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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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einer Insel dieses Flusses zusammen. Die Christen aber, welche meinten, daß
nach solchen Erfahrungen Athanarich nicht wagen werde, gewaltthätiger gegen
sie aufzutreten, erhoben freier ihr Haupt. In ihrer Erwartung jedoch wurden
sie bitter getäuscht. Gerade mit um so größerer Hitze strebte jener nach Er¬
weiterung seiner Macht und suchte den Königstitel zu rechtfertigen, den er
sich schon vorher, vielleicht mit Einwilligung des Ostgothenkönigs Ermanrich
beigelegt hatte. Um sich alle heidnischen Elemente im Westgothenvolke zu
verbünden, ordnete er wiederum Christenverfolgungen an, die womöglich noch
blutiger verliefen wie das erstemal. Es starben bei dieser Gelegenheit nicht
nur Männer aus niederem Stande wie der heilige Saba, sondern auch aus
den edelsten Geschlechtern, die großes Ansehen im Volke genossen und durch
nichts bewogen werden konnten ihren Glauben zu verleugnen, wie ein Nike-
tas. Diejenigen, die der Verfolgung entrannen, wandten sich theils nach
Asien, theils zu ihren Volksgenossen in das Gebiet Fritigern's oder nach Mo-
slem zum Ulfilas.

Ein Abscheu vor dem Arianismus dieser lag ihnen völlig fern, da ihnen
der Unterschied zwischen ihrem und diesem Bekenntniß sicher nicht allzuschwer
wog und nicht viel Ueberredung kostete es, sie für den veränderten Glauben
zu gewinnen. Wenn man überhaupt diesen Vorgang eine Verführung ni-
cäischer Gothen zur arianischen Lehre nennen darf, so ist hier der Grund zu
den Anschuldigungen katholischer Schriftsteller gegen Ulfilas als einen Ver¬
führer rechtgläubiger Christen zu suchen.

Je mehr es nun schon früher im Plane des Athanarich gelegen hatte,
das Ansehen, das Fritigern in einem Theile der Westgothen behauptete, zu
vernichten, umsomehr erschien es ihm nun bedenklich, dem Zuwachs an
Macht, den jener durch den Uebertritt der Christen erlangte, ruhig mit an-
zusehn. Daher kam die alte Eifersucht zu gewaltsamen Ausbruch und Friti¬
gern, der. sich dem mächtigen Feinde gegenüber zu schwach fühlte, nahm seine
Zuflucht zu den Römern. Zu diesem Schritte ermuthigte ihn wahrscheinlich
Ulfilas selbst, der von dem arianisch gesinnten Kaiser geehrt wurde und in
dem Gothenfürsten die Hoffnung nährte, daß er in Constantinopel Hülfe er¬
langen werde, zumal er den Entschluß zu erkennen gab, zum arianischen
Glauben überzutreten. Wirklich befahl Valens den in Moslem stehenden
römischen Truppen über die Donau zu setzen und Fritigern beizustehen.
Dank dieser Unterstützung wurde Athanarich besiegt und zum Frieden ge¬
zwungen. Aber freilich brach kurz darauf ein weit entsetzlicheres Unwetter
los, das Europa furchtbar erschütterte, Städte und Staaten zertrümmerte
und ganze Völker völlig vertilgte. Im Jahre 376 wälzten sich die wilden
Schaaren der Hunnen aus den Steppen Mittelasiens über Wolga und Don
und machten dem Ostgothenreiche Ermanrich's ein Ende. Dann stürzte sich


einer Insel dieses Flusses zusammen. Die Christen aber, welche meinten, daß
nach solchen Erfahrungen Athanarich nicht wagen werde, gewaltthätiger gegen
sie aufzutreten, erhoben freier ihr Haupt. In ihrer Erwartung jedoch wurden
sie bitter getäuscht. Gerade mit um so größerer Hitze strebte jener nach Er¬
weiterung seiner Macht und suchte den Königstitel zu rechtfertigen, den er
sich schon vorher, vielleicht mit Einwilligung des Ostgothenkönigs Ermanrich
beigelegt hatte. Um sich alle heidnischen Elemente im Westgothenvolke zu
verbünden, ordnete er wiederum Christenverfolgungen an, die womöglich noch
blutiger verliefen wie das erstemal. Es starben bei dieser Gelegenheit nicht
nur Männer aus niederem Stande wie der heilige Saba, sondern auch aus
den edelsten Geschlechtern, die großes Ansehen im Volke genossen und durch
nichts bewogen werden konnten ihren Glauben zu verleugnen, wie ein Nike-
tas. Diejenigen, die der Verfolgung entrannen, wandten sich theils nach
Asien, theils zu ihren Volksgenossen in das Gebiet Fritigern's oder nach Mo-
slem zum Ulfilas.

Ein Abscheu vor dem Arianismus dieser lag ihnen völlig fern, da ihnen
der Unterschied zwischen ihrem und diesem Bekenntniß sicher nicht allzuschwer
wog und nicht viel Ueberredung kostete es, sie für den veränderten Glauben
zu gewinnen. Wenn man überhaupt diesen Vorgang eine Verführung ni-
cäischer Gothen zur arianischen Lehre nennen darf, so ist hier der Grund zu
den Anschuldigungen katholischer Schriftsteller gegen Ulfilas als einen Ver¬
führer rechtgläubiger Christen zu suchen.

Je mehr es nun schon früher im Plane des Athanarich gelegen hatte,
das Ansehen, das Fritigern in einem Theile der Westgothen behauptete, zu
vernichten, umsomehr erschien es ihm nun bedenklich, dem Zuwachs an
Macht, den jener durch den Uebertritt der Christen erlangte, ruhig mit an-
zusehn. Daher kam die alte Eifersucht zu gewaltsamen Ausbruch und Friti¬
gern, der. sich dem mächtigen Feinde gegenüber zu schwach fühlte, nahm seine
Zuflucht zu den Römern. Zu diesem Schritte ermuthigte ihn wahrscheinlich
Ulfilas selbst, der von dem arianisch gesinnten Kaiser geehrt wurde und in
dem Gothenfürsten die Hoffnung nährte, daß er in Constantinopel Hülfe er¬
langen werde, zumal er den Entschluß zu erkennen gab, zum arianischen
Glauben überzutreten. Wirklich befahl Valens den in Moslem stehenden
römischen Truppen über die Donau zu setzen und Fritigern beizustehen.
Dank dieser Unterstützung wurde Athanarich besiegt und zum Frieden ge¬
zwungen. Aber freilich brach kurz darauf ein weit entsetzlicheres Unwetter
los, das Europa furchtbar erschütterte, Städte und Staaten zertrümmerte
und ganze Völker völlig vertilgte. Im Jahre 376 wälzten sich die wilden
Schaaren der Hunnen aus den Steppen Mittelasiens über Wolga und Don
und machten dem Ostgothenreiche Ermanrich's ein Ende. Dann stürzte sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/18>, abgerufen am 29.06.2024.