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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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äußeren Form das scharf Ausgeprägte und knapp beieinander Gehaltene hat,
das mit der tieferen Durchdringung des Lebens selbst in all sein künstle¬
risches Schaffen kam , versteht sich von selbst, und durch diese Eigenschaft vor
allem nehmen auch Scherzo und Finale an dem Sinn und Meinen des
Ganzen Theil.

Das Werk selbst aber belehrt uns, daß bei diesem Gemüth der Zustand
einer inneren Heiligung beschritten worden ist. Freie Selbstausgebung und
innere Erflehung sind hier kein bloßes Dogma mehr. Es ist eine neue Welt
und wahrhaft die Welt der Seligkeit, nicht aber die Seligkeit der von
der Welt Geschiedenen, sondern der dem Leben und seinen Aufgaben erst recht
Zugewandten. So empfindet auch jedes unbefangene Gemüth sich hier wie
in einer andern Welt. Aber es ist nicht die "Welt der Seligen" sondern der
in sich selbst Beseligten, die nun ihr Glück auch auf alles was mit ihnen in
Berührung tritt, ausstrahlen. Sogar die eigene Umgebung beginnt diesen
inneren Bestand von des Künstlers Wesen zu begreifen. Am 24. Sept. 1824
empfiehlt Streicher einen "vortrefflichen deutschen Mann der schon 34 Jahre
in London lebe", er heißt Stumpf, -- mit den Worten: "Die Ursache wa¬
rum er nach Baden kommt ist Sie, werthester Beethoven, den Mann zu
sehen, auf den Deutschland stolz ist. Nehmen Sie ihn gütig und freundlich
auf, so wie es dem Heiligen geziemt, zu welchem der andächtige Pilger aus
der Ferne eine Wallfahrt macht."

Und in diesem Winter 1824/25 schreibt der alte Zelter, dessen künstle¬
risches Auffassungsvermögen wir sonst zur Genüge kennen, an den "edlen be¬
rühmten großen Ludwig van Beethoven" einen Brief, den Rellstab "in vier
bis fünf Zeilen ein wahres Kunstwerk, hervorgegangen aus der Gluth der
Verehrung" nennt und so schildert: "Er der im Gespräch oft die Weise an¬
zunehmen pflegte, als habe er vor allen Größen der Kunst, Mozart, Haydn,
Beethoven, eben keine sonderliche Ehrfurcht und dürfe mit ihnen nur so wie
mit aller Welt obenhin umspringen, er nahm jetzt darin aus wahrhafter
Kunstwärme eine, ich kann es nicht anders nennen, anbetende Stellung
an: es war als ob er an einen Heiligen des Himmels schriebe."

Allein wenn dies auch so ist und bei Beethoven in Wahrheit jetzt das
Schöne aus dem Guten, die äußere Vollendung aus der inneren Tugend
strahlt, er sollte ihn sich doch noch schwer verdienen, diesen Zustand eines höhe¬
ren Menschenseins. Denn er selbst empfand es nur um so schmerzlicher, von
solchem eigentlichen Dasein des Menschen Andere und gerade die Geliebtesten
und die ihn durch Natur und Schicksal persönlich am innigsten verbunden
waren, dauernd ausgeschlossen sehen zu sollen. Zu einem wirklich leidenschaft¬
lichen Wehgesühl also mußte es ihn vor allem bringen, sein "Fleisch und
Blut", das Einzige, was er von leiblich Existirendem als sich persönlich zu-


äußeren Form das scharf Ausgeprägte und knapp beieinander Gehaltene hat,
das mit der tieferen Durchdringung des Lebens selbst in all sein künstle¬
risches Schaffen kam , versteht sich von selbst, und durch diese Eigenschaft vor
allem nehmen auch Scherzo und Finale an dem Sinn und Meinen des
Ganzen Theil.

Das Werk selbst aber belehrt uns, daß bei diesem Gemüth der Zustand
einer inneren Heiligung beschritten worden ist. Freie Selbstausgebung und
innere Erflehung sind hier kein bloßes Dogma mehr. Es ist eine neue Welt
und wahrhaft die Welt der Seligkeit, nicht aber die Seligkeit der von
der Welt Geschiedenen, sondern der dem Leben und seinen Aufgaben erst recht
Zugewandten. So empfindet auch jedes unbefangene Gemüth sich hier wie
in einer andern Welt. Aber es ist nicht die „Welt der Seligen" sondern der
in sich selbst Beseligten, die nun ihr Glück auch auf alles was mit ihnen in
Berührung tritt, ausstrahlen. Sogar die eigene Umgebung beginnt diesen
inneren Bestand von des Künstlers Wesen zu begreifen. Am 24. Sept. 1824
empfiehlt Streicher einen „vortrefflichen deutschen Mann der schon 34 Jahre
in London lebe", er heißt Stumpf, — mit den Worten: „Die Ursache wa¬
rum er nach Baden kommt ist Sie, werthester Beethoven, den Mann zu
sehen, auf den Deutschland stolz ist. Nehmen Sie ihn gütig und freundlich
auf, so wie es dem Heiligen geziemt, zu welchem der andächtige Pilger aus
der Ferne eine Wallfahrt macht."

