zu erwidern, daß das gemeine
deutsche Strafrecht das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich ist und nicht
jenes Sammelsurium von Pandektenstellen und Ueberbleibseln der Carolina,
welches in den Motiven dafür ausgegeben wird. Ferner: wenn die Dienst¬
boten und Hausangestellten sich nicht mehr als Hausgenossen betrachten wol¬
len, ist das ein Grund für den Gesetzgeber, die Lockerung dieser Verhältnisse
zu sanctioniren? Endlich, wenn schwere Fälle beim Hausdiebstähle u- s. w.
vorkommen, z. B. auch Einbruch, ist das ein Grund, den Privatantrag
auszuschließen? Liegt die ratio legis der jetzigen Bestimmung, wonach solche
Vergehen nur auf Antrag bestraft werden, denn in der Annahme, daß solche
schwere Fälle nicht denkbar seien? Läßt daß Gesetz nicht auch beim Nahrungs¬
mitteldiebstahl G 370.5) den Einbruch unbestraft, wenn nicht Strafantrag
Seiten des Verletzten gestellt wird? Was wir hier erwarteten, war nicht
eine Beseitigung der Privatklagbefugniß beim Hausdiebstahl u. s. w., sondern
die Anerkennung der Preußischen Judicatur über diese Paragraphen gegen¬
über derjenigen kleinerer Staaten, z. B. Sachsens. Die Preußische Judicatur
und Jurisprudenz (z. B. Oppenhoff und Meyer) entzieht der öffentlichen An¬
klage mit Recht alle Fälle von Diebstahl, Betrug und Unterschlagung,
welche von Personen gegen ihren Dienst verübt werden, „die sich in Lohn
oder Kost befinden". Denn das ist der Wortlaut des Gesetzes. In Preu¬
ßen wird daher auch z. B. die Unterschlagung von Commis nur auf An-
Grenb


zotm IV. 187S. 57
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[0453] schwere Körperverletzung herbeigeführt wird, der Privatklage entziehen. Aber nicht die leichten Körperverletzungen. Wie sollte auch mit der öffent¬ lichen Anklage die weise Compensationsberechtigung von Beleidigung und Körperverletzung vereinbar sein, welche § 233 zuläßt und die Novelle nicht anzutasten wagt? Für die Beseitigung des Privatstrafantrags bei Bedrohung und Nöthi¬ gung führen die Motive die Wahrnehmung an. daß Viele sich aus Furcht vor dem Thäter zur Strafanzeige nicht entschließen könnten. Dieses Argu¬ ment hat viel von den spannenden Romanscenen an sich, in denen der Autor seine Helden umbringt, nachdem er ihre letzten einsamen Augenblicke geschildert. Der Kritiker fragt da: von wem hat der Mann das erfahren? Ist das Argument aber überhaupt praktisch begründet, dann spricht es gegen die Antragsdelicte überhaupt und bei Bedrohung und Nöthigung am meisten gegen die öffentliche Anklage. Denn das Maß von Furcht und Schweigen des Verletzten wird durch Androhung öffentlicher Ahndung dieser Deliete nur erheblich zunehmen. Die Privatklage bei Diebstahl, Unterschlagung und Betrug in Lehrver¬ hältnissen soll nach den Motiven beseitigt werden, weil das gemeine deutsche Strafrecht diese Art von Antragsvergehen nicht kennt, das Gesinde zur Fa¬ milie der Herrschaft nicht mehr gehören wolle und viele dieser Vergehen be¬ sonders schwer seien. Darauf ist einfach zu erwidern, daß das gemeine deutsche Strafrecht das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich ist und nicht jenes Sammelsurium von Pandektenstellen und Ueberbleibseln der Carolina, welches in den Motiven dafür ausgegeben wird. Ferner: wenn die Dienst¬ boten und Hausangestellten sich nicht mehr als Hausgenossen betrachten wol¬ len, ist das ein Grund für den Gesetzgeber, die Lockerung dieser Verhältnisse zu sanctioniren? Endlich, wenn schwere Fälle beim Hausdiebstähle u- s. w. vorkommen, z. B. auch Einbruch, ist das ein Grund, den Privatantrag auszuschließen? Liegt die ratio legis der jetzigen Bestimmung, wonach solche Vergehen nur auf Antrag bestraft werden, denn in der Annahme, daß solche schwere Fälle nicht denkbar seien? Läßt daß Gesetz nicht auch beim Nahrungs¬ mitteldiebstahl G 370.5) den Einbruch unbestraft, wenn nicht Strafantrag Seiten des Verletzten gestellt wird? Was wir hier erwarteten, war nicht eine Beseitigung der Privatklagbefugniß beim Hausdiebstahl u. s. w., sondern die Anerkennung der Preußischen Judicatur über diese Paragraphen gegen¬ über derjenigen kleinerer Staaten, z. B. Sachsens. Die Preußische Judicatur und Jurisprudenz (z. B. Oppenhoff und Meyer) entzieht der öffentlichen An¬ klage mit Recht alle Fälle von Diebstahl, Betrug und Unterschlagung, welche von Personen gegen ihren Dienst verübt werden, „die sich in Lohn oder Kost befinden". Denn das ist der Wortlaut des Gesetzes. In Preu¬ ßen wird daher auch z. B. die Unterschlagung von Commis nur auf An- Grenb zotm IV. 187S. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/453>, abgerufen am 22.07.2024.