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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band.

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die Einführung der Reformation ermöglicht und der jungen Pflanzung die
hingehendste Sorgfalt zugewandt hatten. Und es ist gewiß charakte¬
ristisch . daß Hegel. Marheineke, Rothe, Trendelenburg, welche dem
Staate eine so hohe, zum Theil über das rechte Maß hinausgehende
sittliche Würde zuerkennen und mehr oder weniger einem innigen Zusammen¬
hange desselben das Wort reden, einen großen Theil ihrer Wirksamkeit in
dem Staate verlebt haben, der sich allezeit so ernst seiner sittlichen Aus¬
gaben bewußt gewesen war, und der sich je länger je mehr als politischer
Hort des Protestantismus bewährt hatte. Eine singuläre Stellung in dieser
Hinsicht nimmt Schleiermacher ein. Er war ein glühender Patriot, ein be¬
geisterter Vertreter der Rechte Preußens und zugleich ein Denker, welcher den
Begriff des Staats tief erfaßte. Nichts desto weniger gehören seine Sympa¬
thien der Freikirche, und die Trennung von Kirche und Staat erscheint ihm
wünschenswerth. Um diese Richtung Schleiermacher's zu begreifen, müssen wir
uns vergegenwärtigen, daß für ihn die Religion wesentlich in die Sphäre des
subjektiven Gefühls fällt, und er daher der Kirche ihren Platz zugleich mit der
Kunst in der Form der individuell symbolisirenden Thätigkeit anweist. Er
stellt Religion und Kirche unter ästhetische Gesichtspunkte. Daher breitet sich für
ihn zwischen der Kirche und dem Staate, als der Form identisch organisi-
render Thätigkeit, eine weite Kluft. Nicht ohne Einwirkung auf diese Auf¬
fassung war wohl auch Schleiermacher's Erziehung in der Brüdergemeinde ge¬
wesen, in welcher der individuelle und subjektive Faktor den Typus des kirchlichen
Lebens bestimmt. Es kam noch hinzu, daß Schleiermacher in idealistischen
Optimismus glaubte, auch ohne Einwirkung des Staates werde das religiöse
und kirchliche Prinzip alle Bürger des Staates fesseln und anziehen. Er
hatte nicht immer der Staatskirche feindlich gegenüber gestanden, in Bezug
auf die Eventualität einer Trennung von Staat und Kirche hatte er noch 1817
ausgerufen: "Gott bewahre den Staat und die Kirche vor einem solchen
Rückschritt." Aber die Gewaltakte des staatskirchlichen Regiments, das terri-
lvrialistische Verfahren bei der Einführung der Agende, welchem er beinahe
das Opfer seines kirchlichen Amts hätte bringen müssen, hatte sein zartes für
jede Rechtsverletzung empfängliches Gefühl so tief verletzt, daß er seitdem die
Staatskirche mit großem Mißtrauen betrachtete und nur als ein vorläufig
nothwendiges Uebel ansah.*)

Unabhängig von einer mangelhaften Würdigung des Sittlichen im Staate
hat sich in der nordamerikanischen Union die Trennung von Staat und



*) Vgl. des Verf. Aufsah: Schleiermacher's Kritik der Vcrfassnngssysteme in der evan¬
gelischen Kirche. Grenzboten 1872. September.
Grenzboten IV. 187b. 17

die Einführung der Reformation ermöglicht und der jungen Pflanzung die
hingehendste Sorgfalt zugewandt hatten. Und es ist gewiß charakte¬
ristisch . daß Hegel. Marheineke, Rothe, Trendelenburg, welche dem
Staate eine so hohe, zum Theil über das rechte Maß hinausgehende
sittliche Würde zuerkennen und mehr oder weniger einem innigen Zusammen¬
hange desselben das Wort reden, einen großen Theil ihrer Wirksamkeit in
dem Staate verlebt haben, der sich allezeit so ernst seiner sittlichen Aus¬
gaben bewußt gewesen war, und der sich je länger je mehr als politischer
Hort des Protestantismus bewährt hatte. Eine singuläre Stellung in dieser
Hinsicht nimmt Schleiermacher ein. Er war ein glühender Patriot, ein be¬
geisterter Vertreter der Rechte Preußens und zugleich ein Denker, welcher den
Begriff des Staats tief erfaßte. Nichts desto weniger gehören seine Sympa¬
thien der Freikirche, und die Trennung von Kirche und Staat erscheint ihm
wünschenswerth. Um diese Richtung Schleiermacher's zu begreifen, müssen wir
uns vergegenwärtigen, daß für ihn die Religion wesentlich in die Sphäre des
subjektiven Gefühls fällt, und er daher der Kirche ihren Platz zugleich mit der
Kunst in der Form der individuell symbolisirenden Thätigkeit anweist. Er
stellt Religion und Kirche unter ästhetische Gesichtspunkte. Daher breitet sich für
ihn zwischen der Kirche und dem Staate, als der Form identisch organisi-
render Thätigkeit, eine weite Kluft. Nicht ohne Einwirkung auf diese Auf¬
fassung war wohl auch Schleiermacher's Erziehung in der Brüdergemeinde ge¬
wesen, in welcher der individuelle und subjektive Faktor den Typus des kirchlichen
Lebens bestimmt. Es kam noch hinzu, daß Schleiermacher in idealistischen
Optimismus glaubte, auch ohne Einwirkung des Staates werde das religiöse
und kirchliche Prinzip alle Bürger des Staates fesseln und anziehen. Er
hatte nicht immer der Staatskirche feindlich gegenüber gestanden, in Bezug
auf die Eventualität einer Trennung von Staat und Kirche hatte er noch 1817
ausgerufen: „Gott bewahre den Staat und die Kirche vor einem solchen
Rückschritt." Aber die Gewaltakte des staatskirchlichen Regiments, das terri-
lvrialistische Verfahren bei der Einführung der Agende, welchem er beinahe
das Opfer seines kirchlichen Amts hätte bringen müssen, hatte sein zartes für
jede Rechtsverletzung empfängliches Gefühl so tief verletzt, daß er seitdem die
Staatskirche mit großem Mißtrauen betrachtete und nur als ein vorläufig
nothwendiges Uebel ansah.*)

