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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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der durch die Unterworfenen verstärkte Schwarm auf die Westgothen. Atha-
narich rüstete zu kräftigem Widerstand, wurde aber von den Hunnen über¬
fallen und vollständig geschlagen. Erschreckt flüchtete er sich mit den Trüm-
mern seines Heeres in die Höhenzüge zwischen Siebenbürgen und Moldau
und suchte sich durch Verschanzungen zu sichern. Aber es fehlte dem Ver¬
stecke an Lebensmitteln und nach langen Berathungen beschloß ein Theil sei¬
nes Volkes die Grenze des römischen Reiches zu überschreiten und jenseits der
Donau neue Wohnsitze zu suchen. Zu diesem Entschlüsse waren auch die
Fritigern'schen Gothen gekommen und hatten eine Gesandtschaft unter Führ¬
ung des Ulfilas nach Antiochien geschickt um den dort weilenden Valens um
Aufnahme zu bitten. Eine bejahende Antwort mußte bei der Masse des
Volks bedenklich erscheinen, aber mit Rücksicht auf das freundschaftliche Ver¬
hältnis von früher wurde sie doch ertheilt in der Hoffnung, den damit ver-
bundenen Gefahren durch Klugheit vorbeugen zu können. Zuerst sollten die
Weiber und Kinder übergesetzt und in fernen Gegenden als Geiseln ver¬
wahrt, die Männer jedoch entwaffnet werden. Aber die Menge der Gothen
war ungeheuer angeschwollen, da sich die Versprengten und Flüchtigen aus
Gebiet und Heer des Athanarich unter einem besonderen Führer angeschlossen
hatten. Im Herbst des Jahres 376 erschienen 200,000 Männer, also ge¬
wiß gegen 800,000 Menschen. Als nun gar noch ein Zug Ostgothen an¬
langte, war der Uebergang nicht mehr zu hemmen und die Maßregeln der
Vorsicht nicht mehr durchzuführen. Wohl aber erlaubten sich die römischen
Beamten unerhörte Willkürlichkeiten, Frauen und Kinder wurden als Sclaven
entführt, das Wasserträger gegen hohe Bestechung erlaubt. Lebensmittel nur
gegen theure Preise verkauft oder ganz vorenthalten, so daß bald Hungersnoth
entstand. Mit bewundernswerther Geduld ertrugen die Gothen das Alles,
ohne zum Schwerte zu greifen und vielleicht dürfen wir in dieser Selbstbe¬
herrschung den Einfluß des Ulfilas erkennen. Dieser war mit den Seinen
im Hanns für Aufrechterhaltung des Friedens entschieden und beharrte
auch später bet diesem Entschlüsse. Für den Frieden nun wirkte er auch bei
den übrigen Gothen besonders durch Fritigern. Als aber auch dessen Sicher¬
heit von den Römern bedroht wurde, gab's kein Halten mehr und die bisher
gezügelte Wuth entbrannte mit um so furchtbarerer Heftigkeit. Was die
Hunnen den Gothen, waren diese den Römern und durch Macedonien und
Thessalien fraß grauenhafte Verheerung. Im Mai des Jahres 378 kam
Valens selbst auf den Kriegsschauplatz. Aus kleinlicher Eifersucht gegen seinen
Neffen Gratian, der eben einen großen Sieg über die Alemannen erfochten
und dem Onkel ein Hilfsheer versprochen hatte, beschloß er. ohne die An¬
kunft desselben abzuwarten, die Entscheidungsschlacht. Da trat ein christ¬
licher Bischof. ,,der dem Fritigern treu und dessen geheimer Absichten kundig


der durch die Unterworfenen verstärkte Schwarm auf die Westgothen. Atha-
narich rüstete zu kräftigem Widerstand, wurde aber von den Hunnen über¬
fallen und vollständig geschlagen. Erschreckt flüchtete er sich mit den Trüm-
mern seines Heeres in die Höhenzüge zwischen Siebenbürgen und Moldau
und suchte sich durch Verschanzungen zu sichern. Aber es fehlte dem Ver¬
stecke an Lebensmitteln und nach langen Berathungen beschloß ein Theil sei¬
nes Volkes die Grenze des römischen Reiches zu überschreiten und jenseits der
Donau neue Wohnsitze zu suchen. Zu diesem Entschlüsse waren auch die
Fritigern'schen Gothen gekommen und hatten eine Gesandtschaft unter Führ¬
ung des Ulfilas nach Antiochien geschickt um den dort weilenden Valens um
Aufnahme zu bitten. Eine bejahende Antwort mußte bei der Masse des
Volks bedenklich erscheinen, aber mit Rücksicht auf das freundschaftliche Ver¬
hältnis von früher wurde sie doch ertheilt in der Hoffnung, den damit ver-
bundenen Gefahren durch Klugheit vorbeugen zu können. Zuerst sollten die
Weiber und Kinder übergesetzt und in fernen Gegenden als Geiseln ver¬
wahrt, die Männer jedoch entwaffnet werden. Aber die Menge der Gothen
war ungeheuer angeschwollen, da sich die Versprengten und Flüchtigen aus
Gebiet und Heer des Athanarich unter einem besonderen Führer angeschlossen
hatten. Im Herbst des Jahres 376 erschienen 200,000 Männer, also ge¬
wiß gegen 800,000 Menschen. Als nun gar noch ein Zug Ostgothen an¬
