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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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nur in der Well novellistischer Erfindung ging man damals infolge seiner
Messiashoffnungen in die Falle arglistiger Gesellen, sondern auch in der Wirk¬
lichkeit , und während beim Vater des Simplicissimus nur Wenige dabei zu
Schaden kamen, hatte bei den Ereignissen, die ich nun erzählen will, ein großer
Theil der Judenheit, namentlich aber der in der Türkei und den Piraten¬
staaten Nordafrikas angesiedelte, am Schlüsse der Tragikomödie recht ver¬
drießliche Dinge erlebt.

Die Geschichte, um die es sich handelt, ist wie bereits angedeutet, die des
Smyrnensers Sabbathaj Zevi, der 1625 geboren, im Jahre 1666 sich für
den Messias ausgab und als solcher unter den Juden Kleinasiens, Syriens
und der Berberei einige Monate lang viele Anhänger zählte und ärgerliche
Verwirrung bis nach Holland hinauf anrichtete, endlich aber, im Jahre 1667,
von den Türken gefangen gesetzt und gezwungen wurde, den Islam anzu¬
nehmen, worauf sich die, welche an ihn geglaubt, theils ebenfalls dem Pro¬
pheten Muhammed zuwendeten, theils Christen wurden, der Mehrzahl nach
aber sich in der mystischen Secte der Chassidim verloren. Ludwig Storch hat
eine Episode seines Lebens in dem Roman "Der Jakobsstern" bearbeitet.
Neuerdings ist sein Auftreten von Herrn A. Wettiner in Feuilletons verwer¬
thet worden. Im Folgenden wollen wir die Thatsachen ins Auge fassen, die
diesen belletristischen Leistungen zu Grunde liegen.

In Smyrna lebte zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ein gewisser
Mardochaj Zevi, der sich als Factor eines englischen Hauses sein Brot er¬
warb. Er gehörte der dortigen Gemeinde der Sephardim an und hatte einen
begabten und ehrgeizigen Sohn Sabbathaj, den er Rabbiner werden lassen
wollte. Derselbe widmete sich demzufolge mit Eifer dem Studium der Wissen¬
schaft seines Volkes, das heißt der Thor", der Propheten, der Auslegung der
heiligen Schriften, die in den verschiedenen Abhandlungen des Talmud nieder¬
gelegt ist, vor allem aber der Kabbala. Bald war er in seinem Wissen
weiter vorgeschritten als die Chachamim, die Gelehrten, seiner Vaterstadt.
Als er dann aber Miene machte, mit kabbalistischen Lehren, die auf einen
Umsturz des raboinischen Judenthums hinausliefen, hervorzutreten, erging es
ihm, um Großes mit Kleinen zusammenzustellen, ungefähr wie seinem Zeit¬
genossen Spinoza: die Chachamim peitschten ihn aus, stießen ihn aus der
Synagoge, und trieben ihn in die Verbannung. Er führte von jetzt an ein
unstetes Leben. Zunächst begab er sich nach Salonik, wo er heirathete, bald
aber wieder geschieden wurde. Auch eine zweite Frau verließ ihn nach
kurzer Ehe. Dann hielt er sich nach einander unter den spanisch redenden
Juden Südgriechenlands auf, später machte er durch seine Lehren in Tripolis
und Gaza von sich reden. Am letztgenannten Orte verheirathete er sich zum
dritten Male, aber wieder ohne Erfolg, da auch diese Frau auf Schei-


nur in der Well novellistischer Erfindung ging man damals infolge seiner
Messiashoffnungen in die Falle arglistiger Gesellen, sondern auch in der Wirk¬
lichkeit , und während beim Vater des Simplicissimus nur Wenige dabei zu
Schaden kamen, hatte bei den Ereignissen, die ich nun erzählen will, ein großer
Theil der Judenheit, namentlich aber der in der Türkei und den Piraten¬
staaten Nordafrikas angesiedelte, am Schlüsse der Tragikomödie recht ver¬
drießliche Dinge erlebt.

Die Geschichte, um die es sich handelt, ist wie bereits angedeutet, die des
Smyrnensers Sabbathaj Zevi, der 1625 geboren, im Jahre 1666 sich für
den Messias ausgab und als solcher unter den Juden Kleinasiens, Syriens
und der Berberei einige Monate lang viele Anhänger zählte und ärgerliche
Verwirrung bis nach Holland hinauf anrichtete, endlich aber, im Jahre 1667,
von den Türken gefangen gesetzt und gezwungen wurde, den Islam anzu¬
nehmen, worauf sich die, welche an ihn geglaubt, theils ebenfalls dem Pro¬
pheten Muhammed zuwendeten, theils Christen wurden, der Mehrzahl nach
aber sich in der mystischen Secte der Chassidim verloren. Ludwig Storch hat
eine Episode seines Lebens in dem Roman „Der Jakobsstern" bearbeitet.
Neuerdings ist sein Auftreten von Herrn A. Wettiner in Feuilletons verwer¬
thet worden. Im Folgenden wollen wir die Thatsachen ins Auge fassen, die
diesen belletristischen Leistungen zu Grunde liegen.

In Smyrna lebte zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ein gewisser
Mardochaj Zevi, der sich als Factor eines englischen Hauses sein Brot er¬
warb. Er gehörte der dortigen Gemeinde der Sephardim an und hatte einen
begabten und ehrgeizigen Sohn Sabbathaj, den er Rabbiner werden lassen
wollte. Derselbe widmete sich demzufolge mit Eifer dem Studium der Wissen¬
schaft seines Volkes, das heißt der Thor«, der Propheten, der Auslegung der
heiligen Schriften, die in den verschiedenen Abhandlungen des Talmud nieder¬
gelegt ist, vor allem aber der Kabbala. Bald war er in seinem Wissen
weiter vorgeschritten als die Chachamim, die Gelehrten, seiner Vaterstadt.
Als er dann aber Miene machte, mit kabbalistischen Lehren, die auf einen
Umsturz des raboinischen Judenthums hinausliefen, hervorzutreten, erging es
ihm, um Großes mit Kleinen zusammenzustellen, ungefähr wie seinem Zeit¬
genossen Spinoza: die Chachamim peitschten ihn aus, stießen ihn aus der
Synagoge, und trieben ihn in die Verbannung. Er führte von jetzt an ein
unstetes Leben. Zunächst begab er sich nach Salonik, wo er heirathete, bald
aber wieder geschieden wurde. Auch eine zweite Frau verließ ihn nach
kurzer Ehe. Dann hielt er sich nach einander unter den spanisch redenden
Juden Südgriechenlands auf, später machte er durch seine Lehren in Tripolis
und Gaza von sich reden. Am letztgenannten Orte verheirathete er sich zum
dritten Male, aber wieder ohne Erfolg, da auch diese Frau auf Schei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/292>, abgerufen am 25.08.2024.