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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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der Künstler im Wege der Photographie erhöht den bedeutenden Eindruck
dieser Zeichnungen. Sie streben auch insoweit dem Charakter der Dichtung
nachzueifern, als sie gesunden Realismus, unverfälschte Natur mit idealer
Auffassung zu verbinden suchen. Aber auch auf einen Fehler des schönen
Werkes mag schon jetzt verwiesen werden. Nirgends zeigt sich gewiß die
Sprödigkeit der Muse so deutlich, als wenn ein bildender Künstler unter¬
nimmt, eine ganze Dichtung oder gar sämmtliche Werke eines Dichters zu
illustriren, oder umgekehrt, wenn ein Dichter einen ganzen Cyclus von Bil¬
dern mit Text begleiten soll. Darum ist es an sich als ein glücklicher Ge¬
danke zu begrüßen, daß eine Anzahl namhafter Künstler (I. Flüggen. Ga¬
briel Max, W. Diez, G. Grützner, I. Herterich. A. Liezen-Meyer, Cl. Schrau-
dolph, N. Lenz, I. Benczur) sich vereinigt hat, um im besten Sinne des
Wortes die Arbeit zu theilen. Aber darunter ist die Einheit der Charaktere
und namentlich der Gesichtszüge der handelnden Personen fast vollständig
verloren gegangen. Ekkehard, die Herzogin Hadwig u. s. w. sind, wenn man
die verschiedenen Blätter nebeneinander hält, nicht wiederzuerkennen. Ekke¬
hard z. B. durchläuft vom ersten Blatt bis zum vorletzten die Metamorphose
von einem recht strammen Klosterbruder zum Ebenbild Friedrich Schiller's
(in der Kapellenscene Hadwig gegenüber), und der Herzogin und Griechin
ergeht es nicht anders. Auch die Toilette (namentlich der Damen) er¬
innert manchmal ganz bedenklich an ein Modejournal. Aber das sind
immerhin untergeordnete Fehler, und namentlich sind die beiden herrlichen
Kindergestalten des "Romans, Audifax und Hadumoth geradezu ergreifend
wiedergegeben. Hadumoth im Gebet, als sie dem Hohentwiel den Rücken
kehrt, um den gefangenen Hirten in unbekannter Ferne bei den Hunnen auf¬
zusuchen, ist das beste aller Blätter. Wie wir hören, soll später die kleinere
Ausgabe dieser Bilder zugleich mit einer Druck-Prachtausgabe des Romans --
die freudig zu begrüßen wäre -- erscheinen.




Karl Braun's Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei sind
soeben in zweiter, stark vermehrter Auflage bei Carl Rümpler in Han¬
nover ausgegeben worden. Unter allen Schriften Braun's sind die Bilder aus
der Kleinstaaterei, die zuerst 1869 bei Wigand erschienen, am populärsten ge¬
worden. Der Politiker und Publicist, der Jahrzehntelang gegen die Misere
eines nun für immer verflossenen Kleinstaates von Napoleon's Gnaden an¬
gekämpft hatte, unternahm es 1869 zum ersten Mal, die kaum überwundene
und damals schon fast in nebelgraue Vergangenheit entrückte Welt der klein¬
staatlichen Gebilde und Zustände, die unter der Sonne des Bundestages ge¬
diehen, wahrheitsgetreu in Ernst und Scherz zu schildern. Aller Jammer der


der Künstler im Wege der Photographie erhöht den bedeutenden Eindruck
dieser Zeichnungen. Sie streben auch insoweit dem Charakter der Dichtung
nachzueifern, als sie gesunden Realismus, unverfälschte Natur mit idealer
Auffassung zu verbinden suchen. Aber auch auf einen Fehler des schönen
Werkes mag schon jetzt verwiesen werden. Nirgends zeigt sich gewiß die
Sprödigkeit der Muse so deutlich, als wenn ein bildender Künstler unter¬
nimmt, eine ganze Dichtung oder gar sämmtliche Werke eines Dichters zu
illustriren, oder umgekehrt, wenn ein Dichter einen ganzen Cyclus von Bil¬
dern mit Text begleiten soll. Darum ist es an sich als ein glücklicher Ge¬
danke zu begrüßen, daß eine Anzahl namhafter Künstler (I. Flüggen. Ga¬
briel Max, W. Diez, G. Grützner, I. Herterich. A. Liezen-Meyer, Cl. Schrau-
dolph, N. Lenz, I. Benczur) sich vereinigt hat, um im besten Sinne des
Wortes die Arbeit zu theilen. Aber darunter ist die Einheit der Charaktere
und namentlich der Gesichtszüge der handelnden Personen fast vollständig
verloren gegangen. Ekkehard, die Herzogin Hadwig u. s. w. sind, wenn man
die verschiedenen Blätter nebeneinander hält, nicht wiederzuerkennen. Ekke¬
hard z. B. durchläuft vom ersten Blatt bis zum vorletzten die Metamorphose
von einem recht strammen Klosterbruder zum Ebenbild Friedrich Schiller's
(in der Kapellenscene Hadwig gegenüber), und der Herzogin und Griechin
ergeht es nicht anders. Auch die Toilette (namentlich der Damen) er¬
innert manchmal ganz bedenklich an ein Modejournal. Aber das sind
immerhin untergeordnete Fehler, und namentlich sind die beiden herrlichen
Kindergestalten des "Romans, Audifax und Hadumoth geradezu ergreifend
wiedergegeben. Hadumoth im Gebet, als sie dem Hohentwiel den Rücken
kehrt, um den gefangenen Hirten in unbekannter Ferne bei den Hunnen auf¬
zusuchen, ist das beste aller Blätter. Wie wir hören, soll später die kleinere
Ausgabe dieser Bilder zugleich mit einer Druck-Prachtausgabe des Romans —
die freudig zu begrüßen wäre — erscheinen.