langte, war der Uebergang nicht mehr zu hemmen und die Maßregeln der
Vorsicht nicht mehr durchzuführen. Wohl aber erlaubten sich die römischen
Beamten unerhörte Willkürlichkeiten, Frauen und Kinder wurden als Sclaven
entführt, das Wasserträger gegen hohe Bestechung erlaubt. Lebensmittel nur
gegen theure Preise verkauft oder ganz vorenthalten, so daß bald Hungersnoth
entstand. Mit bewundernswerther Geduld ertrugen die Gothen das Alles,
ohne zum Schwerte zu greifen und vielleicht dürfen wir in dieser Selbstbe¬
herrschung den Einfluß des Ulfilas erkennen. Dieser war mit den Seinen
im Hanns für Aufrechterhaltung des Friedens entschieden und beharrte
auch später bet diesem Entschlüsse. Für den Frieden nun wirkte er auch bei
den übrigen Gothen besonders durch Fritigern. Als aber auch dessen Sicher¬
heit von den Römern bedroht wurde, gab's kein Halten mehr und die bisher
gezügelte Wuth entbrannte mit um so furchtbarerer Heftigkeit. Was die
Hunnen den Gothen, waren diese den Römern und durch Macedonien und
Thessalien fraß grauenhafte Verheerung. Im Mai des Jahres 378 kam
Valens selbst auf den Kriegsschauplatz. Aus kleinlicher Eifersucht gegen seinen
Neffen Gratian, der eben einen großen Sieg über die Alemannen erfochten
und dem Onkel ein Hilfsheer versprochen hatte, beschloß er. ohne die An¬
kunft desselben abzuwarten, die Entscheidungsschlacht. Da trat ein christ¬
licher Bischof. ,,der dem Fritigern treu und dessen geheimer Absichten kundig


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[0019] der durch die Unterworfenen verstärkte Schwarm auf die Westgothen. Atha- narich rüstete zu kräftigem Widerstand, wurde aber von den Hunnen über¬ fallen und vollständig geschlagen. Erschreckt flüchtete er sich mit den Trüm- mern seines Heeres in die Höhenzüge zwischen Siebenbürgen und Moldau und suchte sich durch Verschanzungen zu sichern. Aber es fehlte dem Ver¬ stecke an Lebensmitteln und nach langen Berathungen beschloß ein Theil sei¬ nes Volkes die Grenze des römischen Reiches zu überschreiten und jenseits der Donau neue Wohnsitze zu suchen. Zu diesem Entschlüsse waren auch die Fritigern'schen Gothen gekommen und hatten eine Gesandtschaft unter Führ¬ ung des Ulfilas nach Antiochien geschickt um den dort weilenden Valens um Aufnahme zu bitten. Eine bejahende Antwort mußte bei der Masse des Volks bedenklich erscheinen, aber mit Rücksicht auf das freundschaftliche Ver¬ hältnis von früher wurde sie doch ertheilt in der Hoffnung, den damit ver- bundenen Gefahren durch Klugheit vorbeugen zu können. Zuerst sollten die Weiber und Kinder übergesetzt und in fernen Gegenden als Geiseln ver¬ wahrt, die Männer jedoch entwaffnet werden. Aber die Menge der Gothen war ungeheuer angeschwollen, da sich die Versprengten und Flüchtigen aus Gebiet und Heer des Athanarich unter einem besonderen Führer angeschlossen hatten. Im Herbst des Jahres 376 erschienen 200,000 Männer, also ge¬ wiß gegen 800,000 Menschen. Als nun gar noch ein Zug Ostgothen an¬ langte, war der Uebergang nicht mehr zu hemmen und die Maßregeln der Vorsicht nicht mehr durchzuführen. Wohl aber erlaubten sich die römischen Beamten unerhörte Willkürlichkeiten, Frauen und Kinder wurden als Sclaven entführt, das Wasserträger gegen hohe Bestechung erlaubt. Lebensmittel nur gegen theure Preise verkauft oder ganz vorenthalten, so daß bald Hungersnoth entstand. Mit bewundernswerther Geduld ertrugen die Gothen das Alles, ohne zum Schwerte zu greifen und vielleicht dürfen wir in dieser Selbstbe¬ herrschung den Einfluß des Ulfilas erkennen. Dieser war mit den Seinen im Hanns für Aufrechterhaltung des Friedens entschieden und beharrte auch später bet diesem Entschlüsse. Für den Frieden nun wirkte er auch bei den übrigen Gothen besonders durch Fritigern. Als aber auch dessen Sicher¬ heit von den Römern bedroht wurde, gab's kein Halten mehr und die bisher gezügelte Wuth entbrannte mit um so furchtbarerer Heftigkeit. Was die Hunnen den Gothen, waren diese den Römern und durch Macedonien und Thessalien fraß grauenhafte Verheerung. Im Mai des Jahres 378 kam Valens selbst auf den Kriegsschauplatz. Aus kleinlicher Eifersucht gegen seinen Neffen Gratian, der eben einen großen Sieg über die Alemannen erfochten und dem Onkel ein Hilfsheer versprochen hatte, beschloß er. ohne die An¬ kunft desselben abzuwarten, die Entscheidungsschlacht. Da trat ein christ¬ licher Bischof. ,,der dem Fritigern treu und dessen geheimer Absichten kundig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/19>, abgerufen am 01.07.2024.