Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

auswärtiger Politik. Den Frieden zu gefährden gäbe es nun ein allerdings
unfehlbares Mittel. Das wäre die Unvernunft der Parteien anzunehmen,
welche aus ihrer Auffassung der friedlichen Lage den Schluß ziehen, daß
Deutschland seine Waffenrüstung ablegen könne und müsse. Wenn dies ge¬
schähe, so hätten wir allerdings morgen den Krieg. Aber es wird nicht ge-
schehen, weil wir die Regierung haben, die wir haben. Daher wird der
äußere Friede nicht gestört werden, aber dem innern Frieden könnte jenes
Parteiverlangen Gefahren bringen. Gefahren, vielleicht auch eine erwünschte
Klärung der inneren Lage.

Niemals sind einer Reichstagssession seit dem Bestehen des Reichstages
hinsichtlich der inneren Politik so düstere Erwartungen vorausgegangen, wie
der diesmaligen. Und warum? Es hatte verlautet von einer Novelle zum
Strafgesetzbuch, die allerhand sogenannte reaktionäre Vorschläge enthalten
würde. Der hierauf zum Theil veröffentlichte Entwurf dieser Novelle --
wohlgemerkt, der-Entwurf, wie er dem Bundesrath vorlag, nicht aber der,
wie er dem Reichstag vorliegen wird -- gab dieser Befürchtung mit Recht oder
Unrecht reichliche Nahrung. Es verlautete zweitens von neuen Reichssteuern,
und die Thronrede hat mit der Ankündigung zweier solcher die betreffende
Voraussicht wahr gemacht. Neue Steuern erwecken aber immer düstere Gefühle.
Es verlautete endlich drittens von einer Reaktion auf dem Gebiet der Wirth¬
schaftspolitik, welche in Folge der wirthschaftlichen Krisis in die entscheiden¬
den Stellen der Reichsregierung eingedrungen sei. Alle Diejenigen, bei wel¬
chen solche Befürchtungen Eingang gesunden, sind in Jubel ausgebrochen über
das Wort der Thronrede: es liege nicht in der Macht der Regierungen, der
herrschenden Stagnation auf dem Gebiet der Wirthschaft abzuhelfen. Dieser
Jubel scheint uns ebenso vorzeitig. wie es die entgegengesetzte Befürchtung
war. Denn wenn von der Reichsregierung erklärt wird, daß sie nicht im
Stande sei. die wirthschaftliche Entwicklung zu beherrschen, so ist damit noch
lange nicht gesagt, daß diese Entwicklung lediglich, wie man dies fälschlich
nennt, sich selbst zu überlassen sei. Ueber die Maßregeln, die demnächst aus
dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zu treffen oder zu unterlassen sein werden,
möchte schwerlich schon jetzt die Reichsregierung zu unabänderlichen Beschlüssen
gelangt sein. Wir halten die entsprechende Bedeutung der Thronrede für
durchaus irrig. Wie diese Beschlüsse ausfallen werden, ob man den in den
letzten Jahren eingeschlagenen Weg lediglich weiter geht, darüber wollen wir
keine Vermuthung wagen und ebensowenig vorläufig ein Urtheil aussprechen
über das, was rathsam und nothwendig ist. Wir wollen nur constatiren, daß
die öffentliche Meinung etwas künstlich in den Wahn gestürzt worden, als sei
die Devise der Reichsregierung: es bleibt beim Alten; schon unwiderruflich
ausgegeben. In diesem unserm Zweifel macht auch die Auslassung der


auswärtiger Politik. Den Frieden zu gefährden gäbe es nun ein allerdings
unfehlbares Mittel. Das wäre die Unvernunft der Parteien anzunehmen,
welche aus ihrer Auffassung der friedlichen Lage den Schluß ziehen, daß
Deutschland seine Waffenrüstung ablegen könne und müsse. Wenn dies ge¬
schähe, so hätten wir allerdings morgen den Krieg. Aber es wird nicht ge-
schehen, weil wir die Regierung haben, die wir haben. Daher wird der
äußere Friede nicht gestört werden, aber dem innern Frieden könnte jenes
Parteiverlangen Gefahren bringen. Gefahren, vielleicht auch eine erwünschte
Klärung der inneren Lage.

Niemals sind einer Reichstagssession seit dem Bestehen des Reichstages
hinsichtlich der inneren Politik so düstere Erwartungen vorausgegangen, wie
der diesmaligen. Und warum? Es hatte verlautet von einer Novelle zum
Strafgesetzbuch, die allerhand sogenannte reaktionäre Vorschläge enthalten
würde. Der hierauf zum Theil veröffentlichte Entwurf dieser Novelle —
wohlgemerkt, der-Entwurf, wie er dem Bundesrath vorlag, nicht aber der,
wie er dem Reichstag vorliegen wird — gab dieser Befürchtung mit Recht oder
Unrecht reichliche Nahrung. Es verlautete zweitens von neuen Reichssteuern,
und die Thronrede hat mit der Ankündigung zweier solcher die betreffende
Voraussicht wahr gemacht. Neue Steuern erwecken aber immer düstere Gefühle.
