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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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linken Ufer der Maas. Mit Bezug auf die Annäherung an die englische
Armee dachte sich Gneisenau den Sammelpunkt des ganzen preußischen Heeres
bei Sombreffe. 9 Meilen von Lüttich, 2V2 Meilen von Namur, 2V" Meile
von Charleroi, 6 Meilen von Ciney. Die Stellung von Sombreffe-Bry hat
den Lignybach mit Se. Amand und Ligny vor der Front. -- Ende Mai
zählte die preußische Armee in Belgien 136 Bataillone, 133 Escadrons und
39 Batterien, im Ganzen 116,000 Mann.

Die englische Armee erreichte in der ersten Junihälfte ihre volle Stärke:
106,000, nach Abzug der Besatzungen 94,000 Mann. Nur der kleinere
Theil bestand aus National - Engländern; die Hauptmasse bildeten die Han¬
noveraner, Braunschweiger, Nassauer. Holländer und Belgier. Von 82.000
Mann Fußvolk waren nur 27.000. von 14.000 Reitern nur 6000 Briten. --
Eingetheilt war die Armee in zwei Corps und die Reserve. Die letztere, unter
Wellington's persönlichem Befehl, stand in und um Brüssel. Die beiden an¬
dern Corps kantonnirten in dem Raum südl. der Dyle von dem rechten
Flügel Gent bis zu dem linken Flügel Quarre Bras, und zwar das I. Corps
unter dem Prinzen von Oranien auf dem linken, das II. Corps unter Lord
Hill auf dem rechten Flügel. -- Nach einem Punkte in der Mitte war die
Armee am zweiten Tage zu sammeln, nach dem linken Flügel, d. h. also nach
dem Verbindungspunkte mit den Preußen, erst am dritten Tage. Die
schwächere englische Armee war also nicht so eng concentrirt, wie die stärkere
preußische; Wellington war nicht im Stande, Blücher so schnell zu Hilfe zu
eilen, wie dieser ihm. -- Auch englischerseits hat man neuerdings zugegeben,
daß jene Kantonnements zu ausgedehnt waren. Aber der Herzog glaubte
nicht an einen Angriff in den Thälern der Maas oder der Sambre; er er¬
wartete überhaupt keinen Angriff Napoleon's und hielt alle
Meldungen von Truppenbewegungen jenseits der Grenze lediglich für Be¬
weise der ausgedehntesten Defensivmaßregeln des Feindes. Er hatte sich
in diese Anschauung seit Anfang April hineingelebt und hat sie mit der
äußersten Zähigkeit festgehalten bis zum ersten französischen Kanonenschuß.

Wenden wir uns nun zu Napoleon's "großer Armee."

Zu Anfang Juni standen das I. Corps (Drouet d' Erlon) bei Valen-
ciennes, das II. (Rente) bei Avesnes, das III. (Vandamme) bei Rocroy. das IV-
(Gerard) bei Metz, das VI. (Lobau) bei Laon und Arras, die Garden unter
Mortier bei Compiegne und die Reserve-Cavallerie unter dem neu ernannten
Marschall Grouchy bei Laon.

Freiwillig durfte Napoleon die Defensive nicht wählen. Es lag durch¬
aus in seinem Charakter, sich durch die Offensive den nächsten Feind aus¬
zusuchen, zumal dieser von seinen berühmtesten Gegnern, von Blücher und
Wellington, befehligt wurde. Bei ihren viel zu ausgedehnten Kantonnements


linken Ufer der Maas. Mit Bezug auf die Annäherung an die englische
Armee dachte sich Gneisenau den Sammelpunkt des ganzen preußischen Heeres
bei Sombreffe. 9 Meilen von Lüttich, 2V2 Meilen von Namur, 2V» Meile
von Charleroi, 6 Meilen von Ciney. Die Stellung von Sombreffe-Bry hat
den Lignybach mit Se. Amand und Ligny vor der Front. — Ende Mai
zählte die preußische Armee in Belgien 136 Bataillone, 133 Escadrons und
39 Batterien, im Ganzen 116,000 Mann.

Die englische Armee erreichte in der ersten Junihälfte ihre volle Stärke:
106,000, nach Abzug der Besatzungen 94,000 Mann. Nur der kleinere
Theil bestand aus National - Engländern; die Hauptmasse bildeten die Han¬
noveraner, Braunschweiger, Nassauer. Holländer und Belgier. Von 82.000
Mann Fußvolk waren nur 27.000. von 14.000 Reitern nur 6000 Briten. —
Eingetheilt war die Armee in zwei Corps und die Reserve. Die letztere, unter
Wellington's persönlichem Befehl, stand in und um Brüssel. Die beiden an¬
dern Corps kantonnirten in dem Raum südl. der Dyle von dem rechten
Flügel Gent bis zu dem linken Flügel Quarre Bras, und zwar das I. Corps
unter dem Prinzen von Oranien auf dem linken, das II. Corps unter Lord
Hill auf dem rechten Flügel. — Nach einem Punkte in der Mitte war die
Armee am zweiten Tage zu sammeln, nach dem linken Flügel, d. h. also nach
dem Verbindungspunkte mit den Preußen, erst am dritten Tage. Die
schwächere englische Armee war also nicht so eng concentrirt, wie die stärkere
preußische; Wellington war nicht im Stande, Blücher so schnell zu Hilfe zu
eilen, wie dieser ihm. — Auch englischerseits hat man neuerdings zugegeben,
daß jene Kantonnements zu ausgedehnt waren. Aber der Herzog glaubte
nicht an einen Angriff in den Thälern der Maas oder der Sambre; er er¬
wartete überhaupt keinen Angriff Napoleon's und hielt alle
Meldungen von Truppenbewegungen jenseits der Grenze lediglich für Be¬
weise der ausgedehntesten Defensivmaßregeln des Feindes. Er hatte sich
in diese Anschauung seit Anfang April hineingelebt und hat sie mit der
äußersten Zähigkeit festgehalten bis zum ersten französischen Kanonenschuß.