Unabhängig von einer mangelhaften Würdigung des Sittlichen im Staate
hat sich in der nordamerikanischen Union die Trennung von Staat und



*) Vgl. des Verf. Aufsah: Schleiermacher's Kritik der Vcrfassnngssysteme in der evan¬
gelischen Kirche. Grenzboten 1872. September.
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[0133] die Einführung der Reformation ermöglicht und der jungen Pflanzung die hingehendste Sorgfalt zugewandt hatten. Und es ist gewiß charakte¬ ristisch . daß Hegel. Marheineke, Rothe, Trendelenburg, welche dem Staate eine so hohe, zum Theil über das rechte Maß hinausgehende sittliche Würde zuerkennen und mehr oder weniger einem innigen Zusammen¬ hange desselben das Wort reden, einen großen Theil ihrer Wirksamkeit in dem Staate verlebt haben, der sich allezeit so ernst seiner sittlichen Aus¬ gaben bewußt gewesen war, und der sich je länger je mehr als politischer Hort des Protestantismus bewährt hatte. Eine singuläre Stellung in dieser Hinsicht nimmt Schleiermacher ein. Er war ein glühender Patriot, ein be¬ geisterter Vertreter der Rechte Preußens und zugleich ein Denker, welcher den Begriff des Staats tief erfaßte. Nichts desto weniger gehören seine Sympa¬ thien der Freikirche, und die Trennung von Kirche und Staat erscheint ihm wünschenswerth. Um diese Richtung Schleiermacher's zu begreifen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß für ihn die Religion wesentlich in die Sphäre des subjektiven Gefühls fällt, und er daher der Kirche ihren Platz zugleich mit der Kunst in der Form der individuell symbolisirenden Thätigkeit anweist. Er stellt Religion und Kirche unter ästhetische Gesichtspunkte. Daher breitet sich für ihn zwischen der Kirche und dem Staate, als der Form identisch organisi- render Thätigkeit, eine weite Kluft. Nicht ohne Einwirkung auf diese Auf¬ fassung war wohl auch Schleiermacher's Erziehung in der Brüdergemeinde ge¬ wesen, in welcher der individuelle und subjektive Faktor den Typus des kirchlichen Lebens bestimmt. Es kam noch hinzu, daß Schleiermacher in idealistischen Optimismus glaubte, auch ohne Einwirkung des Staates werde das religiöse und kirchliche Prinzip alle Bürger des Staates fesseln und anziehen. Er hatte nicht immer der Staatskirche feindlich gegenüber gestanden, in Bezug auf die Eventualität einer Trennung von Staat und Kirche hatte er noch 1817 ausgerufen: „Gott bewahre den Staat und die Kirche vor einem solchen Rückschritt." Aber die Gewaltakte des staatskirchlichen Regiments, das terri- lvrialistische Verfahren bei der Einführung der Agende, welchem er beinahe das Opfer seines kirchlichen Amts hätte bringen müssen, hatte sein zartes für jede Rechtsverletzung empfängliches Gefühl so tief verletzt, daß er seitdem die Staatskirche mit großem Mißtrauen betrachtete und nur als ein vorläufig nothwendiges Uebel ansah.*) Unabhängig von einer mangelhaften Würdigung des Sittlichen im Staate hat sich in der nordamerikanischen Union die Trennung von Staat und *) Vgl. des Verf. Aufsah: Schleiermacher's Kritik der Vcrfassnngssysteme in der evan¬ gelischen Kirche. Grenzboten 1872. September. Grenzboten IV. 187b. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_148596/133>, abgerufen am 22.07.2024.