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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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reiche oder staatsgefährliche Bürger anwendete, wie weiland die Athener,
sondern es war die Verbannung eine Strafe für gewöhnliche Verbrechen,
und jedenfalls die für den Canton wohlfeilste und bequemste Art, sich solche
Leute vom Halse zu schaffen; weniger angenehm dagegen für die Nach-
barcantone, welche sich die Einwanderung besagter Colonisten gefallen lassen
mußten I

Lassen Sie mich, kurz und nothgedrungen, noch von einem andern Canton
sprechen, ehe ich zu den Personen übergehe, einem Canton, welcher bislang gern
sich den Culturcanton der Schweiz nennen ließ und nennen hörte, der in den
früheren Stadien des "Culturkampfes" auch wirklich, geführt von edlen und
erleuchteten Eidgenossen, in erster Reihe stand, und der jetzt so eben, und, zum
Zweiten Mal, ein Votum abgegeben hat, das allen seinen guten und den¬
kenden Bürgern die Schamröthe ins Gesicht treiben muß. ?oxu1us loeuws
est. Das vom großen Cantonsrath vorgeschlagene Gesetz über Erhöhung der
Lehrerbesoldung ist vom Souverän, trotz vorhergegangener gründlicher und
eindringlicher Belehrung durch Presse und Rede, zum zweiten Mal verworfen
worden! Zu diesem traurigen Resultat haben selbst wohlhabende Landstädte
mitgewirkt; mögen sie den stachlichten Distelkranz, den sie sich damit geflochten,
recht lange tragen! Ist es bäurischer Unverstand? Ist es krasser Egoismus,
der sich vor vermehrten Steuern fürchtet? Wir denken, beides; weil beides
gewöhnlich in brüderlicher Eintracht verbunden ist. Aber eins zeigt sich auch
hier wieder klar: die Volksbildung ist noch lange nicht auf der Höhe ange¬
langt, der Werth von Schule und Erziehung wird auch jetzt noch ungebührlich
unterschätzt und die Mittel zu einer intensiverer und humaneren Bildung
müssen von Seiten des Staats in noch viel reichlicherem Maaße fließen, als
bisher. Das dafür ausgeworfene Geld ist nicht weggeworfen, es
strömt mit Zinsen wieder zurück. Aber einstweilen ist es beschämend für die
ganze Schweiz, die da glaubte, in der Volksschule den ersten Rang unter
den Culturvölkern einzunehmen, wenn sie durch solche Ergebnisse in ihrem
guten Glauben erschüttert wird. Es ist doppelt traurig, wenn man weiß,
daß ein großer, ja vielleicht der größte Theil der Verwerfenden einer gewissen
Scheinbildung sich rühmen darf, wie man sie in unserer Republik für noth¬
wendig hält; aber gerade sie hat bewiesen, daß man über Verfassung und
besetze, über die Organisation staatlicher Gewalten und über das ganze Riemen-
und Räderwerk der Staatsmaschine sehr wohl Bescheid wissen, und neben und
unter dieser Scheinbildung, die eben doch bloß die Oberfläche streift, ein
)"esse ungebildeter, für Humanität unempfänglicher Mensch, sein kann. Die
eursirende Kurzsichtigkeit (auch in geistigen Dingen!) will dermalen nur
om R^im. vom Stofflichen und Handgreiflichen als "bildenden" Erziehungs-
Grenb


zoten IV. 1875. 49

reiche oder staatsgefährliche Bürger anwendete, wie weiland die Athener,
sondern es war die Verbannung eine Strafe für gewöhnliche Verbrechen,
und jedenfalls die für den Canton wohlfeilste und bequemste Art, sich solche
Leute vom Halse zu schaffen; weniger angenehm dagegen für die Nach-
barcantone, welche sich die Einwanderung besagter Colonisten gefallen lassen
mußten I

