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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Uebrigens, um wieder auf die Berner Zustände zurückzukommen, trägt doch
auch der Canton selbst einige Schuld an den traurigen Zuständen im Jura ;
weniger zwar die jetzige Regierung, als die früheren. Denn es unterliegt keinem
Zweifel, daß an dem religiösen Pfuhl, welcher dort die Luft verpestet, auch
die Unbildung redlich mitgearbeitet hat, und daß Schule und Unterricht
auf unverantwortliche Weise vernachlässigt wurden. In dieser Beziehung, das
heißt geradezu der wichtigsten für das Leben des wahren Staatsbürgers,
steht der große Canton Bern durchaus nicht an der Spitze schweizerischer
Civilisation: das Schulwesen auf dem Lande liegt noch sehr im Argen und es
thäte jetzt noch mehr als ein Jeremias Gotthelf noth! Alle Schuld rächt
sich auf Erden. Noch kürzlich ist ein neues Besoldungsgesetz für die Lehrer
mir knappen Mehr vom souveränen Volke angenommen worden und auch
die jetzigen Ansätze sind durchaus nicht so beschaffen, daß dem Lehrstand da¬
durch öl voraäo bereitet wäre. Aber wenn das Volk durch Generationen
hindurch in dem durch den täglichen Umblick großgezogenen Glauben befangen
war, befangen sein mußte, daß Kreuz und Elend und ein bischen Hunger
eine nothwendige Beigabe zum Lehrstand sei, so ist nicht zu verwundern, wenn
es an die Berechtigung einer Reformation aus diesem Gebiete nur ungern
glauben mag und lieber zu wenig als zu viel thut. Ganz abgesehen von
dieser Frage, hat der große freisinnige Canton Bern noch unlängst, zur
Zeit der Bundesrevision, bewiesen, daß er am liebsten da freisinnig ist, wo
es ihm am wenigsten kostet, mit anderen Worten: er hat die Bedingung
seiner Zustimmung zu der neuen Bundesverfassung an die Gewährung,
will sagen Belassung eines sehr materiellen Emolumentes geknüpft, eines Emo>
lumentes, das seiner Natur nach dem freiheitlichen und freihändlerischen Geiste
der Verfassung völlig widerspricht, das aber gleichwohl, contre evöur et ccm-
keiLncu, zugestanden wurde, weil man den großen Canton zur Durchführung
der Bundesrevision durchaus nöthig hatte!

Kleinere Cantone, welche ihre viel berechtigteren Ansprüche auf Berück-
sichtigung ihrer nationalöconomischen Interessen erhoben, fanden keine Gnade,
weil sie eidgenössisch genug waren, aus jenen Ansprüchen keine eoiulitio sinu
c>na von. zu machen! Auch an der gegenüber den Jurapfaffen erlittenen
Schlappe, das heißt, an der Nothwendigkeit der Zurücknahme seiner Aus¬
weisungsmaßregel trägt Bern mehr oder weniger selbst die Schuld, insofern
man nämlich jenes eine Schlappe, dieses eine Schuld nennen darf. Denn
die Spitze jenes Verfassungsparagraphen, welcher die Landesverweisung eines
Bürgers verbietet, ist, wenn auch nicht direct gegen jenen speziellen Fall, so
doch zunächst gegen den Canton Bern überhaupt gerichtet, weil dieser von
jeher von dieser Strafart einen allzuliberalen Gebrauch zu machen beliebte.
Und zwar war es nicht etwa ein Ostrakismos, welchen er gegen allzueinfluß-


Uebrigens, um wieder auf die Berner Zustände zurückzukommen, trägt doch
auch der Canton selbst einige Schuld an den traurigen Zuständen im Jura ;
weniger zwar die jetzige Regierung, als die früheren. Denn es unterliegt keinem
Zweifel, daß an dem religiösen Pfuhl, welcher dort die Luft verpestet, auch
die Unbildung redlich mitgearbeitet hat, und daß Schule und Unterricht
auf unverantwortliche Weise vernachlässigt wurden. In dieser Beziehung, das
heißt geradezu der wichtigsten für das Leben des wahren Staatsbürgers,
steht der große Canton Bern durchaus nicht an der Spitze schweizerischer
Civilisation: das Schulwesen auf dem Lande liegt noch sehr im Argen und es
thäte jetzt noch mehr als ein Jeremias Gotthelf noth! Alle Schuld rächt
sich auf Erden. Noch kürzlich ist ein neues Besoldungsgesetz für die Lehrer
mir knappen Mehr vom souveränen Volke angenommen worden und auch
die jetzigen Ansätze sind durchaus nicht so beschaffen, daß dem Lehrstand da¬
durch öl voraäo bereitet wäre. Aber wenn das Volk durch Generationen
hindurch in dem durch den täglichen Umblick großgezogenen Glauben befangen
war, befangen sein mußte, daß Kreuz und Elend und ein bischen Hunger
eine nothwendige Beigabe zum Lehrstand sei, so ist nicht zu verwundern, wenn
es an die Berechtigung einer Reformation aus diesem Gebiete nur ungern
glauben mag und lieber zu wenig als zu viel thut. Ganz abgesehen von
dieser Frage, hat der große freisinnige Canton Bern noch unlängst, zur
Zeit der Bundesrevision, bewiesen, daß er am liebsten da freisinnig ist, wo
es ihm am wenigsten kostet, mit anderen Worten: er hat die Bedingung
seiner Zustimmung zu der neuen Bundesverfassung an die Gewährung,
will sagen Belassung eines sehr materiellen Emolumentes geknüpft, eines Emo>
lumentes, das seiner Natur nach dem freiheitlichen und freihändlerischen Geiste
der Verfassung völlig widerspricht, das aber gleichwohl, contre evöur et ccm-
keiLncu, zugestanden wurde, weil man den großen Canton zur Durchführung
der Bundesrevision durchaus nöthig hatte!

