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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Vergeblich war aller Widerspruch, den der Plan Schwarzenberg's erfuhr;
vergeblich schrieb Lord Wellington: "Einer Ausdehnung vom Kanal bis zu
den Alpen kann ich durchaus nicht zustimmen, und ich bin überzeugt, daß
dieselbe nicht nur verhängnißvoll werden wird, sondern daß die Truppen
(Oesterreichs) auf dem linken Flügel unserer Front ganz aus der Ope¬
rationsrichtung herausfallen." Vergeblich wies Gneisenau darauf
hin. daß die Muße, welche man Buonaparte lasse, seine Kriegsvorbereitungen
zu treffen, die bevorstehende Campagne von Tag zu Tag zu einem ernsteren
Unternehmen mache; vergebens schrieb Blücher an Schwarzenberg, wie unan¬
genehm ihm die Verzögerung der Operationen bis zum 10. Juni sei, da er
sein Heer durch außerordentliche Anstrengungen bis zum 24. Mai vereinigt
haben werde. Vierzehn Infanterie-Regimenter hätten den Marsch von der
Elbe bis Aachen in 11 Tagen zurückgelegt, und nun sollten sie noch fast einen
Monat lang in der ausgezehrten Gegend mit Gewehr bei Fuß hun¬
gern? -- Vergebens! Schwarzenberg blieb hartnäckig bei seinem einmal auf¬
gestellten Plan.

Und auch damit noch nicht genug! -- Am 3. Mai erlitt Murat bei
Tolentino die entscheidende Niederlage; seine Armee löste sich, wie einst die
des Arragoniers Ferrantin von Neapel, vor dem Anmarsch der Gegner auf;
^ floh am 20, Mai nach Frankreich; die Bourbonen kehrten zurück -- was
hinderte nun noch das rasche Vordringen der österreichischen Armee über den
Rhein? -- Schwarzenberg's Entschluß, den Krieg erst am 2 7. Juni zu er¬
öffnen! -- "Die bisherige Verzögerung der Operationen (so schrieb er
nur c. Juni) erlaubt uns nun, die Ankunft der ganzen russischen Ar-
wee zu erwarten. Der glückliche Ausgang des Krieges gegen Neapel gestattet
uns auch, 100,000 Mann als unsern linken Flügel aus Pie'mont hervor-
^rechen zu lassen. Für Oesterreich ist es ein Bedürfniß, mit dieser Armee
aus Italien in Verbindung zu bleiben und sie in den allgemeinen Operati-
"nsplan hineinzuziehn."

Schwarzenberg stellte jetzt also die österreichischen Interessen den allge¬
meinen unumwunden voran. Er ist unersättlich in seinen Forderungen für
dieselben. -- Was verlangten Blücher und Wellington? Nichts als das
^echt anzugreifen und wenn es sein müsse, sich zu opfern.

Kehren wir nach Belgien zurück.

Anfangs Mai waren die Armeen concentrirt worden. Das I. preußi¬
sche Armee-Corps (Zieten) sammelte sich um Fleurus. das II. (Borstell, später
Kleist) bei Namur; das III. (Thielmann) sollte nach Arion und Bastonge
^°sei. Luxemburg marschieren; das IV- (Bülow) rückte von Coblenz nach Mal-
Medy. Mi^e Mai stand das I. Corps um Charleroi, das II. um
^"Mur, das III. um CIney auf dem rechten, das IV. um Lüttich auf dem


Vergeblich war aller Widerspruch, den der Plan Schwarzenberg's erfuhr;
vergeblich schrieb Lord Wellington: „Einer Ausdehnung vom Kanal bis zu
den Alpen kann ich durchaus nicht zustimmen, und ich bin überzeugt, daß
dieselbe nicht nur verhängnißvoll werden wird, sondern daß die Truppen
(Oesterreichs) auf dem linken Flügel unserer Front ganz aus der Ope¬
rationsrichtung herausfallen." Vergeblich wies Gneisenau darauf
hin. daß die Muße, welche man Buonaparte lasse, seine Kriegsvorbereitungen
zu treffen, die bevorstehende Campagne von Tag zu Tag zu einem ernsteren
Unternehmen mache; vergebens schrieb Blücher an Schwarzenberg, wie unan¬
genehm ihm die Verzögerung der Operationen bis zum 10. Juni sei, da er
sein Heer durch außerordentliche Anstrengungen bis zum 24. Mai vereinigt
haben werde. Vierzehn Infanterie-Regimenter hätten den Marsch von der
Elbe bis Aachen in 11 Tagen zurückgelegt, und nun sollten sie noch fast einen
Monat lang in der ausgezehrten Gegend mit Gewehr bei Fuß hun¬
gern? — Vergebens! Schwarzenberg blieb hartnäckig bei seinem einmal auf¬
gestellten Plan.

