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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Datum des 23. Mai 1873. Man erinnert sich dieser Verhandlungen, über
die auch an dieser Stelle ihrer Zeit berichtet worden. Die Partieularisten,
an ihrer Spitze Herr Windthorst, wollten überhaupt keinen Reichsfonds, son¬
dern wollten soviel als möglich von den Milliarden der französischen Kriegs¬
entschädigung an die Einzelstaaten vertheilen, denen durch Reichsgesetz nur die
Verpflichtung auferlegt werden sollte, für die Invaliden in bestimmter Weise
zu sorgen. Mit dieser Sorge wäre es ein sehr mißliches Ding gewesen und
die kläglichsten Streitereien würden die Fähigkeit der deutschen Nation, die
dringendste aller Ehrenpflichten zu erfüllen, in das traurigste Licht gestellt
haben. Diese Gefahr ging vorüber.

Große Schwierigkeit machten bet der Verhandlung im Reichstage die der
Verwaltung des Jnvalidenfonds hinsichtlich der Anlegung der Gelder zu
gebenden Vorschriften. Schließlich schien die Aufgabe, nach dieser Seite das
Nichtige zu finden, durch die getroffene Entscheidung sehr wohl gelöst. Man
hatte in dem Gesetz die theilweise Anlegung der Gelder des Fonds in Eisen¬
bahnprioritäten zugelassen, aber gleichzeitig bestimmt, daß am 1. Juli 1876
die vor länger als einem Jahre erworbenen Prioritäten realtsirt sein müßten.
Inzwischen ist der große Rückgang aller zinstragenden Papiere, von dem die
Eisenbahnprioritäten mit einem Vorzugsantheil betroffen sind, eingetreten.
Eine Besserung des niedrigen Standes dieser Papiere ist binnen Jahresfrist
und länger nicht vorauszusehen. Die Neichsregierung sucht also für die Ver¬
waltung des Fonds die Befugniß nach, die Veräußerung der im Besitz des
Fonds befindlichen Prioritäten um 4 Jahre zu verschieben. Dies ist der
Hauptpunkt des Abänderungsgesetzes; die anderen Punkte erwähnen wir bei
der zweiten Berathung.

Es war vorauszusehen, wie die Thatsache des Ankaufs einer großen
Menge von Eisenbahnprioritäten gegen die Verwaltung des Fonds und in-
direct gegen die Reichsregierung ausgebeutet werden würde. Und doch liegt
kein Anlaß zu begründetem Tadel vor. Die Verwaltung war in der Aus¬
wahl der anzukaufenden Papiere durch die Vorschriften des Gesetzes stark be¬
schränkt, wahrscheinlich ganz zweckmäßig beschränkt im Hinblick auf die Lage
der Verhältnisse, wie sie bei der Berathung des Gesetzes war. Nun ist die
unerwartete Verkehrskrisis und mit ihr der Rückgang der zinstragenden Papiere
eingetreten. Der Besitz der Eisenbahnprioritäten ist gleichwohl kein Unglück,
denn an den Zinsen wird nichts verloren. Nur die baldige Veräußerung ist
nicht wünschenswert!), theils wegen des niedrigen Kurses, theils wegen des
Verkehrs, um den Kurs nicht noch mehr zu drücken. Aber wie konnte es
anders sein, als daß Herr Windthorst die Gelegenheit benutzte, die Errichtung
eines solches Reichsfonds anzugreifen, als daß andere Redner die Verwaltung
des Fonds, den Einfluß der Seehandlung und wer weiß was beargwöhnten,


Datum des 23. Mai 1873. Man erinnert sich dieser Verhandlungen, über
die auch an dieser Stelle ihrer Zeit berichtet worden. Die Partieularisten,
an ihrer Spitze Herr Windthorst, wollten überhaupt keinen Reichsfonds, son¬
dern wollten soviel als möglich von den Milliarden der französischen Kriegs¬
entschädigung an die Einzelstaaten vertheilen, denen durch Reichsgesetz nur die
Verpflichtung auferlegt werden sollte, für die Invaliden in bestimmter Weise
zu sorgen. Mit dieser Sorge wäre es ein sehr mißliches Ding gewesen und
die kläglichsten Streitereien würden die Fähigkeit der deutschen Nation, die
dringendste aller Ehrenpflichten zu erfüllen, in das traurigste Licht gestellt
haben. Diese Gefahr ging vorüber.

Große Schwierigkeit machten bet der Verhandlung im Reichstage die der
Verwaltung des Jnvalidenfonds hinsichtlich der Anlegung der Gelder zu
gebenden Vorschriften. Schließlich schien die Aufgabe, nach dieser Seite das
Nichtige zu finden, durch die getroffene Entscheidung sehr wohl gelöst. Man
hatte in dem Gesetz die theilweise Anlegung der Gelder des Fonds in Eisen¬
bahnprioritäten zugelassen, aber gleichzeitig bestimmt, daß am 1. Juli 1876
die vor länger als einem Jahre erworbenen Prioritäten realtsirt sein müßten.
Inzwischen ist der große Rückgang aller zinstragenden Papiere, von dem die
Eisenbahnprioritäten mit einem Vorzugsantheil betroffen sind, eingetreten.
Eine Besserung des niedrigen Standes dieser Papiere ist binnen Jahresfrist
und länger nicht vorauszusehen. Die Neichsregierung sucht also für die Ver¬
waltung des Fonds die Befugniß nach, die Veräußerung der im Besitz des
Fonds befindlichen Prioritäten um 4 Jahre zu verschieben. Dies ist der
Hauptpunkt des Abänderungsgesetzes; die anderen Punkte erwähnen wir bei
der zweiten Berathung.

