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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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fort, und die Ruhe ist nur eine Pause, während welcher die streitenden Ele¬
mente ihre Kräfte sichten und sammeln zum neuen Angriff. Derjenige Canton,
welcher, wie billig, an der Spitze des Culturkampfes steht. Bern, hat zwar, auf
das Drängen des Bundesrathes hin, scheinbar einen Schritt zur Versöhnung
gethan, indem er den wegen Renitenz verwiesenen Geistlichen die Rückkehr
wieder gestattete, er konnte und durfte seiner Ehre unbeschadet die aus¬
gesprochene Strafe wieder aufheben, weil die neue Bundesverfassung dem
Wortlaut nach allerdings der von ihm verfügten Maßregel zuwider war.
allein es hat durchaus nicht den Anschein, als ob der fanatisirte Theil der
jurassischen Bevölkerung sich mit dieser, allerdings nicht ihr. sondern dem
Gesetz gemachten Concession zufrieden gebe: im Gegentheil, das bekannte
Sprichwort vom Schelmen und dem Finger wird sich auch hier bewahrheiten.
Die Angriffe auf das bernerische Regierungssystem folgen sich so hageldicht als
je aus den gewitterschwangeren Jurawolken; die Verläumdungssucht ist unter
der bigotten. Pfäffisch gesinnten Bevölkerung bereits zu einem Dogma, einer
Gewissenssache geworden, und die im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau
aufgepflanzte Fahne des Fanatismus flattert so lustig, oder vielmehr so traurig
wie noch nie zuvor. "Jout evmms vues non8", werden unsere deutschen Leser
denken, auch diejenigen, welche uns Schweizer für selbständig und energisch genug
halten, auch ohne Bismarck's vielberufene Aufstifterrolle, uns gegen den Aus¬
satz zu wehren, der von Rom her auch unseren Leib zu überziehen und zu
vergiften droht. "Das Altweibermärchen von des Reichskanzlers intellectueller
Mitwirkung braucht ja gar nicht wahr zu sein, wenn's nur geglaubt wird",
so calculiren unsere ultramontanen Zeloten, und sie haben, schlau wie immer,
mit diesem Köder den Patriotismus vieler Schwachen im Geiste geangelt, welche
die Religionssrage an und für sich kaum aus dem Schlafe der Denkfaulheit
aufzurütteln vermocht hätte. Das Donnerwort "Bismarck" ertönt ja auch
zeitweise in Rathssälen aus dem Munde der katholischen Volksvertreter.
Der Glaube an den Fortschritt läßt uns zwar nicht zweifeln, daß die Berner
Regierung und die Schweiz überhaupt am Ende mit den Römlingen geradeso
gut fertig werden wird, als der große Reichskanzler in seinem Reiche und
Bereiche; aber wenn man bedenkt, daß gegen die Dummheit selbst Götter
vergebens kämpfen, so könnte immer doch der Gedanke an die Länge des
Kampfes bange machen; die Hauptgefahr liegt jedenfalls in der von den Ultra¬
montanen in Rechnung gezogenen endlichen Erschlaffung ihrer Gegner. In
ihren Reichen wird sich nie Müdigkeit einstellen, weil's ihnen dermalen an
Leib und Leben geht und sie ihre letzte Karte aufs Spiel gesetzt haben. Der
Kampf ums Dasein macht den Menschen ausdauernd und schasst ihm Knochen
von Eisen. Keine Frage, daß die freisinnige Schweiz mit Wohlgefallen auf
die deutschen Bundesgenossen blickt und sich moralisch dadurch gekräftigt fühlt!


fort, und die Ruhe ist nur eine Pause, während welcher die streitenden Ele¬
mente ihre Kräfte sichten und sammeln zum neuen Angriff. Derjenige Canton,
welcher, wie billig, an der Spitze des Culturkampfes steht. Bern, hat zwar, auf
das Drängen des Bundesrathes hin, scheinbar einen Schritt zur Versöhnung
gethan, indem er den wegen Renitenz verwiesenen Geistlichen die Rückkehr
wieder gestattete, er konnte und durfte seiner Ehre unbeschadet die aus¬
gesprochene Strafe wieder aufheben, weil die neue Bundesverfassung dem
Wortlaut nach allerdings der von ihm verfügten Maßregel zuwider war.
allein es hat durchaus nicht den Anschein, als ob der fanatisirte Theil der
jurassischen Bevölkerung sich mit dieser, allerdings nicht ihr. sondern dem
Gesetz gemachten Concession zufrieden gebe: im Gegentheil, das bekannte
Sprichwort vom Schelmen und dem Finger wird sich auch hier bewahrheiten.
