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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Zur Lösung der böhmischen Irage.

Der Aufstand in der Herzegowina und in Bosnien lebt noch immer und
die frostigen Bemerkungen des Herrn Springer in den gelben Blättern über
diesen Aufstand haben sich in keiner Weise bewahrheitet. Mit dergleichen ab¬
sprechender Prophezeihungen ist das namenlose Elend und der Weheruf der
dortigen christlichen Bevölkerung nicht aus der Welt zu schaffen und acht
totzuschweigen. Ebensowenig tragen die in der "Gegenwart" mitgetheilten
Reise-Betrachtungen Karl Braun's, der in diesem Sommer dem Kriegsschau¬
platz nahe war. zur Lösung der Frage bei. Allgemein wird jetzt zugegeben,
daß die Lage der christlichen Bevölkerung im Vilayet Bosnien unerträglich
und menschenunwürdig ist und daß etwas zur Besserung derselben gethan
werden muß. Die Zustände sind dort in der That so unerträglich und so
empörend, daß wir sie uns gar nicht schlimm genug denken können. Die
öffentliche Meinung ist ferner darüber einig, daß auf die türkischen Reform-
Versprechungen nichts zu geben ist und daß andere Garantien geschaffen werden
müssen als'großherrliche Hatischeriss und Jrades. Rußland hat die Noth¬
wendigkeit dieser Garantien in seinem officiellen Organ zuerst klar ausge¬
sprochen und die österreichische Presse müht sich vergebens ab, die Bedeutung
dieser politischen Aeußerung abzuschwächen. Der russische Reichs - Anzeiger
erklärt bündig, daß Rußland dem Dreikaiserbunde nicht die Sympathien zum
Opfer gebracht habe, die es beständig für die unterdrückte christliche Bevölke¬
rung der Türkei gehegt. Die Opfer, die das russische Volk den Christen in
der Türkei gebracht, seien so groß, daß sie Rußland das Recht gäben, diese
Sympathien auch jetzt vor ganz Europa zu documentiren. Das kaiserliche
Cabinet könne jetzt, wie auch früher unter gleichen Verhältnissen, nicht ein
gleichgültiger und theilnahmloser Zuschauer der Ereignisse bleiben, die sich in
der Herzegowina vollzögen, die Serbien und Montenegro in einen ungleichen
Kampf verwickeln und einen Krieg zu entflammen drohten. Auf anderweite
Zugeständnisse der Pforte sei nach den bisherigen Erfahrungen nichts mehr
Zu geben und darum berechtige auch der jüngste Jrade zu keinerlei Hoffnungen.
Das Vertrauen zu derartigen Acten der Regierung ist in dem Grade er¬
schüttert, daß es der Pforte schwer werden dürfte, dasselbe sogleich ohne Mit¬
wirkung der europäischen Cabinette wieder herzustellen. Und diese Mitwirkungwürden die Mächte ohne Zweifel der Pforte nicht versagen. Ihrerseits werde
auch die Pforte nicht ermangeln, diesen Cabinetten greifbare Beweise ihrer
festen und unbeugsamen Entschlossenheit zu geben. die jetzigen feierlich über¬
nommenen Verpflichtungen hinsichtlich der Christen zu erfüllen. Jedenfallsdürfe man sich versichert halten, daß der klägliche Stand der Dinge, wie er


Zur Lösung der böhmischen Irage.

