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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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elementen wissen. Wie lange wird es noch dauern, und wie viele bittere
Früchte wird sie noch einheimsen, bis sie wieder lernt, was man vor ihrer
problematischen Glanzaera schon lange gewußt und gethan hat, bis sie also
unrer Seufzen und Schmerzen wieder lernt, daß die Saat, so in der Jugend
gestreut wird, auf idealen Boden fallen muß, wenn sie fröhlich aufgehen soll,
und daß, wenn es an dieser Vorbedingung fehlt, auch der correcteste und schul¬
gerechteste Republikanismus nichts helfen noch ersetzen kann! Möchten das
unsere Staatsmänner die wirklichen und die sogenannten, mit jedem Jahre
mehr beherzigen. Bei dem Worte "Staatsmann" aber überfällt Ihren Be¬
richterstatter ein schmerzliches Gefühl, denn wer müßte nicht eben jetzt
an zwei unsrer besten eidgenössischen Staatsmänner denken, welche der
unerbittliche Tod beinahe an demselben Tage weggerafft hat -- Casimir
Psyffer von Luzern und Joh. Jac. Blumer von Glarus, beide von der
gesammten Eidgenossenschaft betrauert, verehrt von allen Farben unserer Re¬
publik als bidere echte Schweizercharaktere, als treue Arbeiter am Bau unserer
Verfassung, als energische Kämpfer für Freiheit, Recht und Fortschritt, als
Männer des Raths und der wissenschaftlichen That; der eine, Blumer, mitten
im kräftigsten, ersprießlichsten Wirken abberufen, der andere, Pfyffer, als
hochbetagter schon seit einigen Jahren in den Ruhestand zurückgetretener Greis.
Casimir Pfyffer war merkwürdiger Weise, als Sohn eines in päpstlichen
Diensten stehenden Hauptmanns gerade in der Stadt geboren (Rom, 1794),
gegen deren freiheitsmörderische Ansprüche sein Leben ein beständiger Kampf
war. Er machte seine Studien (theilweise schon als junger Ehemann) zuerst in
Tübingen, dann in Heidelberg um sich für einen in seiner Heimathstadt Luzern ge¬
gründeten Lehrstuhl der Rechte und der vaterländischen Geschichte vorzubereiten-
Diese Stellung dauerte indeß nur drei Jahre, dann trat Psyffer zurück, um sich
seinem Lieblingsberufe, dem des Advokaten zu widmen. Mit seiner Wahl in
den großen Rath seiner Vaterstadt im Jahre 1826 beginnt sein reiches politi¬
sches Wirken. Sein Bruder Eduard. damals Staatsrath und Erziehungs-
director. stand ihm getreulich zur Seite; beide bewirkten noch zur Zeit der
Restauration eine Verfassungsrevision in fortschrittlichen Sinn, und als vol¬
lends nach den Julitagen von 1830 ein neuer Freiheitsathem durch die Völker
ging, da stand Pfyffer wieder an der Spitze eines zweiten Verfassungssturmes,
welcher die Herrschaft der alten Patriziergeschlechter wegfegte und dem souve¬
ränen Volke die Macht in die Hände gab. Aber mit diesem cantonalen Pa¬
triotismus begnügte Pfyffer sich nicht: seine Ziele waren höher gesteckt, eine Re¬
vision der Bundesverfassung sollte angestrebt werden, und durch Wort und
Schrift regte er mächtig zu derselben an. Wirklich kam auch ein Ent¬
wurf zu Stande. Aber da dessen Hauptbestimmungen in dem alten Sumpf
der Cantonalsouveränitäten stecken blieben und sämmtlichen 22 Kantonen, ob


elementen wissen. Wie lange wird es noch dauern, und wie viele bittere
Früchte wird sie noch einheimsen, bis sie wieder lernt, was man vor ihrer
problematischen Glanzaera schon lange gewußt und gethan hat, bis sie also
unrer Seufzen und Schmerzen wieder lernt, daß die Saat, so in der Jugend
gestreut wird, auf idealen Boden fallen muß, wenn sie fröhlich aufgehen soll,
und daß, wenn es an dieser Vorbedingung fehlt, auch der correcteste und schul¬
gerechteste Republikanismus nichts helfen noch ersetzen kann! Möchten das
unsere Staatsmänner die wirklichen und die sogenannten, mit jedem Jahre
mehr beherzigen. Bei dem Worte „Staatsmann" aber überfällt Ihren Be¬
richterstatter ein schmerzliches Gefühl, denn wer müßte nicht eben jetzt
an zwei unsrer besten eidgenössischen Staatsmänner denken, welche der
unerbittliche Tod beinahe an demselben Tage weggerafft hat — Casimir
Psyffer von Luzern und Joh. Jac. Blumer von Glarus, beide von der
gesammten Eidgenossenschaft betrauert, verehrt von allen Farben unserer Re¬
publik als bidere echte Schweizercharaktere, als treue Arbeiter am Bau unserer
Verfassung, als energische Kämpfer für Freiheit, Recht und Fortschritt, als
Männer des Raths und der wissenschaftlichen That; der eine, Blumer, mitten
im kräftigsten, ersprießlichsten Wirken abberufen, der andere, Pfyffer, als
hochbetagter schon seit einigen Jahren in den Ruhestand zurückgetretener Greis.
Casimir Pfyffer war merkwürdiger Weise, als Sohn eines in päpstlichen
Diensten stehenden Hauptmanns gerade in der Stadt geboren (Rom, 1794),
gegen deren freiheitsmörderische Ansprüche sein Leben ein beständiger Kampf
war. Er machte seine Studien (theilweise schon als junger Ehemann) zuerst in
Tübingen, dann in Heidelberg um sich für einen in seiner Heimathstadt Luzern ge¬
gründeten Lehrstuhl der Rechte und der vaterländischen Geschichte vorzubereiten-
Diese Stellung dauerte indeß nur drei Jahre, dann trat Psyffer zurück, um sich
seinem Lieblingsberufe, dem des Advokaten zu widmen. Mit seiner Wahl in
den großen Rath seiner Vaterstadt im Jahre 1826 beginnt sein reiches politi¬
sches Wirken. Sein Bruder Eduard. damals Staatsrath und Erziehungs-
director. stand ihm getreulich zur Seite; beide bewirkten noch zur Zeit der
Restauration eine Verfassungsrevision in fortschrittlichen Sinn, und als vol¬
lends nach den Julitagen von 1830 ein neuer Freiheitsathem durch die Völker
ging, da stand Pfyffer wieder an der Spitze eines zweiten Verfassungssturmes,
welcher die Herrschaft der alten Patriziergeschlechter wegfegte und dem souve¬
ränen Volke die Macht in die Hände gab. Aber mit diesem cantonalen Pa¬
triotismus begnügte Pfyffer sich nicht: seine Ziele waren höher gesteckt, eine Re¬
vision der Bundesverfassung sollte angestrebt werden, und durch Wort und
Schrift regte er mächtig zu derselben an. Wirklich kam auch ein Ent¬
wurf zu Stande. Aber da dessen Hauptbestimmungen in dem alten Sumpf
der Cantonalsouveränitäten stecken blieben und sämmtlichen 22 Kantonen, ob


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/390>, abgerufen am 22.07.2024.