Es verlautete endlich drittens von einer Reaktion auf dem Gebiet der Wirth¬
schaftspolitik, welche in Folge der wirthschaftlichen Krisis in die entscheiden¬
den Stellen der Reichsregierung eingedrungen sei. Alle Diejenigen, bei wel¬
chen solche Befürchtungen Eingang gesunden, sind in Jubel ausgebrochen über
das Wort der Thronrede: es liege nicht in der Macht der Regierungen, der
herrschenden Stagnation auf dem Gebiet der Wirthschaft abzuhelfen. Dieser
Jubel scheint uns ebenso vorzeitig. wie es die entgegengesetzte Befürchtung
war. Denn wenn von der Reichsregierung erklärt wird, daß sie nicht im
Stande sei. die wirthschaftliche Entwicklung zu beherrschen, so ist damit noch
lange nicht gesagt, daß diese Entwicklung lediglich, wie man dies fälschlich
nennt, sich selbst zu überlassen sei. Ueber die Maßregeln, die demnächst aus
dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zu treffen oder zu unterlassen sein werden,
möchte schwerlich schon jetzt die Reichsregierung zu unabänderlichen Beschlüssen
gelangt sein. Wir halten die entsprechende Bedeutung der Thronrede für
durchaus irrig. Wie diese Beschlüsse ausfallen werden, ob man den in den
letzten Jahren eingeschlagenen Weg lediglich weiter geht, darüber wollen wir
keine Vermuthung wagen und ebensowenig vorläufig ein Urtheil aussprechen
über das, was rathsam und nothwendig ist. Wir wollen nur constatiren, daß
die öffentliche Meinung etwas künstlich in den Wahn gestürzt worden, als sei
die Devise der Reichsregierung: es bleibt beim Alten; schon unwiderruflich
ausgegeben. In diesem unserm Zweifel macht auch die Auslassung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/134619"/>
          <p xml:id="ID_837" prev="#ID_836"> auswärtiger Politik. Den Frieden zu gefährden gäbe es nun ein allerdings<lb/>
unfehlbares Mittel. Das wäre die Unvernunft der Parteien anzunehmen,<lb/>
welche aus ihrer Auffassung der friedlichen Lage den Schluß ziehen, daß<lb/>
Deutschland seine Waffenrüstung ablegen könne und müsse. Wenn dies ge¬<lb/>
schähe, so hätten wir allerdings morgen den Krieg. Aber es wird nicht ge-<lb/>
schehen, weil wir die Regierung haben, die wir haben. Daher wird der<lb/>
äußere Friede nicht gestört werden, aber dem innern Frieden könnte jenes<lb/>
Parteiverlangen Gefahren bringen. Gefahren, vielleicht auch eine erwünschte<lb/>
Klärung der inneren Lage.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_838" next="#ID_839"> Niemals sind einer Reichstagssession seit dem Bestehen des Reichstages<lb/>
hinsichtlich der inneren Politik so düstere Erwartungen vorausgegangen, wie<lb/>
der diesmaligen. Und warum? Es hatte verlautet von einer Novelle zum<lb/>
Strafgesetzbuch, die allerhand sogenannte reaktionäre Vorschläge enthalten<lb/>
würde. Der hierauf zum Theil veröffentlichte Entwurf dieser Novelle &#x2014;<lb/>
wohlgemerkt, der-Entwurf, wie er dem Bundesrath vorlag, nicht aber der,<lb/>
wie er dem Reichstag vorliegen wird &#x2014; gab dieser Befürchtung mit Recht oder<lb/>
Unrecht reichliche Nahrung. Es verlautete zweitens von neuen Reichssteuern,<lb/>
und die Thronrede hat mit der Ankündigung zweier solcher die betreffende<lb/>
Voraussicht wahr gemacht. Neue Steuern erwecken aber immer düstere Gefühle.<lb/>
Es verlautete endlich drittens von einer Reaktion auf dem Gebiet der Wirth¬<lb/>
schaftspolitik, welche in Folge der wirthschaftlichen Krisis in die entscheiden¬<lb/>
den Stellen der Reichsregierung eingedrungen sei. Alle Diejenigen, bei wel¬<lb/>
chen solche Befürchtungen Eingang gesunden, sind in Jubel ausgebrochen über<lb/>
das Wort der Thronrede: es liege nicht in der Macht der Regierungen, der<lb/>
herrschenden Stagnation auf dem Gebiet der Wirthschaft abzuhelfen. Dieser<lb/>
Jubel scheint uns ebenso vorzeitig. wie es die entgegengesetzte Befürchtung<lb/>
war. Denn wenn von der Reichsregierung erklärt wird, daß sie nicht im<lb/>
Stande sei. die wirthschaftliche Entwicklung zu beherrschen, so ist damit noch<lb/>