Die Angriffe auf das bernerische Regierungssystem folgen sich so hageldicht als
je aus den gewitterschwangeren Jurawolken; die Verläumdungssucht ist unter
der bigotten. Pfäffisch gesinnten Bevölkerung bereits zu einem Dogma, einer
Gewissenssache geworden, und die im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau
aufgepflanzte Fahne des Fanatismus flattert so lustig, oder vielmehr so traurig
wie noch nie zuvor. „Jout evmms vues non8", werden unsere deutschen Leser
denken, auch diejenigen, welche uns Schweizer für selbständig und energisch genug
halten, auch ohne Bismarck's vielberufene Aufstifterrolle, uns gegen den Aus¬
satz zu wehren, der von Rom her auch unseren Leib zu überziehen und zu
vergiften droht. „Das Altweibermärchen von des Reichskanzlers intellectueller
Mitwirkung braucht ja gar nicht wahr zu sein, wenn's nur geglaubt wird",
so calculiren unsere ultramontanen Zeloten, und sie haben, schlau wie immer,
mit diesem Köder den Patriotismus vieler Schwachen im Geiste geangelt, welche
die Religionssrage an und für sich kaum aus dem Schlafe der Denkfaulheit
aufzurütteln vermocht hätte. Das Donnerwort „Bismarck" ertönt ja auch
zeitweise in Rathssälen aus dem Munde der katholischen Volksvertreter.
Der Glaube an den Fortschritt läßt uns zwar nicht zweifeln, daß die Berner
Regierung und die Schweiz überhaupt am Ende mit den Römlingen geradeso
gut fertig werden wird, als der große Reichskanzler in seinem Reiche und
Bereiche; aber wenn man bedenkt, daß gegen die Dummheit selbst Götter
vergebens kämpfen, so könnte immer doch der Gedanke an die Länge des
Kampfes bange machen; die Hauptgefahr liegt jedenfalls in der von den Ultra¬
montanen in Rechnung gezogenen endlichen Erschlaffung ihrer Gegner. In
ihren Reichen wird sich nie Müdigkeit einstellen, weil's ihnen dermalen an
Leib und Leben geht und sie ihre letzte Karte aufs Spiel gesetzt haben. Der
Kampf ums Dasein macht den Menschen ausdauernd und schasst ihm Knochen
von Eisen. Keine Frage, daß die freisinnige Schweiz mit Wohlgefallen auf
die deutschen Bundesgenossen blickt und sich moralisch dadurch gekräftigt fühlt!


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[0387] fort, und die Ruhe ist nur eine Pause, während welcher die streitenden Ele¬ mente ihre Kräfte sichten und sammeln zum neuen Angriff. Derjenige Canton, welcher, wie billig, an der Spitze des Culturkampfes steht. Bern, hat zwar, auf das Drängen des Bundesrathes hin, scheinbar einen Schritt zur Versöhnung gethan, indem er den wegen Renitenz verwiesenen Geistlichen die Rückkehr wieder gestattete, er konnte und durfte seiner Ehre unbeschadet die aus¬ gesprochene Strafe wieder aufheben, weil die neue Bundesverfassung dem Wortlaut nach allerdings der von ihm verfügten Maßregel zuwider war. allein es hat durchaus nicht den Anschein, als ob der fanatisirte Theil der jurassischen Bevölkerung sich mit dieser, allerdings nicht ihr. sondern dem Gesetz gemachten Concession zufrieden gebe: im Gegentheil, das bekannte Sprichwort vom Schelmen und dem Finger wird sich auch hier bewahrheiten. Die Angriffe auf das bernerische Regierungssystem folgen sich so hageldicht als je aus den gewitterschwangeren Jurawolken; die Verläumdungssucht ist unter der bigotten. Pfäffisch gesinnten Bevölkerung bereits zu einem Dogma, einer Gewissenssache geworden, und die im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau aufgepflanzte Fahne des Fanatismus flattert so lustig, oder vielmehr so traurig wie noch nie zuvor. „Jout evmms vues non8", werden unsere deutschen Leser denken, auch diejenigen, welche uns Schweizer für selbständig und energisch genug halten, auch ohne Bismarck's vielberufene Aufstifterrolle, uns gegen den Aus¬ satz zu wehren, der von Rom her auch unseren Leib zu überziehen und zu vergiften droht. „Das Altweibermärchen von des Reichskanzlers intellectueller Mitwirkung braucht ja gar nicht wahr zu sein, wenn's nur geglaubt wird", so calculiren unsere ultramontanen Zeloten, und sie haben, schlau wie immer, mit diesem Köder den Patriotismus vieler Schwachen im Geiste geangelt, welche die Religionssrage an und für sich kaum aus dem Schlafe der Denkfaulheit aufzurütteln vermocht hätte. Das Donnerwort „Bismarck" ertönt ja auch zeitweise in Rathssälen aus dem Munde der katholischen Volksvertreter. Der Glaube an den Fortschritt läßt uns zwar nicht zweifeln, daß die Berner Regierung und die Schweiz überhaupt am Ende mit den Römlingen geradeso gut fertig werden wird, als der große Reichskanzler in seinem Reiche und Bereiche; aber wenn man bedenkt, daß gegen die Dummheit selbst Götter vergebens kämpfen, so könnte immer doch der Gedanke an die Länge des Kampfes bange machen; die Hauptgefahr liegt jedenfalls in der von den Ultra¬ montanen in Rechnung gezogenen endlichen Erschlaffung ihrer Gegner. In ihren Reichen wird sich nie Müdigkeit einstellen, weil's ihnen dermalen an Leib und Leben geht und sie ihre letzte Karte aufs Spiel gesetzt haben. Der Kampf ums Dasein macht den Menschen ausdauernd und schasst ihm Knochen von Eisen. Keine Frage, daß die freisinnige Schweiz mit Wohlgefallen auf die deutschen Bundesgenossen blickt und sich moralisch dadurch gekräftigt fühlt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/387>, abgerufen am 22.07.2024.