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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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selbst den Tod, indem sie sich von Felsen in die See stürzten. Kaum hundert
Jahre später erhob sich in Palästina der Messias Julian, um ähnlich wie
Moses zu enden. Im zwölften Jahrhundert erschienen in Persten und Ara¬
bien mehrere Messiasse nach einander, und erst vor einigen Jahren trat in der
südarabischen Provinz Hadramaut ein jüdischer Lehrer auf, der in der Kad-
bala gelesen haben wollte, daß er bestimmt sei, das Volk Gottes aus allen
Weltgegenden um sich zu versammeln und nach dem heiligen Lande zurückzu¬
führen. Er berief sich dabei auf den sogenannten Segen Jacob's, aus dem
gewisse Kabbalisten herausgefunden hatten, daß der Islam, nachdem er das
dreizehnte Jahrhundert seines Bestehens erreicht, untergehen und seine Herr¬
schaft den Juden abtreten werde. Zahlreiche Gläubige strömten diesem neuesten
Messias zu, brachten ihm Geschenke und erboten sich, unter ihm gegen die
"Jsmaeliten" zu kämpfen. Schon dachte er ein Heer zu organistren, als die
Eroberung des benachbarten Jemen durch die Truppen des Sultans ihn be¬
denklich machte und seinen Plan vertagen ließ. Ibn David verschwand und
verscholl darauf. Jetzt aber soll er wieder aufgetaucht sein und zuversichtlich
darauf rechnen, die Judenheit um sich sammeln und sich die Krone Israels
aufs Haupt setzen zu können. Wüßte ich, daß mein Segen hierzu bei dem
Gotte mit dem unaussprechlichen Namen etwas gälte, so sollte ihm derselbe
nicht vorenthalten bleiben.

Die erwähnten Versuche, das Messiasreich des Talmud oder der Kabbala zu
begründen, waren bis auf den letzten, der bis jetzt noch nicht zur That ge¬
reift ist, Trauerspiele voll Blut und Schrecken. Ein anderer, den ich mir zu
ausführlicher Schilderung aufhob, begann und endigte wesentlich anders. Es
ist die Geschichte von Sabbathaj Zevi, die im siebzehnten Jahrhunderte spielt,
und aus der sich mit einigem Geschick eine ganz artige Komödie bauen ließe-
Ehe wir sie ins Auge fassen, sehen wir zu, wie sich der Messiasglaube um
die Zeit des Auftretens dieses Abenteurers gestaltet hatte, wobei wir uns
erinnern wollen, daß dieser Glaube in allem Wesentlichen noch heute von
allen Juden, denen der Talmud oder die Kabbala Richtschnur für ihr Denken
und Hoffen ist, also von der großen Mehrzahl des Volkes im Osten und
Süden Europas, in Asien und Nordafrika, festgehalten wird und mehr oder
minder auch der Trost der nicht von der Reform berührten unter uns Deut¬
schen wohnenden Enkel Großvater Abraham's ist.

Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts also waren die Juden allent¬
halben der Meinung, daß der Messias bald erscheinen und daß er ein welt¬
licher König sein werde, dessen wunderbare Kräfte und Gaben das Volk
Gottes aus seiner Zerstreuung sammeln und wieder in das gelobte Land brin¬
gen würden, um sie hier eines bis dahin unerhörten irdischen Wohlergehens
theilhaft und zu Gebietern der Erde zu machen. Was man erwartete, war


selbst den Tod, indem sie sich von Felsen in die See stürzten. Kaum hundert
Jahre später erhob sich in Palästina der Messias Julian, um ähnlich wie
Moses zu enden. Im zwölften Jahrhundert erschienen in Persten und Ara¬
bien mehrere Messiasse nach einander, und erst vor einigen Jahren trat in der
südarabischen Provinz Hadramaut ein jüdischer Lehrer auf, der in der Kad-
bala gelesen haben wollte, daß er bestimmt sei, das Volk Gottes aus allen
Weltgegenden um sich zu versammeln und nach dem heiligen Lande zurückzu¬
führen. Er berief sich dabei auf den sogenannten Segen Jacob's, aus dem
gewisse Kabbalisten herausgefunden hatten, daß der Islam, nachdem er das
dreizehnte Jahrhundert seines Bestehens erreicht, untergehen und seine Herr¬
schaft den Juden abtreten werde. Zahlreiche Gläubige strömten diesem neuesten
Messias zu, brachten ihm Geschenke und erboten sich, unter ihm gegen die
„Jsmaeliten" zu kämpfen. Schon dachte er ein Heer zu organistren, als die
Eroberung des benachbarten Jemen durch die Truppen des Sultans ihn be¬
denklich machte und seinen Plan vertagen ließ. Ibn David verschwand und
verscholl darauf. Jetzt aber soll er wieder aufgetaucht sein und zuversichtlich
darauf rechnen, die Judenheit um sich sammeln und sich die Krone Israels
aufs Haupt setzen zu können. Wüßte ich, daß mein Segen hierzu bei dem
Gotte mit dem unaussprechlichen Namen etwas gälte, so sollte ihm derselbe
nicht vorenthalten bleiben.

Die erwähnten Versuche, das Messiasreich des Talmud oder der Kabbala zu
begründen, waren bis auf den letzten, der bis jetzt noch nicht zur That ge¬
reift ist, Trauerspiele voll Blut und Schrecken. Ein anderer, den ich mir zu
ausführlicher Schilderung aufhob, begann und endigte wesentlich anders. Es
ist die Geschichte von Sabbathaj Zevi, die im siebzehnten Jahrhunderte spielt,
und aus der sich mit einigem Geschick eine ganz artige Komödie bauen ließe-
Ehe wir sie ins Auge fassen, sehen wir zu, wie sich der Messiasglaube um
die Zeit des Auftretens dieses Abenteurers gestaltet hatte, wobei wir uns
erinnern wollen, daß dieser Glaube in allem Wesentlichen noch heute von
allen Juden, denen der Talmud oder die Kabbala Richtschnur für ihr Denken
und Hoffen ist, also von der großen Mehrzahl des Volkes im Osten und
Süden Europas, in Asien und Nordafrika, festgehalten wird und mehr oder
minder auch der Trost der nicht von der Reform berührten unter uns Deut¬
schen wohnenden Enkel Großvater Abraham's ist.

Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts also waren die Juden allent¬
halben der Meinung, daß der Messias bald erscheinen und daß er ein welt¬
licher König sein werde, dessen wunderbare Kräfte und Gaben das Volk
Gottes aus seiner Zerstreuung sammeln und wieder in das gelobte Land brin¬
gen würden, um sie hier eines bis dahin unerhörten irdischen Wohlergehens
theilhaft und zu Gebietern der Erde zu machen. Was man erwartete, war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/288>, abgerufen am 25.08.2024.