lange nicht gesagt, daß diese Entwicklung lediglich, wie man dies fälschlich<lb/>
nennt, sich selbst zu überlassen sei. Ueber die Maßregeln, die demnächst aus<lb/>
dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zu treffen oder zu unterlassen sein werden,<lb/>
möchte schwerlich schon jetzt die Reichsregierung zu unabänderlichen Beschlüssen<lb/>
gelangt sein. Wir halten die entsprechende Bedeutung der Thronrede für<lb/>
durchaus irrig. Wie diese Beschlüsse ausfallen werden, ob man den in den<lb/>
letzten Jahren eingeschlagenen Weg lediglich weiter geht, darüber wollen wir<lb/>
keine Vermuthung wagen und ebensowenig vorläufig ein Urtheil aussprechen<lb/>
über das, was rathsam und nothwendig ist. Wir wollen nur constatiren, daß<lb/>
die öffentliche Meinung etwas künstlich in den Wahn gestürzt worden, als sei<lb/>
die Devise der Reichsregierung: es bleibt beim Alten; schon unwiderruflich<lb/>
ausgegeben.  In diesem unserm Zweifel macht auch die Auslassung der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] auswärtiger Politik. Den Frieden zu gefährden gäbe es nun ein allerdings unfehlbares Mittel. Das wäre die Unvernunft der Parteien anzunehmen, welche aus ihrer Auffassung der friedlichen Lage den Schluß ziehen, daß Deutschland seine Waffenrüstung ablegen könne und müsse. Wenn dies ge¬ schähe, so hätten wir allerdings morgen den Krieg. Aber es wird nicht ge- schehen, weil wir die Regierung haben, die wir haben. Daher wird der äußere Friede nicht gestört werden, aber dem innern Frieden könnte jenes Parteiverlangen Gefahren bringen. Gefahren, vielleicht auch eine erwünschte Klärung der inneren Lage. Niemals sind einer Reichstagssession seit dem Bestehen des Reichstages hinsichtlich der inneren Politik so düstere Erwartungen vorausgegangen, wie der diesmaligen. Und warum? Es hatte verlautet von einer Novelle zum Strafgesetzbuch, die allerhand sogenannte reaktionäre Vorschläge enthalten würde. Der hierauf zum Theil veröffentlichte Entwurf dieser Novelle — wohlgemerkt, der-Entwurf, wie er dem Bundesrath vorlag, nicht aber der, wie er dem Reichstag vorliegen wird — gab dieser Befürchtung mit Recht oder Unrecht reichliche Nahrung. Es verlautete zweitens von neuen Reichssteuern, und die Thronrede hat mit der Ankündigung zweier solcher die betreffende Voraussicht wahr gemacht. Neue Steuern erwecken aber immer düstere Gefühle. Es verlautete endlich drittens von einer Reaktion auf dem Gebiet der Wirth¬ schaftspolitik, welche in Folge der wirthschaftlichen Krisis in die entscheiden¬ den Stellen der Reichsregierung eingedrungen sei. Alle Diejenigen, bei wel¬ chen solche Befürchtungen Eingang gesunden, sind in Jubel ausgebrochen über das Wort der Thronrede: es liege nicht in der Macht der Regierungen, der herrschenden Stagnation auf dem Gebiet der Wirthschaft abzuhelfen. Dieser Jubel scheint uns ebenso vorzeitig. wie es die entgegengesetzte Befürchtung war. Denn wenn von der Reichsregierung erklärt wird, daß sie nicht im Stande sei. die wirthschaftliche Entwicklung zu beherrschen, so ist damit noch lange nicht gesagt, daß diese Entwicklung lediglich, wie man dies fälschlich nennt, sich selbst zu überlassen sei. Ueber die Maßregeln, die demnächst aus dem Gebiet der Wirtschaftspolitik zu treffen oder zu unterlassen sein werden, möchte schwerlich schon jetzt die Reichsregierung zu unabänderlichen Beschlüssen gelangt sein. Wir halten die entsprechende Bedeutung der Thronrede für durchaus irrig. Wie diese Beschlüsse ausfallen werden, ob man den in den letzten Jahren eingeschlagenen Weg lediglich weiter geht, darüber wollen wir keine Vermuthung wagen und ebensowenig vorläufig ein Urtheil aussprechen über das, was rathsam und nothwendig ist. Wir wollen nur constatiren, daß die öffentliche Meinung etwas künstlich in den Wahn gestürzt worden, als sei die Devise der Reichsregierung: es bleibt beim Alten; schon unwiderruflich ausgegeben. In diesem unserm Zweifel macht auch die Auslassung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/273>, abgerufen am 22.07.2024.