Kleinere Cantone, welche ihre viel berechtigteren Ansprüche auf Berück-
sichtigung ihrer nationalöconomischen Interessen erhoben, fanden keine Gnade,
weil sie eidgenössisch genug waren, aus jenen Ansprüchen keine eoiulitio sinu
c>na von. zu machen! Auch an der gegenüber den Jurapfaffen erlittenen
Schlappe, das heißt, an der Nothwendigkeit der Zurücknahme seiner Aus¬
weisungsmaßregel trägt Bern mehr oder weniger selbst die Schuld, insofern
man nämlich jenes eine Schlappe, dieses eine Schuld nennen darf. Denn
die Spitze jenes Verfassungsparagraphen, welcher die Landesverweisung eines
Bürgers verbietet, ist, wenn auch nicht direct gegen jenen speziellen Fall, so
doch zunächst gegen den Canton Bern überhaupt gerichtet, weil dieser von
jeher von dieser Strafart einen allzuliberalen Gebrauch zu machen beliebte.
Und zwar war es nicht etwa ein Ostrakismos, welchen er gegen allzueinfluß-


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[0388] Uebrigens, um wieder auf die Berner Zustände zurückzukommen, trägt doch auch der Canton selbst einige Schuld an den traurigen Zuständen im Jura ; weniger zwar die jetzige Regierung, als die früheren. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß an dem religiösen Pfuhl, welcher dort die Luft verpestet, auch die Unbildung redlich mitgearbeitet hat, und daß Schule und Unterricht auf unverantwortliche Weise vernachlässigt wurden. In dieser Beziehung, das heißt geradezu der wichtigsten für das Leben des wahren Staatsbürgers, steht der große Canton Bern durchaus nicht an der Spitze schweizerischer Civilisation: das Schulwesen auf dem Lande liegt noch sehr im Argen und es thäte jetzt noch mehr als ein Jeremias Gotthelf noth! Alle Schuld rächt sich auf Erden. Noch kürzlich ist ein neues Besoldungsgesetz für die Lehrer mir knappen Mehr vom souveränen Volke angenommen worden und auch die jetzigen Ansätze sind durchaus nicht so beschaffen, daß dem Lehrstand da¬ durch öl voraäo bereitet wäre. Aber wenn das Volk durch Generationen hindurch in dem durch den täglichen Umblick großgezogenen Glauben befangen war, befangen sein mußte, daß Kreuz und Elend und ein bischen Hunger eine nothwendige Beigabe zum Lehrstand sei, so ist nicht zu verwundern, wenn es an die Berechtigung einer Reformation aus diesem Gebiete nur ungern glauben mag und lieber zu wenig als zu viel thut. Ganz abgesehen von dieser Frage, hat der große freisinnige Canton Bern noch unlängst, zur Zeit der Bundesrevision, bewiesen, daß er am liebsten da freisinnig ist, wo es ihm am wenigsten kostet, mit anderen Worten: er hat die Bedingung seiner Zustimmung zu der neuen Bundesverfassung an die Gewährung, will sagen Belassung eines sehr materiellen Emolumentes geknüpft, eines Emo> lumentes, das seiner Natur nach dem freiheitlichen und freihändlerischen Geiste der Verfassung völlig widerspricht, das aber gleichwohl, contre evöur et ccm- keiLncu, zugestanden wurde, weil man den großen Canton zur Durchführung der Bundesrevision durchaus nöthig hatte! Kleinere Cantone, welche ihre viel berechtigteren Ansprüche auf Berück- sichtigung ihrer nationalöconomischen Interessen erhoben, fanden keine Gnade, weil sie eidgenössisch genug waren, aus jenen Ansprüchen keine eoiulitio sinu c>na von. zu machen! Auch an der gegenüber den Jurapfaffen erlittenen Schlappe, das heißt, an der Nothwendigkeit der Zurücknahme seiner Aus¬ weisungsmaßregel trägt Bern mehr oder weniger selbst die Schuld, insofern man nämlich jenes eine Schlappe, dieses eine Schuld nennen darf. Denn die Spitze jenes Verfassungsparagraphen, welcher die Landesverweisung eines Bürgers verbietet, ist, wenn auch nicht direct gegen jenen speziellen Fall, so doch zunächst gegen den Canton Bern überhaupt gerichtet, weil dieser von jeher von dieser Strafart einen allzuliberalen Gebrauch zu machen beliebte. Und zwar war es nicht etwa ein Ostrakismos, welchen er gegen allzueinfluß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/388>, abgerufen am 22.07.2024.