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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Hebung zu sich selbst, schlägt auch - in dem kleinen (Lclur) Satze -- die
Seele !des Menschen selbst ihr Auge auf: es ist wie Gebet, aber
das betende Gefühl ist selbst in dem All enthalten, zu dem es bittet.

Beethoven hatte sich wie allbekannt drei Inschriften eines ägyptischen
Tempels ausgeschrieben und sie dann in Glas und Rahmen stets vor sich auf
dem Schreibtische stehen. Sie lauten:


"Ich bin was da ist.
Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird. !
Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.
Er ist einzig von ihm selbst und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr
Dasein schuldig."

Das Autograph trägt das Datum des 26. Juli dieses Jahres 1824, und
in dem Buch, dem die Inschriften entnommen sind, heißt es: "Es dürfte schwer
sein, eine erhabenere und religiösere Vorstellung von der erschaffenden Gott¬
heit zu geben. Die Göttin des Tempels selbst aber nahm an der Schöpfung
der Welt Theil und ist die "alles bewegende Kraft".

Nun wenn uns dieses "^äagio, molto ssprössioue" wie Erhebung und
Gebet anmuthet, -- und es dürfte selbst in Beethoven's Schaffen schwer et¬
was gefunden werden, was mehr diesen Charakter hat, -- so erkennen wir,
was denn unserm Meister die wahre "erschaffende Gottheit" die "alles bewe¬
gende Kraft" und die wirkliche Schöpfung der Welt gewesen. Denn hier
ist alles persönlichste Rede der Menschenseele. Und sie darf wirklich von
einem All und Ewigen reden, von jener Unendlichkeit und Unerschöpflichkeit
im menschlichen Herzen, die die Welt erst wirklich schafft. Sogar in dem
Dvlur des allerletzten Schlusses klingt diese tiefste und eigentliche religiöse
Grundempsindung des kleinen Stückes noch einmal ebenso überraschend wie
bestätigend an. Es ist alles ein innerer Logos, die Vernunft der Sache.

Daß nun an dieser Stelle nicht weiter von Scherzo und Finale
Rede ist?

Wenn auch nicht von andern Meistern so ist doch von Beethoven selbst
manches Stück dieser Art geschrieben worden. Es sind so recht normale
Quartettsätze, und an die Epoche von seinem Schaffen, die uns hier beschäf¬
tigt, erinnert im Grunde nur einerseits im Scherzo der kleine Zug der indi¬
viduellen Belebung in dem plötzlich eintretenden Allegro das allerdings
ein so echt Beethoven'sches Sichbesinnen und Reden ist, anderseits im Finale
das abschließende "^UöAro con moto", dessen Art durchaus an den Charakter
des 1. Satzes anknüpft, nur daß sich die innerlich beseligte Stimmung wie mit
neckischen Uebermuth nach außen kehrt und die Gemüther, die mit Ernst zu
bekehren sind, gleichsam mit heiterem Spott an ihre Befangenheit in solch
richtigen Genießen und Begehren gemahnt. Daß aber alles hier nach seiner


Hebung zu sich selbst, schlägt auch - in dem kleinen (Lclur) Satze — die
Seele !des Menschen selbst ihr Auge auf: es ist wie Gebet, aber
das betende Gefühl ist selbst in dem All enthalten, zu dem es bittet.

Beethoven hatte sich wie allbekannt drei Inschriften eines ägyptischen
Tempels ausgeschrieben und sie dann in Glas und Rahmen stets vor sich auf
dem Schreibtische stehen. Sie lauten:


„Ich bin was da ist.
Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird. !
Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.
Er ist einzig von ihm selbst und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr
Dasein schuldig."

Das Autograph trägt das Datum des 26. Juli dieses Jahres 1824, und
in dem Buch, dem die Inschriften entnommen sind, heißt es: „Es dürfte schwer
sein, eine erhabenere und religiösere Vorstellung von der erschaffenden Gott¬
heit zu geben. Die Göttin des Tempels selbst aber nahm an der Schöpfung
der Welt Theil und ist die „alles bewegende Kraft".

