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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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bis jetzt in der Türkei den Interessen der Pforte, ihrer Unterthanen und Eu¬
ropas zum Schaden fortgedauert hat, ein Ende finden müsse.

Das ist deutlich gesprochen, aber diese russischen Forderungen leiden an
der Schwierigkeit der Ausführung, denn wie soll die Mitwirkung der Cabi-
nette realisirt werden ? Etwa durch Residenten oder Consular - Agenten oder
gar durch eine theilweise militärische Besatzung? Sicherlich würde hierdurch
nicht ein Zustand geschaffen, der auf die Länge befriedigen würde, vielmehr
würde sich bald Veranlassung zu Eifersucht und Mißgunst finden und Streit
unter den Großmächten entstehen. Die böhmische Frage, ein Theil der großen
orientalischen Frage ist gründlicher zu lösen, sie steht im Bordergrund und
bedarf unserer gespannten Aufmerksamkeit.

Die einzig naturgemäße, alle billigen Ansprüche befriedigende Lösung er¬
giebt sich von selbst, wenn man die Landschaften, welche das Vilayet Bos¬
nien bilden, näher betrachtet. Das Vilayet besteht aus 3 Theilen, welche
religiös und geographisch geschieden sind: 1. Das katholische Türkisch-Croatien
mit einer Bevölkerung, die der in österreichisch Croatien religiös und sprachlich
völlig gleich ist. 2. Die Herzegowina, die griechisch orthodoxer Religion ist,
geographisch zum südlichen Nachbar Czerna g6ra gehört und mit diesem nach
dem adriatischen Meere gravitirt. 3. Das eigentliche Bosnien mit Novibazar,
das von griechischen Serben bewohnt ist und geographisch zu Serbien gehört.
Unter dieser christlichen Bevölkerung wohnt mehr oder weniger dicht eine
muhamedanisch slavische von gleicher Sprache wie die Christen und einige
Tausend Türken.

Aus dieser Zusammensetzung folgt, daß der Vorschlag der englischen
Blätter, aus dem Vilayet Bosnien einen neuen suzeränen Staat zu bilden,
unausführbar ist. Wenn nun gleichermaßen die russischen Vorschläge großen
Schwierigkeiten begegnen und doch nicht die Garantie gewähren, daß die
Ruhe in jenen Landschaften hergestellt und der christlichen Bevölkerung eine
menschliche Existenz geboten wird, so bleibt nichts übrig, als den Finger¬
zeigen, die Religion, Nationalität und geographische Lage geben, zu folgen
und türkisch Croatien mit Oesterreich, die Herzegowina mit Czerna g6ra und
das übrige Bosnien mit Serbien zu vereinigen. Wenn man das ganze Vi¬
layet zu 1100 HI Meilen veranschlagt, so hat Oesterreich türkisch Croatien bis
an die Bosra und Herzegowina, gegen 300 ^ Meilen, Czerna gora die Her¬
zegowina mit Ragusa und Cattaro, zusammen etwas über 200 ÜH Meilen, und
Serbien das übrige Bosnien mit etwa 600 Meilen zu erhalten.

Oesterreich wird durch solchen Landzuwachs so unerheblich vergrößert, daß
die übrigen Großmächte keine Ursache zur Mißgunst haben können. Oesterreich
selbst kann aus zwei Gründen diese Landschaften nicht zurückweisen; denn ein¬
mal wird durch dieselben die Reichsgrenze, trotz der Vergrößerung des Reichs-


bis jetzt in der Türkei den Interessen der Pforte, ihrer Unterthanen und Eu¬
ropas zum Schaden fortgedauert hat, ein Ende finden müsse.

Das ist deutlich gesprochen, aber diese russischen Forderungen leiden an
der Schwierigkeit der Ausführung, denn wie soll die Mitwirkung der Cabi-
nette realisirt werden ? Etwa durch Residenten oder Consular - Agenten oder
gar durch eine theilweise militärische Besatzung? Sicherlich würde hierdurch
nicht ein Zustand geschaffen, der auf die Länge befriedigen würde, vielmehr
würde sich bald Veranlassung zu Eifersucht und Mißgunst finden und Streit
unter den Großmächten entstehen. Die böhmische Frage, ein Theil der großen
orientalischen Frage ist gründlicher zu lösen, sie steht im Bordergrund und
bedarf unserer gespannten Aufmerksamkeit.

Die einzig naturgemäße, alle billigen Ansprüche befriedigende Lösung er¬
giebt sich von selbst, wenn man die Landschaften, welche das Vilayet Bos¬
nien bilden, näher betrachtet. Das Vilayet besteht aus 3 Theilen, welche
religiös und geographisch geschieden sind: 1. Das katholische Türkisch-Croatien
mit einer Bevölkerung, die der in österreichisch Croatien religiös und sprachlich
völlig gleich ist. 2. Die Herzegowina, die griechisch orthodoxer Religion ist,
geographisch zum südlichen Nachbar Czerna g6ra gehört und mit diesem nach
dem adriatischen Meere gravitirt. 3. Das eigentliche Bosnien mit Novibazar,
das von griechischen Serben bewohnt ist und geographisch zu Serbien gehört.
Unter dieser christlichen Bevölkerung wohnt mehr oder weniger dicht eine
muhamedanisch slavische von gleicher Sprache wie die Christen und einige
Tausend Türken.

Aus dieser Zusammensetzung folgt, daß der Vorschlag der englischen
Blätter, aus dem Vilayet Bosnien einen neuen suzeränen Staat zu bilden,
unausführbar ist. Wenn nun gleichermaßen die russischen Vorschläge großen
Schwierigkeiten begegnen und doch nicht die Garantie gewähren, daß die
Ruhe in jenen Landschaften hergestellt und der christlichen Bevölkerung eine
menschliche Existenz geboten wird, so bleibt nichts übrig, als den Finger¬
zeigen, die Religion, Nationalität und geographische Lage geben, zu folgen
und türkisch Croatien mit Oesterreich, die Herzegowina mit Czerna g6ra und
das übrige Bosnien mit Serbien zu vereinigen. Wenn man das ganze Vi¬
layet zu 1100 HI Meilen veranschlagt, so hat Oesterreich türkisch Croatien bis
an die Bosra und Herzegowina, gegen 300 ^ Meilen, Czerna gora die Her¬
zegowina mit Ragusa und Cattaro, zusammen etwas über 200 ÜH Meilen, und
Serbien das übrige Bosnien mit etwa 600 Meilen zu erhalten.

Oesterreich wird durch solchen Landzuwachs so unerheblich vergrößert, daß
die übrigen Großmächte keine Ursache zur Mißgunst haben können. Oesterreich
selbst kann aus zwei Gründen diese Landschaften nicht zurückweisen; denn ein¬
mal wird durch dieselben die Reichsgrenze, trotz der Vergrößerung des Reichs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/346>, abgerufen am 22.07.2024.