Und auch damit noch nicht genug! — Am 3. Mai erlitt Murat bei
Tolentino die entscheidende Niederlage; seine Armee löste sich, wie einst die
des Arragoniers Ferrantin von Neapel, vor dem Anmarsch der Gegner auf;
^ floh am 20, Mai nach Frankreich; die Bourbonen kehrten zurück — was
hinderte nun noch das rasche Vordringen der österreichischen Armee über den
Rhein? — Schwarzenberg's Entschluß, den Krieg erst am 2 7. Juni zu er¬
öffnen! — „Die bisherige Verzögerung der Operationen (so schrieb er
nur c. Juni) erlaubt uns nun, die Ankunft der ganzen russischen Ar-
wee zu erwarten. Der glückliche Ausgang des Krieges gegen Neapel gestattet
uns auch, 100,000 Mann als unsern linken Flügel aus Pie'mont hervor-
^rechen zu lassen. Für Oesterreich ist es ein Bedürfniß, mit dieser Armee
aus Italien in Verbindung zu bleiben und sie in den allgemeinen Operati-
"nsplan hineinzuziehn."

Schwarzenberg stellte jetzt also die österreichischen Interessen den allge¬
meinen unumwunden voran. Er ist unersättlich in seinen Forderungen für
dieselben. — Was verlangten Blücher und Wellington? Nichts als das
^echt anzugreifen und wenn es sein müsse, sich zu opfern.

Kehren wir nach Belgien zurück.

Anfangs Mai waren die Armeen concentrirt worden. Das I. preußi¬
sche Armee-Corps (Zieten) sammelte sich um Fleurus. das II. (Borstell, später
Kleist) bei Namur; das III. (Thielmann) sollte nach Arion und Bastonge
^°sei. Luxemburg marschieren; das IV- (Bülow) rückte von Coblenz nach Mal-
Medy. Mi^e Mai stand das I. Corps um Charleroi, das II. um
^"Mur, das III. um CIney auf dem rechten, das IV. um Lüttich auf dem


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[0451] Vergeblich war aller Widerspruch, den der Plan Schwarzenberg's erfuhr; vergeblich schrieb Lord Wellington: „Einer Ausdehnung vom Kanal bis zu den Alpen kann ich durchaus nicht zustimmen, und ich bin überzeugt, daß dieselbe nicht nur verhängnißvoll werden wird, sondern daß die Truppen (Oesterreichs) auf dem linken Flügel unserer Front ganz aus der Ope¬ rationsrichtung herausfallen." Vergeblich wies Gneisenau darauf hin. daß die Muße, welche man Buonaparte lasse, seine Kriegsvorbereitungen zu treffen, die bevorstehende Campagne von Tag zu Tag zu einem ernsteren Unternehmen mache; vergebens schrieb Blücher an Schwarzenberg, wie unan¬ genehm ihm die Verzögerung der Operationen bis zum 10. Juni sei, da er sein Heer durch außerordentliche Anstrengungen bis zum 24. Mai vereinigt haben werde. Vierzehn Infanterie-Regimenter hätten den Marsch von der Elbe bis Aachen in 11 Tagen zurückgelegt, und nun sollten sie noch fast einen Monat lang in der ausgezehrten Gegend mit Gewehr bei Fuß hun¬ gern? — Vergebens! Schwarzenberg blieb hartnäckig bei seinem einmal auf¬ gestellten Plan. Und auch damit noch nicht genug! — Am 3. Mai erlitt Murat bei Tolentino die entscheidende Niederlage; seine Armee löste sich, wie einst die des Arragoniers Ferrantin von Neapel, vor dem Anmarsch der Gegner auf; ^ floh am 20, Mai nach Frankreich; die Bourbonen kehrten zurück — was hinderte nun noch das rasche Vordringen der österreichischen Armee über den Rhein? — Schwarzenberg's Entschluß, den Krieg erst am 2 7. Juni zu er¬ öffnen! — „Die bisherige Verzögerung der Operationen (so schrieb er nur c. Juni) erlaubt uns nun, die Ankunft der ganzen russischen Ar- wee zu erwarten. Der glückliche Ausgang des Krieges gegen Neapel gestattet uns auch, 100,000 Mann als unsern linken Flügel aus Pie'mont hervor- ^rechen zu lassen. Für Oesterreich ist es ein Bedürfniß, mit dieser Armee aus Italien in Verbindung zu bleiben und sie in den allgemeinen Operati- "nsplan hineinzuziehn." Schwarzenberg stellte jetzt also die österreichischen Interessen den allge¬ meinen unumwunden voran. Er ist unersättlich in seinen Forderungen für dieselben. — Was verlangten Blücher und Wellington? Nichts als das ^echt anzugreifen und wenn es sein müsse, sich zu opfern. Kehren wir nach Belgien zurück. Anfangs Mai waren die Armeen concentrirt worden. Das I. preußi¬ sche Armee-Corps (Zieten) sammelte sich um Fleurus. das II. (Borstell, später Kleist) bei Namur; das III. (Thielmann) sollte nach Arion und Bastonge ^°sei. Luxemburg marschieren; das IV- (Bülow) rückte von Coblenz nach Mal- Medy. Mi^e Mai stand das I. Corps um Charleroi, das II. um ^"Mur, das III. um CIney auf dem rechten, das IV. um Lüttich auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/451>, abgerufen am 06.02.2025.