Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

jedoch nichts an der Thatsache, daß Pannonien. d. i. die breite, fast viereckige
Landschaft, welche im Norden und Osten die gewaltige Donau, im Süden
die Drau, im Westen der Wiener Wald und die Abfälle des oststeirischen
Hügellandes umschließen, das dies ganze, an Ausdehnung etwa Böhmen
gleichkommende Land im 9. Jahrhundert, ehe noch das wilde Reitervolk,
dessen Abkömmlinge es jetzt bewohnen, hereinbrach, von deutschen Colonisten
erfüllt war , weit über die Grenze Nieder - Oesterreichs und des anstoßenden
jetzt noch deutschen Striches hinaus. Es ist gewiß nicht überflüssig, diese
wenig beachtete und kaum noch gewürdigte frühe Germanisirung des südwest¬
lichen Ungarns näher ins Auge zu fassen.

Fast in denselben Sitzen, wie jetzt die Magyaren westlich bis zur Enns
vorgeschoben, hausten seit dem 6. Jahrhundert die mit jenen verwandten
Avaren, ein rohes Nomaden- und Reitervolk wie sie, herrschend über unter¬
worfene slawische Bauern, die ihnen zinsten und Hilfstruppen stellten, sie
selbst verschanzt hinter ihren riesigen "Ringen", deren es neun im ganzen Ge¬
biete gab, von da hervorbrechend zu Raub und Plünderung nach Deutschland,
Italien, Griechenland, und unermeßlichen Raub zusammenhaufend. Erst der
gewaltigste Volksherrscher der Deutschen im Mittelalter, Karl der Große,
der überall seinen Nachfolgern die festen Bahnen vorzeichnete, der vor Allem
der deutschen Bolkskraft die zukunstreiche Richtung nach dem slawischen Osten
gab, zerschlug das Reich der Avaren in fünfjährigem Kriege (791 --79K),
iwang ihre Fürsten zur Unterwerfung und Taufe, trieb den Rest über die
Donau, in die "avarische Wüste", wie die Pußten zwischen Donau und
Theiß von da ab geheißen wurden. Seitdem gehorchte das verödete Land
Westlich der Donau den Franken. Ein deutscher Markgraf gebot in Pannonien.
anderer über die Ostmark, welche das Land zwischen Wiener Wald und
Enns umfaßte; zum ersten Male klang die Sprache des deutschen Herrenvolkes
w diesen Regionen.

Das Land war wenig mehr als eine Wüste, als die Franken Besitz er¬
griffen. Einzelne Städte hatten sich allerdings auch durch die schrecklichen
Völkerstürme, welche gerade die Donaulande durchrasten, behauptet, wie Sa-
baria, das jetzige Steinamanger. und slawische und avarische Ansiedlungen
wogen durch's ganze Land zerstreut gewesen sein. Gewiß war aber die Bevölke¬
rung nur dünn gesät, weite Gebiete standen der Einwanderung offen. Eine
solche ging zunächst von den Slawen aus. unzweifelhaft von den Slowaken,
^e mit den Mährern verwandt sind und noch jetzt merkwürdig rasch sich
verbreiten. Sie wurden bald so zahlreich, daß sie die zurückgebliebenen Avaren
bedrängten; ja um 840 bildete sich im südlichen Pannonien am Plattensee
slawisches Fürstenthum unter deutscher Oberhoheit, dessen Hauptstadt das
heutige Szatavär an der Szala wurde. Noch erinnern einzelne Localnamen


Grenzboten II. 187b. ^

jedoch nichts an der Thatsache, daß Pannonien. d. i. die breite, fast viereckige
Landschaft, welche im Norden und Osten die gewaltige Donau, im Süden
die Drau, im Westen der Wiener Wald und die Abfälle des oststeirischen
Hügellandes umschließen, das dies ganze, an Ausdehnung etwa Böhmen
gleichkommende Land im 9. Jahrhundert, ehe noch das wilde Reitervolk,
dessen Abkömmlinge es jetzt bewohnen, hereinbrach, von deutschen Colonisten
erfüllt war , weit über die Grenze Nieder - Oesterreichs und des anstoßenden
jetzt noch deutschen Striches hinaus. Es ist gewiß nicht überflüssig, diese
wenig beachtete und kaum noch gewürdigte frühe Germanisirung des südwest¬
lichen Ungarns näher ins Auge zu fassen.

Fast in denselben Sitzen, wie jetzt die Magyaren westlich bis zur Enns
vorgeschoben, hausten seit dem 6. Jahrhundert die mit jenen verwandten
Avaren, ein rohes Nomaden- und Reitervolk wie sie, herrschend über unter¬
worfene slawische Bauern, die ihnen zinsten und Hilfstruppen stellten, sie
selbst verschanzt hinter ihren riesigen „Ringen", deren es neun im ganzen Ge¬
biete gab, von da hervorbrechend zu Raub und Plünderung nach Deutschland,
Italien, Griechenland, und unermeßlichen Raub zusammenhaufend. Erst der
gewaltigste Volksherrscher der Deutschen im Mittelalter, Karl der Große,
der überall seinen Nachfolgern die festen Bahnen vorzeichnete, der vor Allem
der deutschen Bolkskraft die zukunstreiche Richtung nach dem slawischen Osten
gab, zerschlug das Reich der Avaren in fünfjährigem Kriege (791 —79K),
iwang ihre Fürsten zur Unterwerfung und Taufe, trieb den Rest über die
Donau, in die „avarische Wüste", wie die Pußten zwischen Donau und
Theiß von da ab geheißen wurden. Seitdem gehorchte das verödete Land
Westlich der Donau den Franken. Ein deutscher Markgraf gebot in Pannonien.
anderer über die Ostmark, welche das Land zwischen Wiener Wald und
Enns umfaßte; zum ersten Male klang die Sprache des deutschen Herrenvolkes
w diesen Regionen.