Wenden wir uns nun zu Napoleon's „großer Armee."

Zu Anfang Juni standen das I. Corps (Drouet d' Erlon) bei Valen-
ciennes, das II. (Rente) bei Avesnes, das III. (Vandamme) bei Rocroy. das IV-
(Gerard) bei Metz, das VI. (Lobau) bei Laon und Arras, die Garden unter
Mortier bei Compiegne und die Reserve-Cavallerie unter dem neu ernannten
Marschall Grouchy bei Laon.

Freiwillig durfte Napoleon die Defensive nicht wählen. Es lag durch¬
aus in seinem Charakter, sich durch die Offensive den nächsten Feind aus¬
zusuchen, zumal dieser von seinen berühmtesten Gegnern, von Blücher und
Wellington, befehligt wurde. Bei ihren viel zu ausgedehnten Kantonnements


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[0452] linken Ufer der Maas. Mit Bezug auf die Annäherung an die englische Armee dachte sich Gneisenau den Sammelpunkt des ganzen preußischen Heeres bei Sombreffe. 9 Meilen von Lüttich, 2V2 Meilen von Namur, 2V» Meile von Charleroi, 6 Meilen von Ciney. Die Stellung von Sombreffe-Bry hat den Lignybach mit Se. Amand und Ligny vor der Front. — Ende Mai zählte die preußische Armee in Belgien 136 Bataillone, 133 Escadrons und 39 Batterien, im Ganzen 116,000 Mann. Die englische Armee erreichte in der ersten Junihälfte ihre volle Stärke: 106,000, nach Abzug der Besatzungen 94,000 Mann. Nur der kleinere Theil bestand aus National - Engländern; die Hauptmasse bildeten die Han¬ noveraner, Braunschweiger, Nassauer. Holländer und Belgier. Von 82.000 Mann Fußvolk waren nur 27.000. von 14.000 Reitern nur 6000 Briten. — Eingetheilt war die Armee in zwei Corps und die Reserve. Die letztere, unter Wellington's persönlichem Befehl, stand in und um Brüssel. Die beiden an¬ dern Corps kantonnirten in dem Raum südl. der Dyle von dem rechten Flügel Gent bis zu dem linken Flügel Quarre Bras, und zwar das I. Corps unter dem Prinzen von Oranien auf dem linken, das II. Corps unter Lord Hill auf dem rechten Flügel. — Nach einem Punkte in der Mitte war die Armee am zweiten Tage zu sammeln, nach dem linken Flügel, d. h. also nach dem Verbindungspunkte mit den Preußen, erst am dritten Tage. Die schwächere englische Armee war also nicht so eng concentrirt, wie die stärkere preußische; Wellington war nicht im Stande, Blücher so schnell zu Hilfe zu eilen, wie dieser ihm. — Auch englischerseits hat man neuerdings zugegeben, daß jene Kantonnements zu ausgedehnt waren. Aber der Herzog glaubte nicht an einen Angriff in den Thälern der Maas oder der Sambre; er er¬ wartete überhaupt keinen Angriff Napoleon's und hielt alle Meldungen von Truppenbewegungen jenseits der Grenze lediglich für Be¬ weise der ausgedehntesten Defensivmaßregeln des Feindes. Er hatte sich in diese Anschauung seit Anfang April hineingelebt und hat sie mit der äußersten Zähigkeit festgehalten bis zum ersten französischen Kanonenschuß. Wenden wir uns nun zu Napoleon's „großer Armee." Zu Anfang Juni standen das I. Corps (Drouet d' Erlon) bei Valen- ciennes, das II. (Rente) bei Avesnes, das III. (Vandamme) bei Rocroy. das IV- (Gerard) bei Metz, das VI. (Lobau) bei Laon und Arras, die Garden unter Mortier bei Compiegne und die Reserve-Cavallerie unter dem neu ernannten Marschall Grouchy bei Laon. Freiwillig durfte Napoleon die Defensive nicht wählen. Es lag durch¬ aus in seinem Charakter, sich durch die Offensive den nächsten Feind aus¬ zusuchen, zumal dieser von seinen berühmtesten Gegnern, von Blücher und Wellington, befehligt wurde. Bei ihren viel zu ausgedehnten Kantonnements

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/452>, abgerufen am 06.02.2025.