Nun wenn uns dieses „^äagio, molto ssprössioue" wie Erhebung und
Gebet anmuthet, — und es dürfte selbst in Beethoven's Schaffen schwer et¬
was gefunden werden, was mehr diesen Charakter hat, — so erkennen wir,
was denn unserm Meister die wahre „erschaffende Gottheit" die „alles bewe¬
gende Kraft" und die wirkliche Schöpfung der Welt gewesen. Denn hier
ist alles persönlichste Rede der Menschenseele. Und sie darf wirklich von
einem All und Ewigen reden, von jener Unendlichkeit und Unerschöpflichkeit
im menschlichen Herzen, die die Welt erst wirklich schafft. Sogar in dem
Dvlur des allerletzten Schlusses klingt diese tiefste und eigentliche religiöse
Grundempsindung des kleinen Stückes noch einmal ebenso überraschend wie
bestätigend an. Es ist alles ein innerer Logos, die Vernunft der Sache.

Daß nun an dieser Stelle nicht weiter von Scherzo und Finale
Rede ist?

Wenn auch nicht von andern Meistern so ist doch von Beethoven selbst
manches Stück dieser Art geschrieben worden. Es sind so recht normale
Quartettsätze, und an die Epoche von seinem Schaffen, die uns hier beschäf¬
tigt, erinnert im Grunde nur einerseits im Scherzo der kleine Zug der indi¬
viduellen Belebung in dem plötzlich eintretenden Allegro das allerdings
ein so echt Beethoven'sches Sichbesinnen und Reden ist, anderseits im Finale
das abschließende „^UöAro con moto», dessen Art durchaus an den Charakter
des 1. Satzes anknüpft, nur daß sich die innerlich beseligte Stimmung wie mit
neckischen Uebermuth nach außen kehrt und die Gemüther, die mit Ernst zu
bekehren sind, gleichsam mit heiterem Spott an ihre Befangenheit in solch
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[0263] Hebung zu sich selbst, schlägt auch - in dem kleinen (Lclur) Satze — die Seele !des Menschen selbst ihr Auge auf: es ist wie Gebet, aber das betende Gefühl ist selbst in dem All enthalten, zu dem es bittet. Beethoven hatte sich wie allbekannt drei Inschriften eines ägyptischen Tempels ausgeschrieben und sie dann in Glas und Rahmen stets vor sich auf dem Schreibtische stehen. Sie lauten: „Ich bin was da ist. Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird. ! Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben. Er ist einzig von ihm selbst und diesem Einzigen sind alle Dinge ihr Dasein schuldig." Das Autograph trägt das Datum des 26. Juli dieses Jahres 1824, und in dem Buch, dem die Inschriften entnommen sind, heißt es: „Es dürfte schwer sein, eine erhabenere und religiösere Vorstellung von der erschaffenden Gott¬ heit zu geben. Die Göttin des Tempels selbst aber nahm an der Schöpfung der Welt Theil und ist die „alles bewegende Kraft". Nun wenn uns dieses „^äagio, molto ssprössioue" wie Erhebung und Gebet anmuthet, — und es dürfte selbst in Beethoven's Schaffen schwer et¬ was gefunden werden, was mehr diesen Charakter hat, — so erkennen wir, was denn unserm Meister die wahre „erschaffende Gottheit" die „alles bewe¬ gende Kraft" und die wirkliche Schöpfung der Welt gewesen. Denn hier ist alles persönlichste Rede der Menschenseele. Und sie darf wirklich von einem All und Ewigen reden, von jener Unendlichkeit und Unerschöpflichkeit im menschlichen Herzen, die die Welt erst wirklich schafft. Sogar in dem Dvlur des allerletzten Schlusses klingt diese tiefste und eigentliche religiöse Grundempsindung des kleinen Stückes noch einmal ebenso überraschend wie bestätigend an. Es ist alles ein innerer Logos, die Vernunft der Sache. Daß nun an dieser Stelle nicht weiter von Scherzo und Finale Rede ist? Wenn auch nicht von andern Meistern so ist doch von Beethoven selbst manches Stück dieser Art geschrieben worden. Es sind so recht normale Quartettsätze, und an die Epoche von seinem Schaffen, die uns hier beschäf¬ tigt, erinnert im Grunde nur einerseits im Scherzo der kleine Zug der indi¬ viduellen Belebung in dem plötzlich eintretenden Allegro das allerdings ein so echt Beethoven'sches Sichbesinnen und Reden ist, anderseits im Finale das abschließende „^UöAro con moto», dessen Art durchaus an den Charakter des 1. Satzes anknüpft, nur daß sich die innerlich beseligte Stimmung wie mit neckischen Uebermuth nach außen kehrt und die Gemüther, die mit Ernst zu bekehren sind, gleichsam mit heiterem Spott an ihre Befangenheit in solch richtigen Genießen und Begehren gemahnt. Daß aber alles hier nach seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/263>, abgerufen am 23.07.2024.