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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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statten der größten deutschen Tragödie nachzuschaffen. Die Hauptfiguren des
Stückes stehen auch in ihren äußeren Umrissen, wie in ihren Masken und
Kostümen bei der Aufführung auf dem Theater, typisch fest. Und dennoch
täglich neue Bilder zu Faust, weil das höchste Meisterwerk Goethe's Jeden
zu neuem Schaffen drängt und begeistert. A. v. Kreling's Bilder und
Vignetten zu Faust sind mit die erfreulichsten Beweise dieser nachwirkender,
stets lebendigen Kraft des Faust, welche die letzten Jahrzehnte aufzuweisen
haben. Seine Darstellung der Hauptfiguren läßt -- leider liegen uns der¬
malen erst zwei Lieferungen vor, die bis zur Gartenscene reichen -- trotz der
Anlehnung an den feststehenden Typus, die individuelle Auffassung und die
nüancirte Selbständigkeit des Künstlers in vortheilhaftester Weise erkennen.
Alle Bilder aber, sowohl die großen, in Photographie wiedergegebenen Zeich¬
nungen, wie die Holzschnitte, die dem Text eingefügt sind, und meist vortreff¬
liche Vignetten bilden, legen beredtes Zeugniß ab von dem hohen Wollen
und Können des Künstlers und der ernsten Sorgfalt aller mitwirkenden Kräfte,
diese Faust-Ausgabe zu der reichsten und künstlerisch-bedeutendsten zu machen,
die bisher erschienen.

Wenn man erwägt, wie groß die Fruchtbarkeit der deutschen Kunst an
Illustrationen und Nachbildungen zu Goethe's Faust gewesen, und fortwährend
noch ist, so möchte man erstaunen, daß bisher so wenig Künstler das Be¬
dürfniß empfanden, die Gestalten des hervorragendsten deutschen Romans
nachzuschaffen, der nun schon seit zwanzig Jahren als das Kleinod aller ge¬
bildeten Deutschen anerkannt und durch keine der zahlreichen Nachahmungen
auch nur im entferntesten erreicht ist: wir meinen natürlich Scheffel's
"Ekkehard".

Dieses Jllustrationswerk, welches längst erwartet werden durfte, ist im
Laufe dieses Jahres (in drei Lieferungen, die Schlußlieferung steht aus, und
dürfte zum Feste ausgegeben werden) erschienen, in einem Format und einer
Ausstattung, wie sie der großartigsten Dichtung Scheffel's gebühren. Wie
wir oben schon andeuteten, muß es einem besonderen Artikel vorbehalten
werden, nach Vollendung des Bildercyclus zu untersuchen, inwieweit diese
Blätter im Einzelnen die Gestalten und Charaktere des Dichters voll¬
ständig wiedergeben. Einstweilen mag die Versicherung genügen, daß
im Großen und Ganzen die hohe Aufgabe, welche dieses Bilderwerk sich
setzte, glücklich gelöst ist: der beste deutsche Roman hat die bildende Kunst
zu einer Reihe ebenbürtiger Bilder begeistert. Niemand wird ohne tiefsten
Eindruck diese Bilder beschauen. Was die Kunst des Dichters aus tausend¬
jähriger Vergangenheit uns deutlich und greifbar vor unser inneres Auge
führte, schaut das leibliche hierin edlen lebendigen Linien. Die außerordent¬
liche Größe des Formats und die naturtreue Wiedergabe der Originalcartons


statten der größten deutschen Tragödie nachzuschaffen. Die Hauptfiguren des
Stückes stehen auch in ihren äußeren Umrissen, wie in ihren Masken und
Kostümen bei der Aufführung auf dem Theater, typisch fest. Und dennoch
täglich neue Bilder zu Faust, weil das höchste Meisterwerk Goethe's Jeden
zu neuem Schaffen drängt und begeistert. A. v. Kreling's Bilder und
Vignetten zu Faust sind mit die erfreulichsten Beweise dieser nachwirkender,
stets lebendigen Kraft des Faust, welche die letzten Jahrzehnte aufzuweisen
haben. Seine Darstellung der Hauptfiguren läßt — leider liegen uns der¬
malen erst zwei Lieferungen vor, die bis zur Gartenscene reichen — trotz der
Anlehnung an den feststehenden Typus, die individuelle Auffassung und die
nüancirte Selbständigkeit des Künstlers in vortheilhaftester Weise erkennen.
Alle Bilder aber, sowohl die großen, in Photographie wiedergegebenen Zeich¬
nungen, wie die Holzschnitte, die dem Text eingefügt sind, und meist vortreff¬
liche Vignetten bilden, legen beredtes Zeugniß ab von dem hohen Wollen
und Können des Künstlers und der ernsten Sorgfalt aller mitwirkenden Kräfte,
diese Faust-Ausgabe zu der reichsten und künstlerisch-bedeutendsten zu machen,
die bisher erschienen.

Wenn man erwägt, wie groß die Fruchtbarkeit der deutschen Kunst an
Illustrationen und Nachbildungen zu Goethe's Faust gewesen, und fortwährend
noch ist, so möchte man erstaunen, daß bisher so wenig Künstler das Be¬
dürfniß empfanden, die Gestalten des hervorragendsten deutschen Romans
nachzuschaffen, der nun schon seit zwanzig Jahren als das Kleinod aller ge¬
bildeten Deutschen anerkannt und durch keine der zahlreichen Nachahmungen
auch nur im entferntesten erreicht ist: wir meinen natürlich Scheffel's
„Ekkehard".

Dieses Jllustrationswerk, welches längst erwartet werden durfte, ist im
Laufe dieses Jahres (in drei Lieferungen, die Schlußlieferung steht aus, und
dürfte zum Feste ausgegeben werden) erschienen, in einem Format und einer
Ausstattung, wie sie der großartigsten Dichtung Scheffel's gebühren. Wie
wir oben schon andeuteten, muß es einem besonderen Artikel vorbehalten
werden, nach Vollendung des Bildercyclus zu untersuchen, inwieweit diese
Blätter im Einzelnen die Gestalten und Charaktere des Dichters voll¬
ständig wiedergeben. Einstweilen mag die Versicherung genügen, daß
im Großen und Ganzen die hohe Aufgabe, welche dieses Bilderwerk sich
setzte, glücklich gelöst ist: der beste deutsche Roman hat die bildende Kunst
zu einer Reihe ebenbürtiger Bilder begeistert. Niemand wird ohne tiefsten
Eindruck diese Bilder beschauen. Was die Kunst des Dichters aus tausend¬
jähriger Vergangenheit uns deutlich und greifbar vor unser inneres Auge
führte, schaut das leibliche hierin edlen lebendigen Linien. Die außerordent¬
liche Größe des Formats und die naturtreue Wiedergabe der Originalcartons


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/322>, abgerufen am 02.07.2024.