Lassen Sie mich, kurz und nothgedrungen, noch von einem andern Canton
sprechen, ehe ich zu den Personen übergehe, einem Canton, welcher bislang gern
sich den Culturcanton der Schweiz nennen ließ und nennen hörte, der in den
früheren Stadien des „Culturkampfes" auch wirklich, geführt von edlen und
erleuchteten Eidgenossen, in erster Reihe stand, und der jetzt so eben, und, zum
Zweiten Mal, ein Votum abgegeben hat, das allen seinen guten und den¬
kenden Bürgern die Schamröthe ins Gesicht treiben muß. ?oxu1us loeuws
est. Das vom großen Cantonsrath vorgeschlagene Gesetz über Erhöhung der
Lehrerbesoldung ist vom Souverän, trotz vorhergegangener gründlicher und
eindringlicher Belehrung durch Presse und Rede, zum zweiten Mal verworfen
worden! Zu diesem traurigen Resultat haben selbst wohlhabende Landstädte
mitgewirkt; mögen sie den stachlichten Distelkranz, den sie sich damit geflochten,
recht lange tragen! Ist es bäurischer Unverstand? Ist es krasser Egoismus,
der sich vor vermehrten Steuern fürchtet? Wir denken, beides; weil beides
gewöhnlich in brüderlicher Eintracht verbunden ist. Aber eins zeigt sich auch
hier wieder klar: die Volksbildung ist noch lange nicht auf der Höhe ange¬
langt, der Werth von Schule und Erziehung wird auch jetzt noch ungebührlich
unterschätzt und die Mittel zu einer intensiverer und humaneren Bildung
müssen von Seiten des Staats in noch viel reichlicherem Maaße fließen, als
bisher. Das dafür ausgeworfene Geld ist nicht weggeworfen, es
strömt mit Zinsen wieder zurück. Aber einstweilen ist es beschämend für die
ganze Schweiz, die da glaubte, in der Volksschule den ersten Rang unter
den Culturvölkern einzunehmen, wenn sie durch solche Ergebnisse in ihrem
guten Glauben erschüttert wird. Es ist doppelt traurig, wenn man weiß,
daß ein großer, ja vielleicht der größte Theil der Verwerfenden einer gewissen
Scheinbildung sich rühmen darf, wie man sie in unserer Republik für noth¬
wendig hält; aber gerade sie hat bewiesen, daß man über Verfassung und
besetze, über die Organisation staatlicher Gewalten und über das ganze Riemen-
und Räderwerk der Staatsmaschine sehr wohl Bescheid wissen, und neben und
unter dieser Scheinbildung, die eben doch bloß die Oberfläche streift, ein
)"esse ungebildeter, für Humanität unempfänglicher Mensch, sein kann. Die
eursirende Kurzsichtigkeit (auch in geistigen Dingen!) will dermalen nur
om R^im. vom Stofflichen und Handgreiflichen als „bildenden" Erziehungs-
Grenb


zoten IV. 1875. 49
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[0389] reiche oder staatsgefährliche Bürger anwendete, wie weiland die Athener, sondern es war die Verbannung eine Strafe für gewöhnliche Verbrechen, und jedenfalls die für den Canton wohlfeilste und bequemste Art, sich solche Leute vom Halse zu schaffen; weniger angenehm dagegen für die Nach- barcantone, welche sich die Einwanderung besagter Colonisten gefallen lassen mußten I Lassen Sie mich, kurz und nothgedrungen, noch von einem andern Canton sprechen, ehe ich zu den Personen übergehe, einem Canton, welcher bislang gern sich den Culturcanton der Schweiz nennen ließ und nennen hörte, der in den früheren Stadien des „Culturkampfes" auch wirklich, geführt von edlen und erleuchteten Eidgenossen, in erster Reihe stand, und der jetzt so eben, und, zum Zweiten Mal, ein Votum abgegeben hat, das allen seinen guten und den¬ kenden Bürgern die Schamröthe ins Gesicht treiben muß. ?oxu1us loeuws est. Das vom großen Cantonsrath vorgeschlagene Gesetz über Erhöhung der Lehrerbesoldung ist vom Souverän, trotz vorhergegangener gründlicher und eindringlicher Belehrung durch Presse und Rede, zum zweiten Mal verworfen worden! Zu diesem traurigen Resultat haben selbst wohlhabende Landstädte mitgewirkt; mögen sie den stachlichten Distelkranz, den sie sich damit geflochten, recht lange tragen! Ist es bäurischer Unverstand? Ist es krasser Egoismus, der sich vor vermehrten Steuern fürchtet? Wir denken, beides; weil beides gewöhnlich in brüderlicher Eintracht verbunden ist. Aber eins zeigt sich auch hier wieder klar: die Volksbildung ist noch lange nicht auf der Höhe ange¬ langt, der Werth von Schule und Erziehung wird auch jetzt noch ungebührlich unterschätzt und die Mittel zu einer intensiverer und humaneren Bildung müssen von Seiten des Staats in noch viel reichlicherem Maaße fließen, als bisher. Das dafür ausgeworfene Geld ist nicht weggeworfen, es strömt mit Zinsen wieder zurück. Aber einstweilen ist es beschämend für die ganze Schweiz, die da glaubte, in der Volksschule den ersten Rang unter den Culturvölkern einzunehmen, wenn sie durch solche Ergebnisse in ihrem guten Glauben erschüttert wird. Es ist doppelt traurig, wenn man weiß, daß ein großer, ja vielleicht der größte Theil der Verwerfenden einer gewissen Scheinbildung sich rühmen darf, wie man sie in unserer Republik für noth¬ wendig hält; aber gerade sie hat bewiesen, daß man über Verfassung und besetze, über die Organisation staatlicher Gewalten und über das ganze Riemen- und Räderwerk der Staatsmaschine sehr wohl Bescheid wissen, und neben und unter dieser Scheinbildung, die eben doch bloß die Oberfläche streift, ein )"esse ungebildeter, für Humanität unempfänglicher Mensch, sein kann. Die eursirende Kurzsichtigkeit (auch in geistigen Dingen!) will dermalen nur om R^im. vom Stofflichen und Handgreiflichen als „bildenden" Erziehungs- Grenb zoten IV. 1875. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/389>, abgerufen am 22.07.2024.