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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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In der Zeit der Propheten erwartete man, Gott werde aus den Nachkommen
David'S einen Helden hervorgehen lassen, der als "Gesalbter des Herrn" das
Volk aus der Knechtschaft der Fremden befreien und es durch weitere Siege
zu Herren des Erdballs machen werde. Sein Erscheinen wurde stets als nahe
bevorstehend gedacht. Nach Einigen sollte ihm eine Periode schwerer Unglücks¬
fälle vorausgehen, in denen das Volk sich läutern und zur Versöhnung mit
dem ihm zürnenden Gotte gelangen würde. Endlich trat zu diesen Vor¬
stellungen auch noch die von einem Vorläufer des Messias, in welchem man
sich die Wiederkunft eines hervorragenden Propheten, zur Vorbereitung auf
die Tage neuer Herrlichkeit dachte. In dem späteren Judenthum, das den
Talmud und die Kabbala erzeugte, nahmen jene Hoffnungen und Meinungen
einen grotesk-phantastischen, zum Theil recht komischen Charakter an, von
dem ich später einige Proben geben werde.

Von Jahrhundert zu Jahrhundert erwarteten die Juden, nachdem sie
das geistige Messiasreich, das in der Gestalt des Christenthums die ".Welt zu
erobern begonnen, ihrer Mehrzahl nach verworfen halten, den ihrer Meinung
zufolge echten und wahren Messias, und wiederholt traten unter ihnen Schwär¬
mer oder Betrüger auf, welche die Erfüllung dieser Erwartung sein wollten.
Der erste und bedeutendste derselben war Simon Bar Kochba, der Führer
der großen Empörung, die 130 n. Chr. während Hadrian's Regierung unter
den palästinensischen Juden nusbrach. Simon hatte sich den Namen Bar
Kochba, Sternensohn, beigelegt, indem er die alte Weissagung 4. Mos. 24,17:
"Es wird ein Stern aus Jacob aufgehen und ein Scepter aus Israel auf¬
kommen, und wird zerschmettern die Fürsten der Moabiter und verstören
alle Kinder Seths" auf sich bezogen wissen wollte. Mit Erfolg kämpfte er
anfangs gegen die Römer, die sogar Jerusalem räumen mußten, sodaß er
zum König ausgerufen wurde. Der Krieg verbreitete sich über die Grenzen
des heiligen Landes hinaus, und fünfzig Städte nebst vielen Flecken und
Dörfern fielen in die Gewalt des siegreichen Messias. Als aber Hadrian's
Feldherr Julius Severus mit neuen Legionen aus Britannien heranrückte, wen¬
dete sich das Blatt. Jerusalem wurde wieder erobert, und einige Zeit später,
im August 135. wurde Bithur, das letzte Bollwerk Bar Kochba's. erstürmt.
Hunderttausende von Juden waren in dem verzweifelten Kampfe umgekommen,
andere wurden unter Martern hingerichtet, wie man denn unter Andern Rabbi
Allda. den berühmten Gesetzeslehrer, unter Sägen sterben ließ; der Pseudo¬
Messias selbst aber war bei dem Sturm auf Bithur erschlagen worden.

Die Messiasidee aber pflanzte sich fort und rrat schon in der Mitte des
fünften Jahrhunderts auf der Insel Cypern in einem gewissen Moses wieder
Mit dem Anspruch auf Verwirklichtsein auf, um wieder in Blut erstickt zu
werden. Hunderte von Juden gaben sich zu Ende des Aufstandes verzweifelnd


In der Zeit der Propheten erwartete man, Gott werde aus den Nachkommen
David'S einen Helden hervorgehen lassen, der als „Gesalbter des Herrn" das
Volk aus der Knechtschaft der Fremden befreien und es durch weitere Siege
zu Herren des Erdballs machen werde. Sein Erscheinen wurde stets als nahe
bevorstehend gedacht. Nach Einigen sollte ihm eine Periode schwerer Unglücks¬
fälle vorausgehen, in denen das Volk sich läutern und zur Versöhnung mit
dem ihm zürnenden Gotte gelangen würde. Endlich trat zu diesen Vor¬
stellungen auch noch die von einem Vorläufer des Messias, in welchem man
sich die Wiederkunft eines hervorragenden Propheten, zur Vorbereitung auf
die Tage neuer Herrlichkeit dachte. In dem späteren Judenthum, das den
Talmud und die Kabbala erzeugte, nahmen jene Hoffnungen und Meinungen
einen grotesk-phantastischen, zum Theil recht komischen Charakter an, von
dem ich später einige Proben geben werde.