Es war vorauszusehen, wie die Thatsache des Ankaufs einer großen
Menge von Eisenbahnprioritäten gegen die Verwaltung des Fonds und in-
direct gegen die Reichsregierung ausgebeutet werden würde. Und doch liegt
kein Anlaß zu begründetem Tadel vor. Die Verwaltung war in der Aus¬
wahl der anzukaufenden Papiere durch die Vorschriften des Gesetzes stark be¬
schränkt, wahrscheinlich ganz zweckmäßig beschränkt im Hinblick auf die Lage
der Verhältnisse, wie sie bei der Berathung des Gesetzes war. Nun ist die
unerwartete Verkehrskrisis und mit ihr der Rückgang der zinstragenden Papiere
eingetreten. Der Besitz der Eisenbahnprioritäten ist gleichwohl kein Unglück,
denn an den Zinsen wird nichts verloren. Nur die baldige Veräußerung ist
nicht wünschenswert!), theils wegen des niedrigen Kurses, theils wegen des
Verkehrs, um den Kurs nicht noch mehr zu drücken. Aber wie konnte es
anders sein, als daß Herr Windthorst die Gelegenheit benutzte, die Errichtung
eines solches Reichsfonds anzugreifen, als daß andere Redner die Verwaltung
des Fonds, den Einfluß der Seehandlung und wer weiß was beargwöhnten,


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[0320] Datum des 23. Mai 1873. Man erinnert sich dieser Verhandlungen, über die auch an dieser Stelle ihrer Zeit berichtet worden. Die Partieularisten, an ihrer Spitze Herr Windthorst, wollten überhaupt keinen Reichsfonds, son¬ dern wollten soviel als möglich von den Milliarden der französischen Kriegs¬ entschädigung an die Einzelstaaten vertheilen, denen durch Reichsgesetz nur die Verpflichtung auferlegt werden sollte, für die Invaliden in bestimmter Weise zu sorgen. Mit dieser Sorge wäre es ein sehr mißliches Ding gewesen und die kläglichsten Streitereien würden die Fähigkeit der deutschen Nation, die dringendste aller Ehrenpflichten zu erfüllen, in das traurigste Licht gestellt haben. Diese Gefahr ging vorüber. Große Schwierigkeit machten bet der Verhandlung im Reichstage die der Verwaltung des Jnvalidenfonds hinsichtlich der Anlegung der Gelder zu gebenden Vorschriften. Schließlich schien die Aufgabe, nach dieser Seite das Nichtige zu finden, durch die getroffene Entscheidung sehr wohl gelöst. Man hatte in dem Gesetz die theilweise Anlegung der Gelder des Fonds in Eisen¬ bahnprioritäten zugelassen, aber gleichzeitig bestimmt, daß am 1. Juli 1876 die vor länger als einem Jahre erworbenen Prioritäten realtsirt sein müßten. Inzwischen ist der große Rückgang aller zinstragenden Papiere, von dem die Eisenbahnprioritäten mit einem Vorzugsantheil betroffen sind, eingetreten. Eine Besserung des niedrigen Standes dieser Papiere ist binnen Jahresfrist und länger nicht vorauszusehen. Die Neichsregierung sucht also für die Ver¬ waltung des Fonds die Befugniß nach, die Veräußerung der im Besitz des Fonds befindlichen Prioritäten um 4 Jahre zu verschieben. Dies ist der Hauptpunkt des Abänderungsgesetzes; die anderen Punkte erwähnen wir bei der zweiten Berathung. Es war vorauszusehen, wie die Thatsache des Ankaufs einer großen Menge von Eisenbahnprioritäten gegen die Verwaltung des Fonds und in- direct gegen die Reichsregierung ausgebeutet werden würde. Und doch liegt kein Anlaß zu begründetem Tadel vor. Die Verwaltung war in der Aus¬ wahl der anzukaufenden Papiere durch die Vorschriften des Gesetzes stark be¬ schränkt, wahrscheinlich ganz zweckmäßig beschränkt im Hinblick auf die Lage der Verhältnisse, wie sie bei der Berathung des Gesetzes war. Nun ist die unerwartete Verkehrskrisis und mit ihr der Rückgang der zinstragenden Papiere eingetreten. Der Besitz der Eisenbahnprioritäten ist gleichwohl kein Unglück, denn an den Zinsen wird nichts verloren. Nur die baldige Veräußerung ist nicht wünschenswert!), theils wegen des niedrigen Kurses, theils wegen des Verkehrs, um den Kurs nicht noch mehr zu drücken. Aber wie konnte es anders sein, als daß Herr Windthorst die Gelegenheit benutzte, die Errichtung eines solches Reichsfonds anzugreifen, als daß andere Redner die Verwaltung des Fonds, den Einfluß der Seehandlung und wer weiß was beargwöhnten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/320>, abgerufen am 28.06.2024.