Der Aufstand in der Herzegowina und in Bosnien lebt noch immer und
die frostigen Bemerkungen des Herrn Springer in den gelben Blättern über
diesen Aufstand haben sich in keiner Weise bewahrheitet. Mit dergleichen ab¬
sprechender Prophezeihungen ist das namenlose Elend und der Weheruf der
dortigen christlichen Bevölkerung nicht aus der Welt zu schaffen und acht
totzuschweigen. Ebensowenig tragen die in der „Gegenwart" mitgetheilten
Reise-Betrachtungen Karl Braun's, der in diesem Sommer dem Kriegsschau¬
platz nahe war. zur Lösung der Frage bei. Allgemein wird jetzt zugegeben,
daß die Lage der christlichen Bevölkerung im Vilayet Bosnien unerträglich
und menschenunwürdig ist und daß etwas zur Besserung derselben gethan
werden muß. Die Zustände sind dort in der That so unerträglich und so
empörend, daß wir sie uns gar nicht schlimm genug denken können. Die
öffentliche Meinung ist ferner darüber einig, daß auf die türkischen Reform-
Versprechungen nichts zu geben ist und daß andere Garantien geschaffen werden
müssen als'großherrliche Hatischeriss und Jrades. Rußland hat die Noth¬
wendigkeit dieser Garantien in seinem officiellen Organ zuerst klar ausge¬
sprochen und die österreichische Presse müht sich vergebens ab, die Bedeutung
dieser politischen Aeußerung abzuschwächen. Der russische Reichs - Anzeiger
erklärt bündig, daß Rußland dem Dreikaiserbunde nicht die Sympathien zum
Opfer gebracht habe, die es beständig für die unterdrückte christliche Bevölke¬
rung der Türkei gehegt. Die Opfer, die das russische Volk den Christen in
der Türkei gebracht, seien so groß, daß sie Rußland das Recht gäben, diese
Sympathien auch jetzt vor ganz Europa zu documentiren. Das kaiserliche
Cabinet könne jetzt, wie auch früher unter gleichen Verhältnissen, nicht ein
gleichgültiger und theilnahmloser Zuschauer der Ereignisse bleiben, die sich in
der Herzegowina vollzögen, die Serbien und Montenegro in einen ungleichen
Kampf verwickeln und einen Krieg zu entflammen drohten. Auf anderweite
Zugeständnisse der Pforte sei nach den bisherigen Erfahrungen nichts mehr
Zu geben und darum berechtige auch der jüngste Jrade zu keinerlei Hoffnungen.
Das Vertrauen zu derartigen Acten der Regierung ist in dem Grade er¬
schüttert, daß es der Pforte schwer werden dürfte, dasselbe sogleich ohne Mit¬
wirkung der europäischen Cabinette wieder herzustellen. Und diese Mitwirkungwürden die Mächte ohne Zweifel der Pforte nicht versagen. Ihrerseits werde
auch die Pforte nicht ermangeln, diesen Cabinetten greifbare Beweise ihrer
festen und unbeugsamen Entschlossenheit zu geben. die jetzigen feierlich über¬
nommenen Verpflichtungen hinsichtlich der Christen zu erfüllen. Jedenfallsdürfe man sich versichert halten, daß der klägliche Stand der Dinge, wie er


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[0345] Zur Lösung der böhmischen Irage. Der Aufstand in der Herzegowina und in Bosnien lebt noch immer und die frostigen Bemerkungen des Herrn Springer in den gelben Blättern über diesen Aufstand haben sich in keiner Weise bewahrheitet. Mit dergleichen ab¬ sprechender Prophezeihungen ist das namenlose Elend und der Weheruf der dortigen christlichen Bevölkerung nicht aus der Welt zu schaffen und acht totzuschweigen. Ebensowenig tragen die in der „Gegenwart" mitgetheilten Reise-Betrachtungen Karl Braun's, der in diesem Sommer dem Kriegsschau¬ platz nahe war. zur Lösung der Frage bei. Allgemein wird jetzt zugegeben, daß die Lage der christlichen Bevölkerung im Vilayet Bosnien unerträglich und menschenunwürdig ist und daß etwas zur Besserung derselben gethan werden muß. Die Zustände sind dort in der That so unerträglich und so empörend, daß wir sie uns gar nicht schlimm genug denken können. Die öffentliche Meinung ist ferner darüber einig, daß auf die türkischen Reform- Versprechungen nichts zu geben ist und daß andere Garantien geschaffen werden müssen als'großherrliche Hatischeriss und Jrades. Rußland hat die Noth¬ wendigkeit dieser Garantien in seinem officiellen Organ zuerst klar ausge¬ sprochen und die österreichische Presse müht sich vergebens ab, die Bedeutung dieser politischen Aeußerung abzuschwächen. Der russische Reichs - Anzeiger erklärt bündig, daß Rußland dem Dreikaiserbunde nicht die Sympathien zum Opfer gebracht habe, die es beständig für die unterdrückte christliche Bevölke¬ rung der Türkei gehegt. Die Opfer, die das russische Volk den Christen in der Türkei gebracht, seien so groß, daß sie Rußland das Recht gäben, diese Sympathien auch jetzt vor ganz Europa zu documentiren. Das kaiserliche Cabinet könne jetzt, wie auch früher unter gleichen Verhältnissen, nicht ein gleichgültiger und theilnahmloser Zuschauer der Ereignisse bleiben, die sich in der Herzegowina vollzögen, die Serbien und Montenegro in einen ungleichen Kampf verwickeln und einen Krieg zu entflammen drohten. Auf anderweite Zugeständnisse der Pforte sei nach den bisherigen Erfahrungen nichts mehr Zu geben und darum berechtige auch der jüngste Jrade zu keinerlei Hoffnungen. Das Vertrauen zu derartigen Acten der Regierung ist in dem Grade er¬ schüttert, daß es der Pforte schwer werden dürfte, dasselbe sogleich ohne Mit¬ wirkung der europäischen Cabinette wieder herzustellen. Und diese Mitwirkungwürden die Mächte ohne Zweifel der Pforte nicht versagen. Ihrerseits werde auch die Pforte nicht ermangeln, diesen Cabinetten greifbare Beweise ihrer festen und unbeugsamen Entschlossenheit zu geben. die jetzigen feierlich über¬ nommenen Verpflichtungen hinsichtlich der Christen zu erfüllen. Jedenfallsdürfe man sich versichert halten, daß der klägliche Stand der Dinge, wie er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/345>, abgerufen am 22.07.2024.