Von Jahrhundert zu Jahrhundert erwarteten die Juden, nachdem sie
das geistige Messiasreich, das in der Gestalt des Christenthums die „.Welt zu
erobern begonnen, ihrer Mehrzahl nach verworfen halten, den ihrer Meinung
zufolge echten und wahren Messias, und wiederholt traten unter ihnen Schwär¬
mer oder Betrüger auf, welche die Erfüllung dieser Erwartung sein wollten.
Der erste und bedeutendste derselben war Simon Bar Kochba, der Führer
der großen Empörung, die 130 n. Chr. während Hadrian's Regierung unter
den palästinensischen Juden nusbrach. Simon hatte sich den Namen Bar
Kochba, Sternensohn, beigelegt, indem er die alte Weissagung 4. Mos. 24,17:
„Es wird ein Stern aus Jacob aufgehen und ein Scepter aus Israel auf¬
kommen, und wird zerschmettern die Fürsten der Moabiter und verstören
alle Kinder Seths" auf sich bezogen wissen wollte. Mit Erfolg kämpfte er
anfangs gegen die Römer, die sogar Jerusalem räumen mußten, sodaß er
zum König ausgerufen wurde. Der Krieg verbreitete sich über die Grenzen
des heiligen Landes hinaus, und fünfzig Städte nebst vielen Flecken und
Dörfern fielen in die Gewalt des siegreichen Messias. Als aber Hadrian's
Feldherr Julius Severus mit neuen Legionen aus Britannien heranrückte, wen¬
dete sich das Blatt. Jerusalem wurde wieder erobert, und einige Zeit später,
im August 135. wurde Bithur, das letzte Bollwerk Bar Kochba's. erstürmt.
Hunderttausende von Juden waren in dem verzweifelten Kampfe umgekommen,
andere wurden unter Martern hingerichtet, wie man denn unter Andern Rabbi
Allda. den berühmten Gesetzeslehrer, unter Sägen sterben ließ; der Pseudo¬
Messias selbst aber war bei dem Sturm auf Bithur erschlagen worden.

Die Messiasidee aber pflanzte sich fort und rrat schon in der Mitte des
fünften Jahrhunderts auf der Insel Cypern in einem gewissen Moses wieder
Mit dem Anspruch auf Verwirklichtsein auf, um wieder in Blut erstickt zu
werden. Hunderte von Juden gaben sich zu Ende des Aufstandes verzweifelnd


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[0287] In der Zeit der Propheten erwartete man, Gott werde aus den Nachkommen David'S einen Helden hervorgehen lassen, der als „Gesalbter des Herrn" das Volk aus der Knechtschaft der Fremden befreien und es durch weitere Siege zu Herren des Erdballs machen werde. Sein Erscheinen wurde stets als nahe bevorstehend gedacht. Nach Einigen sollte ihm eine Periode schwerer Unglücks¬ fälle vorausgehen, in denen das Volk sich läutern und zur Versöhnung mit dem ihm zürnenden Gotte gelangen würde. Endlich trat zu diesen Vor¬ stellungen auch noch die von einem Vorläufer des Messias, in welchem man sich die Wiederkunft eines hervorragenden Propheten, zur Vorbereitung auf die Tage neuer Herrlichkeit dachte. In dem späteren Judenthum, das den Talmud und die Kabbala erzeugte, nahmen jene Hoffnungen und Meinungen einen grotesk-phantastischen, zum Theil recht komischen Charakter an, von dem ich später einige Proben geben werde. Von Jahrhundert zu Jahrhundert erwarteten die Juden, nachdem sie das geistige Messiasreich, das in der Gestalt des Christenthums die „.Welt zu erobern begonnen, ihrer Mehrzahl nach verworfen halten, den ihrer Meinung zufolge echten und wahren Messias, und wiederholt traten unter ihnen Schwär¬ mer oder Betrüger auf, welche die Erfüllung dieser Erwartung sein wollten. Der erste und bedeutendste derselben war Simon Bar Kochba, der Führer der großen Empörung, die 130 n. Chr. während Hadrian's Regierung unter den palästinensischen Juden nusbrach. Simon hatte sich den Namen Bar Kochba, Sternensohn, beigelegt, indem er die alte Weissagung 4. Mos. 24,17: „Es wird ein Stern aus Jacob aufgehen und ein Scepter aus Israel auf¬ kommen, und wird zerschmettern die Fürsten der Moabiter und verstören alle Kinder Seths" auf sich bezogen wissen wollte. Mit Erfolg kämpfte er anfangs gegen die Römer, die sogar Jerusalem räumen mußten, sodaß er zum König ausgerufen wurde. Der Krieg verbreitete sich über die Grenzen des heiligen Landes hinaus, und fünfzig Städte nebst vielen Flecken und Dörfern fielen in die Gewalt des siegreichen Messias. Als aber Hadrian's Feldherr Julius Severus mit neuen Legionen aus Britannien heranrückte, wen¬ dete sich das Blatt. Jerusalem wurde wieder erobert, und einige Zeit später, im August 135. wurde Bithur, das letzte Bollwerk Bar Kochba's. erstürmt. Hunderttausende von Juden waren in dem verzweifelten Kampfe umgekommen, andere wurden unter Martern hingerichtet, wie man denn unter Andern Rabbi Allda. den berühmten Gesetzeslehrer, unter Sägen sterben ließ; der Pseudo¬ Messias selbst aber war bei dem Sturm auf Bithur erschlagen worden. Die Messiasidee aber pflanzte sich fort und rrat schon in der Mitte des fünften Jahrhunderts auf der Insel Cypern in einem gewissen Moses wieder Mit dem Anspruch auf Verwirklichtsein auf, um wieder in Blut erstickt zu werden. Hunderte von Juden gaben sich zu Ende des Aufstandes verzweifelnd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/287>, abgerufen am 25.08.2024.