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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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dung klagte und sie erreichte, weil ihr Gemahl die ehelichen Pflichten nicht
erfüllte.

Es scheint, daß Sabbathaj sich dieser Unterlassung schuldig machte, weil
^ mit Wichtigerem zu sehr beschäftigt war. Er glaubte oder gab vor, --
denn in diesen phantastischen Regionen ist schwärmerische Selbsttäuschung nicht
immer von bewußtem Betrug zu unterscheiden -- daß er der den Juden ver¬
heißene Messias sei, der nach einer alten Prophezeiung in dieser Zeit auf¬
treten sollte. Eine Anzahl von Juden, unter denen auch Rabbiner waren,
hatten sich, ehrgeizig oder wie er durch kabbalistische Studien gehirnkrank ge¬
worden, zu ihm bekehrt. Mit diesen begab er sich endlich nach Jerusalem,
wo einer von jenen Rabbinern, Nathan von Gaza, die Rolle des Elias über¬
nahm , der nach dem Obigen den Messias dem Volke Gottes vorstellen und
bezeugen sollte. Nathan verkündete also den Juden aus Grund wunderbarer
Gesichte, daß ihnen in Sabbathaj Zevi der Wiederhersteller des Königthums
Davids erschienen sei, und als die Synagoge von Jerusalem darauf eine An¬
zahl Rabbiner entsandte, seine Prophezeiung zu prüfen, sano man, daß Alles
w der Ordnung war. Das Leben des Messias und seiner Umgebung war
gleichermaßen ohne Tadel, sie befolgten das Gesetz Mosis auf das Ge¬
wissenhafteste.

Auch die Synagoge zu Jerusalem war also jetzt überzeugt. Sie hätte
sich allerdings von Sabbathaj Zevi wieder abwenden sollen, als dessen Elias
weiter prophezeite, am 27. Kislar werde der Messias sich zum Großtürken in
Stambul verfügen, ihn entthronen und ihn in Ketten von dannen führen.
Solche Thaten ließen sich nur durch eine Kette von Wundern ausführen und
wußten ohne solche übel ablaufen, da der Padischah in derartigen Dingen
keinen Scherz verstand. Allein wer da weiß, was ein richtiger Talmudjude
"der gar ein Verehrer der Kabbala noch heute für möglich hält, wird es
begreiflich finden, wenn die Vorstände der jerusalemer Gemeinde sich durch jene
Ungeheuerlichkeiten von ihrer Meinung nicht abwendig machen ließen. Ein
Freudenrausch, wie man ihn lange nicht erlebt, hatte sich der Gemeinde be-
wächtigt, und Berauschte denken und handeln, auch wenn sie sonst ganz kluge
Leute sind, eben nicht wie verständige Menschen.

Nachdem der Boden für Sabbathaj Zevi's Auftreten so vorbereitet war,
trat er selbst mit einer hebräischen Proklamation an die gesammte Judenheit
der Welt auf die Bühne. In dem Schriftstücke nannte er sich den erstge-
bornen Sohn Gottes und den Heiland Israels, erwählt, dessen Befreiung zu
vollziehen und seine Traurigkeit in Freude zu verwandeln. Man solle daher
fortan alle Klage verstummen lassen und statt ihrer Triumphlieder anstimmen.
Man sollte sich nicht mehr fürchten; denn Israel werde binnen Kurzem die
Herrschaft erhalten über alle Gojim "auf Erden und im Meere". Man solle


Grenzboten IV. 1875. 37

dung klagte und sie erreichte, weil ihr Gemahl die ehelichen Pflichten nicht
erfüllte.

Es scheint, daß Sabbathaj sich dieser Unterlassung schuldig machte, weil
^ mit Wichtigerem zu sehr beschäftigt war. Er glaubte oder gab vor, —
denn in diesen phantastischen Regionen ist schwärmerische Selbsttäuschung nicht
immer von bewußtem Betrug zu unterscheiden — daß er der den Juden ver¬
heißene Messias sei, der nach einer alten Prophezeiung in dieser Zeit auf¬
treten sollte. Eine Anzahl von Juden, unter denen auch Rabbiner waren,
hatten sich, ehrgeizig oder wie er durch kabbalistische Studien gehirnkrank ge¬
worden, zu ihm bekehrt. Mit diesen begab er sich endlich nach Jerusalem,
wo einer von jenen Rabbinern, Nathan von Gaza, die Rolle des Elias über¬
nahm , der nach dem Obigen den Messias dem Volke Gottes vorstellen und
bezeugen sollte. Nathan verkündete also den Juden aus Grund wunderbarer
Gesichte, daß ihnen in Sabbathaj Zevi der Wiederhersteller des Königthums
Davids erschienen sei, und als die Synagoge von Jerusalem darauf eine An¬
zahl Rabbiner entsandte, seine Prophezeiung zu prüfen, sano man, daß Alles
w der Ordnung war. Das Leben des Messias und seiner Umgebung war
gleichermaßen ohne Tadel, sie befolgten das Gesetz Mosis auf das Ge¬
wissenhafteste.

