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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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"Provinzial-Correspondenz", worin die erwähnte Deutung der Thronrede gut
geheißen wird, uns nicht irre.

Nehmen wir aber einmal an, von den drei schwarzen Punkten am Ho¬
rizont der gegenwärtigen Session wäre der wirthschaftliche Punkt verschwun¬
den -- d. h. verschwunden aus den Entwürfen der Wirthschaftspolitik; mit
seinen praktischen Beschwerden wird er noch lange nicht verschwinden -- so
bleiben noch die neuen Steuern und die Novelle zum Strafgesetzbuch. Was
die neuen Steuern betrifft, so läßt sich, abgesehen von dem selbstverständlichen
Widerstand derer, die getroffen werden sollen, nämlich der Brauer und der
Geschäftsmänner der Börse, so viel erkennen, daß diese Steuern nicht sehr viel
einbringen werden. Sie stellen sich demnach als Palliativmittel dar gegen¬
über den großen Anforderungen, welche an die Finanzleistung des Reiches
durch die Entwicklung des Reiches selbst gestellt werden. Dieser schwarze
Punkt also bleibt stehen. Aber warum ist er schwarz? Der Vergleich ist
nicht wenig beschämend zwischen der Zuversicht Frankreichs ungleich kolossaleren
Anforderungen gegenüber und dem Kleinmuth Deutschlands, das eben die
Milliarden geerntet. Will man auch behaupten, daß die Milliarden uns nur
den Kriegsaufwand ersetzt, so haben wir doch mindestens einen siegreichen
Krieg ohne Mehrbelastung der Staatsfinanzen geführt. Wir müssen uns aber
gegenüber den Anforderungen, welche die Zukunft und unsere eigene natur¬
gemäße Entwicklung an unsere Finanzen stellen, etwas entschlossener und
etwas erfinderischer! zeigen. Mit dem kleinlichen Spähen nach Objekten, die
wohl noch eine Steuer vertragen, ist nicht zu helfen, und noch viel weniger
mit dem Kleinmuth, der mit solchen Forderungen schon das Ende gekom¬
men glaubt.

Was endlich die Strafrechtsnovelle betrifft, so ist der ursprüngliche Ent¬
wurf, so weit er bekannt geworden, juristisch gewiß eine recht schwache Lei¬
stung. Aber über Reaktion schreien, sich in die Brust werfen, daß man solche
reaktionäre Maßregeln bis auf den letzten Blutstropfen bekämpfen werde, das
heißt wahrhaftig nicht der Situation gewachsen sein. Deutschland führt ei¬
nen großen innern Kampf zum Vorbild aller gebildeten Nationen. Das ist
die Ausnahmelage, die gewürdigt sein muß. Das Gerede von Gelegenheits¬
gesetzen ist nichtig. Kann man die Anforderungen der Gelegenheit nicht mit
Gesetzen erfüllen, oder hält man diesen Weg für verwerflich, so möge man
andere Mittel vorschlagen. Man könnte z. B. der Regierung auf bemessene
Fristen außerordentliche Vollmachten ertheilen, und noch andere Auswege
würden zu finden sein, wenn man nur suchen wollte, anstatt über die harten
Zumuthungen zu schreien.

Für die innere Politik wird die gegenwärtige Reichstagssession wie es
scheint von nachhaltiger aufklärender Bedeutung sein. Es wird sich zeigen, ob


„Provinzial-Correspondenz", worin die erwähnte Deutung der Thronrede gut
geheißen wird, uns nicht irre.

Nehmen wir aber einmal an, von den drei schwarzen Punkten am Ho¬
rizont der gegenwärtigen Session wäre der wirthschaftliche Punkt verschwun¬
den — d. h. verschwunden aus den Entwürfen der Wirthschaftspolitik; mit
seinen praktischen Beschwerden wird er noch lange nicht verschwinden — so
bleiben noch die neuen Steuern und die Novelle zum Strafgesetzbuch. Was
die neuen Steuern betrifft, so läßt sich, abgesehen von dem selbstverständlichen
Widerstand derer, die getroffen werden sollen, nämlich der Brauer und der
Geschäftsmänner der Börse, so viel erkennen, daß diese Steuern nicht sehr viel
einbringen werden. Sie stellen sich demnach als Palliativmittel dar gegen¬
über den großen Anforderungen, welche an die Finanzleistung des Reiches
durch die Entwicklung des Reiches selbst gestellt werden. Dieser schwarze
Punkt also bleibt stehen. Aber warum ist er schwarz? Der Vergleich ist
nicht wenig beschämend zwischen der Zuversicht Frankreichs ungleich kolossaleren
Anforderungen gegenüber und dem Kleinmuth Deutschlands, das eben die
Milliarden geerntet. Will man auch behaupten, daß die Milliarden uns nur
den Kriegsaufwand ersetzt, so haben wir doch mindestens einen siegreichen
Krieg ohne Mehrbelastung der Staatsfinanzen geführt. Wir müssen uns aber
gegenüber den Anforderungen, welche die Zukunft und unsere eigene natur¬
gemäße Entwicklung an unsere Finanzen stellen, etwas entschlossener und
etwas erfinderischer! zeigen. Mit dem kleinlichen Spähen nach Objekten, die
wohl noch eine Steuer vertragen, ist nicht zu helfen, und noch viel weniger
mit dem Kleinmuth, der mit solchen Forderungen schon das Ende gekom¬
men glaubt.

