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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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Derselbe liegt ihm nicht so sehr auf sittlichem, als auf naturhistorischen Ge¬
biete, nämlich in der krankhaften Steigerung jener Eigenthümlichkeiten, die in
der Vermischung des Blutes der Julier mit dem der Claudier zusammenge¬
troffen und in der Degeneration geendigt, welcher die so entstandene Familie
allmählich anheim gefallen sei. Ihm ist also der Wahnsinn jener Cäsaren
nicht die Folge moralischer Conflicte, erschütternder Combinationen und gro߬
artiger Weltverhältnisse in einer in faule Gährung übergegangnen Zeit, son¬
dern einfach eine Familienkrankheit. Der den Imperatoren über Nacht ge¬
kommene Besitz einer Welt oder die Eigenthümlichkeiten der damaligen sitt¬
lichen und politischen Zustände sind nach ihm nicht die Ursachen ihres Frevel¬
muthes, ihres wüsten Lebens und ihrer Grausamkeit, sondern sie bilden ihm
"nur den Boden, auf dem der Cäsarenwahnsinn seine grotesken und gran¬
diosen Blüthen treiben konnte." Tiberius war geisteskrank, bevor er Kaiser
wurde, Caligula zeigte die Keime zur Verrücktheit bereits als Knabe, Claudius
war längst schon blödsinnig, als er auf den Thron gelangte, und ein Seelen¬
kenner hätte auch Nero voraussagen können, daß er in Wahnsinn verfallen
würde. Auch wenn diese Glieder des Julisch - Claudischen Geschlechts nicht
Kaiser der Welt geworden wären, geisteskrank wären sie doch geworden.
"Ihre Machtstellung ließ ihrer Krankheit nur das Kleid; ihr Wesen bedingte
sie nicht. Tiberius würde, wenn ihn das Geschick zum simpeln römischen
Bürger bestimmt hätte, sich vielleicht von den Juden oder der Polizei verfolgt
gewähnt haben. Caligula hätte, wenn er als Sklave geboren gewesen, denk¬
barer Weise seinen Wahnsinn nur bis zu der Höhe emporgeschraubt, sich für
den Schulzen seines Dorfes zu halten. Claudius hätte auch als bloßer Ge¬
richtsdiener sich für einen größeren Juristen als den Präsidenten eines hohen
Tribunals gehalten und zur Feder gegriffen, um die Welt mit seiner Rechts¬
weisheit zu beglücken. Nero hätte, wenn er als Schuster in Pompeji zur
Welt gekommen wäre, vielleicht sein Genüge daran gefunden, durch Gesang
und Tanz den Neid seiner Mttgesellen zu erregen."

Tiberius ist der Sproß einer Consanguinetätsheirath: er entstammt
von väterlicher wie mütterlicher Seite dem patrieischen Geschlechte der Clau¬
dier. Diese gehörten dem höchsten römischen Adel an und zählten in ihrem
Stammbaum eine lange Reihe von Namen, die mit Würden verbunden
waren, darunter achtundzwanzig Consuln und fünf Dictatoren. Immer zeigten
sie sich aber als starre Aristokraten und als trotzige, gewaltthätige, das niedere
Volk verachtende, bisweilen selbst vor Verletzung von Heiligthümern nicht zu¬
rückscheuende Geister. Von seinem Vater und dessen Ahnen erbte Tiberius
rauhe Härte, adeligen Hochmuth, souveräne Mißachtung der Plebejer und
Neigung zum Blutdurst, von seiner Mutter kalte Berechnung und eisige
Herzlosigkeit bei der Verfolgung ehrgeiziger Zwecke. Beide aber übertrugen


Derselbe liegt ihm nicht so sehr auf sittlichem, als auf naturhistorischen Ge¬
biete, nämlich in der krankhaften Steigerung jener Eigenthümlichkeiten, die in
der Vermischung des Blutes der Julier mit dem der Claudier zusammenge¬
troffen und in der Degeneration geendigt, welcher die so entstandene Familie
allmählich anheim gefallen sei. Ihm ist also der Wahnsinn jener Cäsaren
nicht die Folge moralischer Conflicte, erschütternder Combinationen und gro߬
artiger Weltverhältnisse in einer in faule Gährung übergegangnen Zeit, son¬
dern einfach eine Familienkrankheit. Der den Imperatoren über Nacht ge¬
kommene Besitz einer Welt oder die Eigenthümlichkeiten der damaligen sitt¬
lichen und politischen Zustände sind nach ihm nicht die Ursachen ihres Frevel¬
muthes, ihres wüsten Lebens und ihrer Grausamkeit, sondern sie bilden ihm
„nur den Boden, auf dem der Cäsarenwahnsinn seine grotesken und gran¬
diosen Blüthen treiben konnte." Tiberius war geisteskrank, bevor er Kaiser
wurde, Caligula zeigte die Keime zur Verrücktheit bereits als Knabe, Claudius
war längst schon blödsinnig, als er auf den Thron gelangte, und ein Seelen¬
kenner hätte auch Nero voraussagen können, daß er in Wahnsinn verfallen
würde. Auch wenn diese Glieder des Julisch - Claudischen Geschlechts nicht
Kaiser der Welt geworden wären, geisteskrank wären sie doch geworden.
„Ihre Machtstellung ließ ihrer Krankheit nur das Kleid; ihr Wesen bedingte
sie nicht. Tiberius würde, wenn ihn das Geschick zum simpeln römischen
Bürger bestimmt hätte, sich vielleicht von den Juden oder der Polizei verfolgt
gewähnt haben. Caligula hätte, wenn er als Sklave geboren gewesen, denk¬
barer Weise seinen Wahnsinn nur bis zu der Höhe emporgeschraubt, sich für
den Schulzen seines Dorfes zu halten. Claudius hätte auch als bloßer Ge¬
richtsdiener sich für einen größeren Juristen als den Präsidenten eines hohen
Tribunals gehalten und zur Feder gegriffen, um die Welt mit seiner Rechts¬
weisheit zu beglücken. Nero hätte, wenn er als Schuster in Pompeji zur
Welt gekommen wäre, vielleicht sein Genüge daran gefunden, durch Gesang
und Tanz den Neid seiner Mttgesellen zu erregen."

Tiberius ist der Sproß einer Consanguinetätsheirath: er entstammt
von väterlicher wie mütterlicher Seite dem patrieischen Geschlechte der Clau¬
dier. Diese gehörten dem höchsten römischen Adel an und zählten in ihrem
Stammbaum eine lange Reihe von Namen, die mit Würden verbunden
waren, darunter achtundzwanzig Consuln und fünf Dictatoren. Immer zeigten
sie sich aber als starre Aristokraten und als trotzige, gewaltthätige, das niedere
Volk verachtende, bisweilen selbst vor Verletzung von Heiligthümern nicht zu¬
rückscheuende Geister. Von seinem Vater und dessen Ahnen erbte Tiberius
rauhe Härte, adeligen Hochmuth, souveräne Mißachtung der Plebejer und
Neigung zum Blutdurst, von seiner Mutter kalte Berechnung und eisige
Herzlosigkeit bei der Verfolgung ehrgeiziger Zwecke. Beide aber übertrugen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/136>, abgerufen am 22.07.2024.