Auch die Synagoge zu Jerusalem war also jetzt überzeugt. Sie hätte
sich allerdings von Sabbathaj Zevi wieder abwenden sollen, als dessen Elias
weiter prophezeite, am 27. Kislar werde der Messias sich zum Großtürken in
Stambul verfügen, ihn entthronen und ihn in Ketten von dannen führen.
Solche Thaten ließen sich nur durch eine Kette von Wundern ausführen und
wußten ohne solche übel ablaufen, da der Padischah in derartigen Dingen
keinen Scherz verstand. Allein wer da weiß, was ein richtiger Talmudjude
"der gar ein Verehrer der Kabbala noch heute für möglich hält, wird es
begreiflich finden, wenn die Vorstände der jerusalemer Gemeinde sich durch jene
Ungeheuerlichkeiten von ihrer Meinung nicht abwendig machen ließen. Ein
Freudenrausch, wie man ihn lange nicht erlebt, hatte sich der Gemeinde be-
wächtigt, und Berauschte denken und handeln, auch wenn sie sonst ganz kluge
Leute sind, eben nicht wie verständige Menschen.

Nachdem der Boden für Sabbathaj Zevi's Auftreten so vorbereitet war,
trat er selbst mit einer hebräischen Proklamation an die gesammte Judenheit
der Welt auf die Bühne. In dem Schriftstücke nannte er sich den erstge-
bornen Sohn Gottes und den Heiland Israels, erwählt, dessen Befreiung zu
vollziehen und seine Traurigkeit in Freude zu verwandeln. Man solle daher
fortan alle Klage verstummen lassen und statt ihrer Triumphlieder anstimmen.
Man sollte sich nicht mehr fürchten; denn Israel werde binnen Kurzem die
Herrschaft erhalten über alle Gojim „auf Erden und im Meere". Man solle


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[0293] dung klagte und sie erreichte, weil ihr Gemahl die ehelichen Pflichten nicht erfüllte. Es scheint, daß Sabbathaj sich dieser Unterlassung schuldig machte, weil ^ mit Wichtigerem zu sehr beschäftigt war. Er glaubte oder gab vor, — denn in diesen phantastischen Regionen ist schwärmerische Selbsttäuschung nicht immer von bewußtem Betrug zu unterscheiden — daß er der den Juden ver¬ heißene Messias sei, der nach einer alten Prophezeiung in dieser Zeit auf¬ treten sollte. Eine Anzahl von Juden, unter denen auch Rabbiner waren, hatten sich, ehrgeizig oder wie er durch kabbalistische Studien gehirnkrank ge¬ worden, zu ihm bekehrt. Mit diesen begab er sich endlich nach Jerusalem, wo einer von jenen Rabbinern, Nathan von Gaza, die Rolle des Elias über¬ nahm , der nach dem Obigen den Messias dem Volke Gottes vorstellen und bezeugen sollte. Nathan verkündete also den Juden aus Grund wunderbarer Gesichte, daß ihnen in Sabbathaj Zevi der Wiederhersteller des Königthums Davids erschienen sei, und als die Synagoge von Jerusalem darauf eine An¬ zahl Rabbiner entsandte, seine Prophezeiung zu prüfen, sano man, daß Alles w der Ordnung war. Das Leben des Messias und seiner Umgebung war gleichermaßen ohne Tadel, sie befolgten das Gesetz Mosis auf das Ge¬ wissenhafteste. Auch die Synagoge zu Jerusalem war also jetzt überzeugt. Sie hätte sich allerdings von Sabbathaj Zevi wieder abwenden sollen, als dessen Elias weiter prophezeite, am 27. Kislar werde der Messias sich zum Großtürken in Stambul verfügen, ihn entthronen und ihn in Ketten von dannen führen. Solche Thaten ließen sich nur durch eine Kette von Wundern ausführen und wußten ohne solche übel ablaufen, da der Padischah in derartigen Dingen keinen Scherz verstand. Allein wer da weiß, was ein richtiger Talmudjude "der gar ein Verehrer der Kabbala noch heute für möglich hält, wird es begreiflich finden, wenn die Vorstände der jerusalemer Gemeinde sich durch jene Ungeheuerlichkeiten von ihrer Meinung nicht abwendig machen ließen. Ein Freudenrausch, wie man ihn lange nicht erlebt, hatte sich der Gemeinde be- wächtigt, und Berauschte denken und handeln, auch wenn sie sonst ganz kluge Leute sind, eben nicht wie verständige Menschen. Nachdem der Boden für Sabbathaj Zevi's Auftreten so vorbereitet war, trat er selbst mit einer hebräischen Proklamation an die gesammte Judenheit der Welt auf die Bühne. In dem Schriftstücke nannte er sich den erstge- bornen Sohn Gottes und den Heiland Israels, erwählt, dessen Befreiung zu vollziehen und seine Traurigkeit in Freude zu verwandeln. Man solle daher fortan alle Klage verstummen lassen und statt ihrer Triumphlieder anstimmen. Man sollte sich nicht mehr fürchten; denn Israel werde binnen Kurzem die Herrschaft erhalten über alle Gojim „auf Erden und im Meere". Man solle Grenzboten IV. 1875. 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/293>, abgerufen am 25.08.2024.