Und in diesem Winter 1824/25 schreibt der alte Zelter, dessen künstle¬
risches Auffassungsvermögen wir sonst zur Genüge kennen, an den „edlen be¬
rühmten großen Ludwig van Beethoven" einen Brief, den Rellstab „in vier
bis fünf Zeilen ein wahres Kunstwerk, hervorgegangen aus der Gluth der
Verehrung" nennt und so schildert: „Er der im Gespräch oft die Weise an¬
zunehmen pflegte, als habe er vor allen Größen der Kunst, Mozart, Haydn,
Beethoven, eben keine sonderliche Ehrfurcht und dürfe mit ihnen nur so wie
mit aller Welt obenhin umspringen, er nahm jetzt darin aus wahrhafter
Kunstwärme eine, ich kann es nicht anders nennen, anbetende Stellung
an: es war als ob er an einen Heiligen des Himmels schriebe."

Allein wenn dies auch so ist und bei Beethoven in Wahrheit jetzt das
Schöne aus dem Guten, die äußere Vollendung aus der inneren Tugend
strahlt, er sollte ihn sich doch noch schwer verdienen, diesen Zustand eines höhe¬
ren Menschenseins. Denn er selbst empfand es nur um so schmerzlicher, von
solchem eigentlichen Dasein des Menschen Andere und gerade die Geliebtesten
und die ihn durch Natur und Schicksal persönlich am innigsten verbunden
waren, dauernd ausgeschlossen sehen zu sollen. Zu einem wirklich leidenschaft¬
lichen Wehgesühl also mußte es ihn vor allem bringen, sein „Fleisch und
Blut", das Einzige, was er von leiblich Existirendem als sich persönlich zu-


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[0264] äußeren Form das scharf Ausgeprägte und knapp beieinander Gehaltene hat, das mit der tieferen Durchdringung des Lebens selbst in all sein künstle¬ risches Schaffen kam , versteht sich von selbst, und durch diese Eigenschaft vor allem nehmen auch Scherzo und Finale an dem Sinn und Meinen des Ganzen Theil. Das Werk selbst aber belehrt uns, daß bei diesem Gemüth der Zustand einer inneren Heiligung beschritten worden ist. Freie Selbstausgebung und innere Erflehung sind hier kein bloßes Dogma mehr. Es ist eine neue Welt und wahrhaft die Welt der Seligkeit, nicht aber die Seligkeit der von der Welt Geschiedenen, sondern der dem Leben und seinen Aufgaben erst recht Zugewandten. So empfindet auch jedes unbefangene Gemüth sich hier wie in einer andern Welt. Aber es ist nicht die „Welt der Seligen" sondern der in sich selbst Beseligten, die nun ihr Glück auch auf alles was mit ihnen in Berührung tritt, ausstrahlen. Sogar die eigene Umgebung beginnt diesen inneren Bestand von des Künstlers Wesen zu begreifen. Am 24. Sept. 1824 empfiehlt Streicher einen „vortrefflichen deutschen Mann der schon 34 Jahre in London lebe", er heißt Stumpf, — mit den Worten: „Die Ursache wa¬ rum er nach Baden kommt ist Sie, werthester Beethoven, den Mann zu sehen, auf den Deutschland stolz ist. Nehmen Sie ihn gütig und freundlich auf, so wie es dem Heiligen geziemt, zu welchem der andächtige Pilger aus der Ferne eine Wallfahrt macht." Und in diesem Winter 1824/25 schreibt der alte Zelter, dessen künstle¬ risches Auffassungsvermögen wir sonst zur Genüge kennen, an den „edlen be¬ rühmten großen Ludwig van Beethoven" einen Brief, den Rellstab „in vier bis fünf Zeilen ein wahres Kunstwerk, hervorgegangen aus der Gluth der Verehrung" nennt und so schildert: „Er der im Gespräch oft die Weise an¬ zunehmen pflegte, als habe er vor allen Größen der Kunst, Mozart, Haydn, Beethoven, eben keine sonderliche Ehrfurcht und dürfe mit ihnen nur so wie mit aller Welt obenhin umspringen, er nahm jetzt darin aus wahrhafter Kunstwärme eine, ich kann es nicht anders nennen, anbetende Stellung an: es war als ob er an einen Heiligen des Himmels schriebe." Allein wenn dies auch so ist und bei Beethoven in Wahrheit jetzt das Schöne aus dem Guten, die äußere Vollendung aus der inneren Tugend strahlt, er sollte ihn sich doch noch schwer verdienen, diesen Zustand eines höhe¬ ren Menschenseins. Denn er selbst empfand es nur um so schmerzlicher, von solchem eigentlichen Dasein des Menschen Andere und gerade die Geliebtesten und die ihn durch Natur und Schicksal persönlich am innigsten verbunden waren, dauernd ausgeschlossen sehen zu sollen. Zu einem wirklich leidenschaft¬ lichen Wehgesühl also mußte es ihn vor allem bringen, sein „Fleisch und Blut", das Einzige, was er von leiblich Existirendem als sich persönlich zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/264>, abgerufen am 23.07.2024.