Was endlich die Strafrechtsnovelle betrifft, so ist der ursprüngliche Ent¬
wurf, so weit er bekannt geworden, juristisch gewiß eine recht schwache Lei¬
stung. Aber über Reaktion schreien, sich in die Brust werfen, daß man solche
reaktionäre Maßregeln bis auf den letzten Blutstropfen bekämpfen werde, das
heißt wahrhaftig nicht der Situation gewachsen sein. Deutschland führt ei¬
nen großen innern Kampf zum Vorbild aller gebildeten Nationen. Das ist
die Ausnahmelage, die gewürdigt sein muß. Das Gerede von Gelegenheits¬
gesetzen ist nichtig. Kann man die Anforderungen der Gelegenheit nicht mit
Gesetzen erfüllen, oder hält man diesen Weg für verwerflich, so möge man
andere Mittel vorschlagen. Man könnte z. B. der Regierung auf bemessene
Fristen außerordentliche Vollmachten ertheilen, und noch andere Auswege
würden zu finden sein, wenn man nur suchen wollte, anstatt über die harten
Zumuthungen zu schreien.

Für die innere Politik wird die gegenwärtige Reichstagssession wie es
scheint von nachhaltiger aufklärender Bedeutung sein. Es wird sich zeigen, ob


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[0274] „Provinzial-Correspondenz", worin die erwähnte Deutung der Thronrede gut geheißen wird, uns nicht irre. Nehmen wir aber einmal an, von den drei schwarzen Punkten am Ho¬ rizont der gegenwärtigen Session wäre der wirthschaftliche Punkt verschwun¬ den — d. h. verschwunden aus den Entwürfen der Wirthschaftspolitik; mit seinen praktischen Beschwerden wird er noch lange nicht verschwinden — so bleiben noch die neuen Steuern und die Novelle zum Strafgesetzbuch. Was die neuen Steuern betrifft, so läßt sich, abgesehen von dem selbstverständlichen Widerstand derer, die getroffen werden sollen, nämlich der Brauer und der Geschäftsmänner der Börse, so viel erkennen, daß diese Steuern nicht sehr viel einbringen werden. Sie stellen sich demnach als Palliativmittel dar gegen¬ über den großen Anforderungen, welche an die Finanzleistung des Reiches durch die Entwicklung des Reiches selbst gestellt werden. Dieser schwarze Punkt also bleibt stehen. Aber warum ist er schwarz? Der Vergleich ist nicht wenig beschämend zwischen der Zuversicht Frankreichs ungleich kolossaleren Anforderungen gegenüber und dem Kleinmuth Deutschlands, das eben die Milliarden geerntet. Will man auch behaupten, daß die Milliarden uns nur den Kriegsaufwand ersetzt, so haben wir doch mindestens einen siegreichen Krieg ohne Mehrbelastung der Staatsfinanzen geführt. Wir müssen uns aber gegenüber den Anforderungen, welche die Zukunft und unsere eigene natur¬ gemäße Entwicklung an unsere Finanzen stellen, etwas entschlossener und etwas erfinderischer! zeigen. Mit dem kleinlichen Spähen nach Objekten, die wohl noch eine Steuer vertragen, ist nicht zu helfen, und noch viel weniger mit dem Kleinmuth, der mit solchen Forderungen schon das Ende gekom¬ men glaubt. Was endlich die Strafrechtsnovelle betrifft, so ist der ursprüngliche Ent¬ wurf, so weit er bekannt geworden, juristisch gewiß eine recht schwache Lei¬ stung. Aber über Reaktion schreien, sich in die Brust werfen, daß man solche reaktionäre Maßregeln bis auf den letzten Blutstropfen bekämpfen werde, das heißt wahrhaftig nicht der Situation gewachsen sein. Deutschland führt ei¬ nen großen innern Kampf zum Vorbild aller gebildeten Nationen. Das ist die Ausnahmelage, die gewürdigt sein muß. Das Gerede von Gelegenheits¬ gesetzen ist nichtig. Kann man die Anforderungen der Gelegenheit nicht mit Gesetzen erfüllen, oder hält man diesen Weg für verwerflich, so möge man andere Mittel vorschlagen. Man könnte z. B. der Regierung auf bemessene Fristen außerordentliche Vollmachten ertheilen, und noch andere Auswege würden zu finden sein, wenn man nur suchen wollte, anstatt über die harten Zumuthungen zu schreien. Für die innere Politik wird die gegenwärtige Reichstagssession wie es scheint von nachhaltiger aufklärender Bedeutung sein. Es wird sich zeigen, ob

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/274>, abgerufen am 22.07.2024.