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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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lichen Unterrichts behandelt werden.") Analog war in Preußen und Schlesien
da wo nöthig, zu verfahren. Eine Ministerialverfügung vom 10. Okto¬
ber 1860, den Lehrplan für die katholischen Gymnasien der Provinz Polen
betreffend, erweiterte die Anwendung des Polnischen als Unterrichtssprache
noch insofern, als nach ihr auch die Geographie in den drei Unterklassen in
dieser Sprache vorgetragen werden sollte.^) Kurz darauf, 19. Oktober 1860.
bestimmte eine zweite Verfügung, daß die Directoren überwiegend polnischer
Schulen des Polnischen kundig sein sollten."**) Sicherlich konnten sich die
Polen also nicht über Vernachlässigung ihrer Sprache oder gar über Sprachen¬
zwang beklagen und weit ab steht dies milde Verfahren des deutschen Staats
einer Nation gegenüber, die nie ihre Feindschaft gegen das Deutschthum ver¬
leugnet hat, von der rücksichtslosen gewaltsamen Einführung des Russischen,
wie sie die Petersburger Regierung in ihrem Polen seit der Niederwerfung
des letzten Aufstandes durchzusetzen bestrebt ist.

Wenn in letzterer Zeit seit der Uebernahme des Unterrichtsministeriums
durch Dr. Falk (22. Januar 1872) eine Umgestaltung zu Ungunsten des
Polnischen Elements, eine Verdrängung bez. Beschränkung des Polnischen als
Unterrichtssprache und Unterrichtsgegenstand eingetreten ist, so tragen daran
die Polen selber die Schuld, insofern überall national polnische Agitation
mit clericaler Widersetzlichkeit Hand in Hand ging. So sind sich denn rasch
hintereinander mehrere einschneidende Maßregeln gefolgt. Die Ministerial¬
verfügung vom 16. November 18721-) hob die Ausnahmestellung des Reli¬
gionsunterrichts in sprachlicher Beziehung für die höheren Anstalten auf und
ordnete an, daß derselbe fortan nicht anders zu behandeln sei, als die übrigen
Lehrgegenstände, d. h. daß er wesentlich deutsch zu ertheilen sei. Die Folge
war ein heftiger, noch nicht beigelegter Conflict mit dem erzbischöflichen Stuhle
von Gnesen - Posen; denn da der damalige Erzbischof Ledochowski die katho¬
lischen Religionslehrer Posens und Westpreußens anwies, den Religions¬
unterricht nur in den beiden Oberklassen deutsch, sonst durchweg polnisch zu
ertheilen, der Staat aber diejenigen, die sich seiner Anordnung nicht fügten,
entsetzte, so vor der Hand dieser Unterricht ganz aufgehört.

Weiter beseitigte eine Verordnung vom 6. December desselben Jahres








*) Wiese. Verordnungen und Gesetze für die höheren Schulen in Preußen (1867"
U)"N. vgl. Dess,. Das höhere Schulwesen in Preußen II. (1864 - 1869) 2087.
^) O, Wiese, Nerordnunqen I. 37.
"*
) ->. a, O. I. 37, Auch die Lehrer der 4 unteren Classen sollten des Polnischen mächtig
sein. s. Wiese. Das höhere Schulwesen II. 269.
'
!) Deutsche Schulgeschsammlunq II, Ur. 15. vgl. Wiese. Höheres Schulwesen in
Preußen III. (18"!) - 1874) 15 f
11) s- Wiese III. 16 f.
11!> Deutsche Schulgeschsammlung II. Ur. 4. vgl. Wiese a. a. O, III. (1869 -- 1874)
S. Ib.

lichen Unterrichts behandelt werden.") Analog war in Preußen und Schlesien
da wo nöthig, zu verfahren. Eine Ministerialverfügung vom 10. Okto¬
ber 1860, den Lehrplan für die katholischen Gymnasien der Provinz Polen
betreffend, erweiterte die Anwendung des Polnischen als Unterrichtssprache
noch insofern, als nach ihr auch die Geographie in den drei Unterklassen in
dieser Sprache vorgetragen werden sollte.^) Kurz darauf, 19. Oktober 1860.
bestimmte eine zweite Verfügung, daß die Directoren überwiegend polnischer
Schulen des Polnischen kundig sein sollten."**) Sicherlich konnten sich die
Polen also nicht über Vernachlässigung ihrer Sprache oder gar über Sprachen¬
zwang beklagen und weit ab steht dies milde Verfahren des deutschen Staats
einer Nation gegenüber, die nie ihre Feindschaft gegen das Deutschthum ver¬
leugnet hat, von der rücksichtslosen gewaltsamen Einführung des Russischen,
wie sie die Petersburger Regierung in ihrem Polen seit der Niederwerfung
des letzten Aufstandes durchzusetzen bestrebt ist.

