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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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bei den schwerern Antragsdelicten, wie Körperverletzung, Sittlichkeitsverbrechen,
Nöthtgung, Bedrohung u. s. w. Am widerlichsten waren solche vom Gesetz
privilegirte Erpressungsversuche, wenn sie bei Delicten zur Kenntniß des Ge¬
richts kamen, an deren Ahndung die verletzte öffentliche Rechtsordnung das
lebhafteste Interesse gehabt hätte, namentlich also bet schweren Körperletzungen,
Nothzucht, Unzucht mit Kindern u. s. w. Da kam es häufig vor, daß der
reiche Missethäter um seines Geldes willen frei ausging, ja daß wohl Vormün¬
der oder Eltern die gewaltsame Verletzung der Jungfräulichkeit heranwachsender
Mädchen nicht bestrafen ließen, nachdem ihnen ein "anständiges" Schweiggeld
oder ein solennes Mahl geboten worden. Angesichts solcher Erfahrungen
kann es auch nur gutgeheißen werden, wenn die Novelle nicht blos die
Wiederruflichkeit des Strafantrags bei Antragsvergehen auf einen kleinen
Kreis von Delicten und an das Proceßstadium bis zur Verkündung einer
Strafsentenz beschränkt, sondern die Befugniß der Privatklage bei allen Sttt-
lichkeitsverbrechen den Parteien gänzlich entzieht. Die Geheimhaltung der
Schmach, die eine Familie durch gewaltsame Entehrung u. s. w. erfahren,
läßt sich auch in anderer Weise wahren, als dadurch, daß man Sittlichkeits¬
verbrechen dem Privatstrafantrag unterstellt: durch strengste Wahrung des
Amtsgeheimnisses, auch Seiten der Geschworenen ze., durch strengsten Aus¬
schluß der Oeffentlichkeit gegen alle an der Verhandlung nicht unmittelbar
Betheiligte u. s. w. Und in jedem Falle ist das Maß von Unehre und Un¬
glück, das durch ein solches Verbrechen über eine Familie gekommen, ver¬
schwindend klein gegen die Schmach, daß die Ehre des Kindes mit Geld be¬
zahlt werden konnte.

Wenn die Novelle weiter auch die Befugniß zur Privatklage entziehen,
also Verfolgung Seiten der öffentlichen Anklage einführen will bei allen
Körperverletzungen, bei Bedrohung und Nöthigung, und bei Diebstählen, Unter¬
schlagungen und Betrügereien, welche vom Gesinde und Hauspersonal gegen
ihren Brodherren verübt werden, so geht die Novelle in allen diesen Bestim¬
mungen wohl zu weit. Von Körperverletzungen müssen die leichten unbedingt
dem Privatstrafantrag nach wie vor unterstellt bleiben. Ist die Grenze der
schweren oder leichten Verletzung namentlich in den ersten Wochen nach der
That zweifelhaft, so wird niemand den Staatsanwalt am Einschreiten hindern;
denn schon der Ausspruch der Sachverständigen, daß die Frage zweifelhaft
sei. berechtigt ihn zur Erhebung des Thatbestandes und zur Anklage. Ferner
mag man in diesem Falle den Strafantrag des Verletzten unwiderruflich
machen. Im ersten Schmerz und Unmuth wird ja fast stets Strasantrag
gestellt werden. Man mag ferner Fälle besonderer Rohheit des Angriffs
oder Gefährlichkeit der Waffe, vor allem Messeraffairen. Anwendung von
Schußwaffen, und heimtückischen Ueberfall, auch wenn dadurch keine


bei den schwerern Antragsdelicten, wie Körperverletzung, Sittlichkeitsverbrechen,
Nöthtgung, Bedrohung u. s. w. Am widerlichsten waren solche vom Gesetz
privilegirte Erpressungsversuche, wenn sie bei Delicten zur Kenntniß des Ge¬
richts kamen, an deren Ahndung die verletzte öffentliche Rechtsordnung das
lebhafteste Interesse gehabt hätte, namentlich also bet schweren Körperletzungen,
Nothzucht, Unzucht mit Kindern u. s. w. Da kam es häufig vor, daß der
reiche Missethäter um seines Geldes willen frei ausging, ja daß wohl Vormün¬
der oder Eltern die gewaltsame Verletzung der Jungfräulichkeit heranwachsender
Mädchen nicht bestrafen ließen, nachdem ihnen ein „anständiges" Schweiggeld
oder ein solennes Mahl geboten worden. Angesichts solcher Erfahrungen
kann es auch nur gutgeheißen werden, wenn die Novelle nicht blos die
Wiederruflichkeit des Strafantrags bei Antragsvergehen auf einen kleinen
Kreis von Delicten und an das Proceßstadium bis zur Verkündung einer
Strafsentenz beschränkt, sondern die Befugniß der Privatklage bei allen Sttt-
lichkeitsverbrechen den Parteien gänzlich entzieht. Die Geheimhaltung der
Schmach, die eine Familie durch gewaltsame Entehrung u. s. w. erfahren,
läßt sich auch in anderer Weise wahren, als dadurch, daß man Sittlichkeits¬
verbrechen dem Privatstrafantrag unterstellt: durch strengste Wahrung des
Amtsgeheimnisses, auch Seiten der Geschworenen ze., durch strengsten Aus¬
schluß der Oeffentlichkeit gegen alle an der Verhandlung nicht unmittelbar
Betheiligte u. s. w. Und in jedem Falle ist das Maß von Unehre und Un¬
glück, das durch ein solches Verbrechen über eine Familie gekommen, ver¬
schwindend klein gegen die Schmach, daß die Ehre des Kindes mit Geld be¬
zahlt werden konnte.

Wenn die Novelle weiter auch die Befugniß zur Privatklage entziehen,
also Verfolgung Seiten der öffentlichen Anklage einführen will bei allen
Körperverletzungen, bei Bedrohung und Nöthigung, und bei Diebstählen, Unter¬
schlagungen und Betrügereien, welche vom Gesinde und Hauspersonal gegen
ihren Brodherren verübt werden, so geht die Novelle in allen diesen Bestim¬
mungen wohl zu weit. Von Körperverletzungen müssen die leichten unbedingt
dem Privatstrafantrag nach wie vor unterstellt bleiben. Ist die Grenze der
schweren oder leichten Verletzung namentlich in den ersten Wochen nach der
That zweifelhaft, so wird niemand den Staatsanwalt am Einschreiten hindern;
denn schon der Ausspruch der Sachverständigen, daß die Frage zweifelhaft
sei. berechtigt ihn zur Erhebung des Thatbestandes und zur Anklage. Ferner
mag man in diesem Falle den Strafantrag des Verletzten unwiderruflich
machen. Im ersten Schmerz und Unmuth wird ja fast stets Strasantrag
gestellt werden. Man mag ferner Fälle besonderer Rohheit des Angriffs
oder Gefährlichkeit der Waffe, vor allem Messeraffairen. Anwendung von
Schußwaffen, und heimtückischen Ueberfall, auch wenn dadurch keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/452>, abgerufen am 22.07.2024.