Karl Braun's Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei sind
soeben in zweiter, stark vermehrter Auflage bei Carl Rümpler in Han¬
nover ausgegeben worden. Unter allen Schriften Braun's sind die Bilder aus
der Kleinstaaterei, die zuerst 1869 bei Wigand erschienen, am populärsten ge¬
worden. Der Politiker und Publicist, der Jahrzehntelang gegen die Misere
eines nun für immer verflossenen Kleinstaates von Napoleon's Gnaden an¬
gekämpft hatte, unternahm es 1869 zum ersten Mal, die kaum überwundene
und damals schon fast in nebelgraue Vergangenheit entrückte Welt der klein¬
staatlichen Gebilde und Zustände, die unter der Sonne des Bundestages ge¬
diehen, wahrheitsgetreu in Ernst und Scherz zu schildern. Aller Jammer der


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[0323] der Künstler im Wege der Photographie erhöht den bedeutenden Eindruck dieser Zeichnungen. Sie streben auch insoweit dem Charakter der Dichtung nachzueifern, als sie gesunden Realismus, unverfälschte Natur mit idealer Auffassung zu verbinden suchen. Aber auch auf einen Fehler des schönen Werkes mag schon jetzt verwiesen werden. Nirgends zeigt sich gewiß die Sprödigkeit der Muse so deutlich, als wenn ein bildender Künstler unter¬ nimmt, eine ganze Dichtung oder gar sämmtliche Werke eines Dichters zu illustriren, oder umgekehrt, wenn ein Dichter einen ganzen Cyclus von Bil¬ dern mit Text begleiten soll. Darum ist es an sich als ein glücklicher Ge¬ danke zu begrüßen, daß eine Anzahl namhafter Künstler (I. Flüggen. Ga¬ briel Max, W. Diez, G. Grützner, I. Herterich. A. Liezen-Meyer, Cl. Schrau- dolph, N. Lenz, I. Benczur) sich vereinigt hat, um im besten Sinne des Wortes die Arbeit zu theilen. Aber darunter ist die Einheit der Charaktere und namentlich der Gesichtszüge der handelnden Personen fast vollständig verloren gegangen. Ekkehard, die Herzogin Hadwig u. s. w. sind, wenn man die verschiedenen Blätter nebeneinander hält, nicht wiederzuerkennen. Ekke¬ hard z. B. durchläuft vom ersten Blatt bis zum vorletzten die Metamorphose von einem recht strammen Klosterbruder zum Ebenbild Friedrich Schiller's (in der Kapellenscene Hadwig gegenüber), und der Herzogin und Griechin ergeht es nicht anders. Auch die Toilette (namentlich der Damen) er¬ innert manchmal ganz bedenklich an ein Modejournal. Aber das sind immerhin untergeordnete Fehler, und namentlich sind die beiden herrlichen Kindergestalten des "Romans, Audifax und Hadumoth geradezu ergreifend wiedergegeben. Hadumoth im Gebet, als sie dem Hohentwiel den Rücken kehrt, um den gefangenen Hirten in unbekannter Ferne bei den Hunnen auf¬ zusuchen, ist das beste aller Blätter. Wie wir hören, soll später die kleinere Ausgabe dieser Bilder zugleich mit einer Druck-Prachtausgabe des Romans — die freudig zu begrüßen wäre — erscheinen. Karl Braun's Bilder aus der deutschen Kleinstaaterei sind soeben in zweiter, stark vermehrter Auflage bei Carl Rümpler in Han¬ nover ausgegeben worden. Unter allen Schriften Braun's sind die Bilder aus der Kleinstaaterei, die zuerst 1869 bei Wigand erschienen, am populärsten ge¬ worden. Der Politiker und Publicist, der Jahrzehntelang gegen die Misere eines nun für immer verflossenen Kleinstaates von Napoleon's Gnaden an¬ gekämpft hatte, unternahm es 1869 zum ersten Mal, die kaum überwundene und damals schon fast in nebelgraue Vergangenheit entrückte Welt der klein¬ staatlichen Gebilde und Zustände, die unter der Sonne des Bundestages ge¬ diehen, wahrheitsgetreu in Ernst und Scherz zu schildern. Aller Jammer der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/323>, abgerufen am 04.07.2024.