Wenn in letzterer Zeit seit der Uebernahme des Unterrichtsministeriums
durch Dr. Falk (22. Januar 1872) eine Umgestaltung zu Ungunsten des
Polnischen Elements, eine Verdrängung bez. Beschränkung des Polnischen als
Unterrichtssprache und Unterrichtsgegenstand eingetreten ist, so tragen daran
die Polen selber die Schuld, insofern überall national polnische Agitation
mit clericaler Widersetzlichkeit Hand in Hand ging. So sind sich denn rasch
hintereinander mehrere einschneidende Maßregeln gefolgt. Die Ministerial¬
verfügung vom 16. November 18721-) hob die Ausnahmestellung des Reli¬
gionsunterrichts in sprachlicher Beziehung für die höheren Anstalten auf und
ordnete an, daß derselbe fortan nicht anders zu behandeln sei, als die übrigen
Lehrgegenstände, d. h. daß er wesentlich deutsch zu ertheilen sei. Die Folge
war ein heftiger, noch nicht beigelegter Conflict mit dem erzbischöflichen Stuhle
von Gnesen - Posen; denn da der damalige Erzbischof Ledochowski die katho¬
lischen Religionslehrer Posens und Westpreußens anwies, den Religions¬
unterricht nur in den beiden Oberklassen deutsch, sonst durchweg polnisch zu
ertheilen, der Staat aber diejenigen, die sich seiner Anordnung nicht fügten,
entsetzte, so vor der Hand dieser Unterricht ganz aufgehört.

Weiter beseitigte eine Verordnung vom 6. December desselben Jahres








*) Wiese. Verordnungen und Gesetze für die höheren Schulen in Preußen (1867»
U)«N. vgl. Dess,. Das höhere Schulwesen in Preußen II. (1864 - 1869) 2087.
^) O, Wiese, Nerordnunqen I. 37.
"*
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sein. s. Wiese. Das höhere Schulwesen II. 269.
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!) Deutsche Schulgeschsammlunq II, Ur. 15. vgl. Wiese. Höheres Schulwesen in
Preußen III. (18«!) - 1874) 15 f
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[0027] lichen Unterrichts behandelt werden.") Analog war in Preußen und Schlesien da wo nöthig, zu verfahren. Eine Ministerialverfügung vom 10. Okto¬ ber 1860, den Lehrplan für die katholischen Gymnasien der Provinz Polen betreffend, erweiterte die Anwendung des Polnischen als Unterrichtssprache noch insofern, als nach ihr auch die Geographie in den drei Unterklassen in dieser Sprache vorgetragen werden sollte.^) Kurz darauf, 19. Oktober 1860. bestimmte eine zweite Verfügung, daß die Directoren überwiegend polnischer Schulen des Polnischen kundig sein sollten."**) Sicherlich konnten sich die Polen also nicht über Vernachlässigung ihrer Sprache oder gar über Sprachen¬ zwang beklagen und weit ab steht dies milde Verfahren des deutschen Staats einer Nation gegenüber, die nie ihre Feindschaft gegen das Deutschthum ver¬ leugnet hat, von der rücksichtslosen gewaltsamen Einführung des Russischen, wie sie die Petersburger Regierung in ihrem Polen seit der Niederwerfung des letzten Aufstandes durchzusetzen bestrebt ist. Wenn in letzterer Zeit seit der Uebernahme des Unterrichtsministeriums durch Dr. Falk (22. Januar 1872) eine Umgestaltung zu Ungunsten des Polnischen Elements, eine Verdrängung bez. Beschränkung des Polnischen als Unterrichtssprache und Unterrichtsgegenstand eingetreten ist, so tragen daran die Polen selber die Schuld, insofern überall national polnische Agitation mit clericaler Widersetzlichkeit Hand in Hand ging. So sind sich denn rasch hintereinander mehrere einschneidende Maßregeln gefolgt. Die Ministerial¬ verfügung vom 16. November 18721-) hob die Ausnahmestellung des Reli¬ gionsunterrichts in sprachlicher Beziehung für die höheren Anstalten auf und ordnete an, daß derselbe fortan nicht anders zu behandeln sei, als die übrigen Lehrgegenstände, d. h. daß er wesentlich deutsch zu ertheilen sei. Die Folge war ein heftiger, noch nicht beigelegter Conflict mit dem erzbischöflichen Stuhle von Gnesen - Posen; denn da der damalige Erzbischof Ledochowski die katho¬ lischen Religionslehrer Posens und Westpreußens anwies, den Religions¬ unterricht nur in den beiden Oberklassen deutsch, sonst durchweg polnisch zu ertheilen, der Staat aber diejenigen, die sich seiner Anordnung nicht fügten, entsetzte, so vor der Hand dieser Unterricht ganz aufgehört. Weiter beseitigte eine Verordnung vom 6. December desselben Jahres *) Wiese. Verordnungen und Gesetze für die höheren Schulen in Preußen (1867» U)«N. vgl. Dess,. Das höhere Schulwesen in Preußen II. (1864 - 1869) 2087. ^) O, Wiese, Nerordnunqen I. 37. "* ) ->. a, O. I. 37, Auch die Lehrer der 4 unteren Classen sollten des Polnischen mächtig sein. s. Wiese. Das höhere Schulwesen II. 269. ' !) Deutsche Schulgeschsammlunq II, Ur. 15. vgl. Wiese. Höheres Schulwesen in Preußen III. (18«!) - 1874) 15 f 11) s- Wiese III. 16 f. 11!> Deutsche Schulgeschsammlung II. Ur. 4. vgl. Wiese a. a. O, III. (1869 — 1874) S. Ib.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/27>, abgerufen am 24.08.2024.