Das Land war wenig mehr als eine Wüste, als die Franken Besitz er¬
griffen. Einzelne Städte hatten sich allerdings auch durch die schrecklichen
Völkerstürme, welche gerade die Donaulande durchrasten, behauptet, wie Sa-
baria, das jetzige Steinamanger. und slawische und avarische Ansiedlungen
wogen durch's ganze Land zerstreut gewesen sein. Gewiß war aber die Bevölke¬
rung nur dünn gesät, weite Gebiete standen der Einwanderung offen. Eine
solche ging zunächst von den Slawen aus. unzweifelhaft von den Slowaken,
^e mit den Mährern verwandt sind und noch jetzt merkwürdig rasch sich
verbreiten. Sie wurden bald so zahlreich, daß sie die zurückgebliebenen Avaren
bedrängten; ja um 840 bildete sich im südlichen Pannonien am Plattensee
slawisches Fürstenthum unter deutscher Oberhoheit, dessen Hauptstadt das
heutige Szatavär an der Szala wurde. Noch erinnern einzelne Localnamen


Grenzboten II. 187b. ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133717"/>
          <p xml:id="ID_1385" prev="#ID_1384"> jedoch nichts an der Thatsache, daß Pannonien. d. i. die breite, fast viereckige<lb/>
Landschaft, welche im Norden und Osten die gewaltige Donau, im Süden<lb/>
die Drau, im Westen der Wiener Wald und die Abfälle des oststeirischen<lb/>
Hügellandes umschließen, das dies ganze, an Ausdehnung etwa Böhmen<lb/>
gleichkommende Land im 9. Jahrhundert, ehe noch das wilde Reitervolk,<lb/>
dessen Abkömmlinge es jetzt bewohnen, hereinbrach, von deutschen Colonisten<lb/>
erfüllt war , weit über die Grenze Nieder - Oesterreichs und des anstoßenden<lb/>
jetzt noch deutschen Striches hinaus. Es ist gewiß nicht überflüssig, diese<lb/>
wenig beachtete und kaum noch gewürdigte frühe Germanisirung des südwest¬<lb/>
lichen Ungarns näher ins Auge zu fassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1386"> Fast in denselben Sitzen, wie jetzt die Magyaren westlich bis zur Enns<lb/>
vorgeschoben, hausten seit dem 6. Jahrhundert die mit jenen verwandten<lb/>
Avaren, ein rohes Nomaden- und Reitervolk wie sie, herrschend über unter¬<lb/>
worfene slawische Bauern, die ihnen zinsten und Hilfstruppen stellten, sie<lb/>
selbst verschanzt hinter ihren riesigen &#x201E;Ringen", deren es neun im ganzen Ge¬<lb/>
biete gab, von da hervorbrechend zu Raub und Plünderung nach Deutschland,<lb/>
Italien, Griechenland, und unermeßlichen Raub zusammenhaufend. Erst der<lb/>
gewaltigste Volksherrscher der Deutschen im Mittelalter, Karl der Große,<lb/>
der überall seinen Nachfolgern die festen Bahnen vorzeichnete, der vor Allem<lb/>
der deutschen Bolkskraft die zukunstreiche Richtung nach dem slawischen Osten<lb/>
gab, zerschlug das Reich der Avaren in fünfjährigem Kriege (791 &#x2014;79K),<lb/>
iwang ihre Fürsten zur Unterwerfung und Taufe, trieb den Rest über die<lb/>
Donau, in die &#x201E;avarische Wüste", wie die Pußten zwischen Donau und<lb/>
Theiß von da ab geheißen wurden. Seitdem gehorchte das verödete Land<lb/>
Westlich der Donau den Franken. Ein deutscher Markgraf gebot in Pannonien.<lb/>
anderer über die Ostmark, welche das Land zwischen Wiener Wald und<lb/>
Enns umfaßte; zum ersten Male klang die Sprache des deutschen Herrenvolkes<lb/>
w diesen Regionen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1387" next="#ID_1388"> Das Land war wenig mehr als eine Wüste, als die Franken Besitz er¬<lb/>
griffen. Einzelne Städte hatten sich allerdings auch durch die schrecklichen<lb/>
Völkerstürme, welche gerade die Donaulande durchrasten, behauptet, wie Sa-<lb/>
baria, das jetzige Steinamanger. und slawische und avarische Ansiedlungen<lb/>
wogen durch's ganze Land zerstreut gewesen sein. Gewiß war aber die Bevölke¬<lb/>
rung nur dünn gesät, weite Gebiete standen der Einwanderung offen. Eine<lb/>
solche ging zunächst von den Slawen aus. unzweifelhaft von den Slowaken,<lb/>
^e mit den Mährern verwandt sind und noch jetzt merkwürdig rasch sich<lb/>
verbreiten. Sie wurden bald so zahlreich, daß sie die zurückgebliebenen Avaren<lb/>
bedrängten; ja um 840 bildete sich im südlichen Pannonien am Plattensee<lb/>
slawisches Fürstenthum unter deutscher Oberhoheit, dessen Hauptstadt das<lb/>
heutige Szatavär an der Szala wurde.  Noch erinnern einzelne Localnamen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 187b. ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] jedoch nichts an der Thatsache, daß Pannonien. d. i. die breite, fast viereckige Landschaft, welche im Norden und Osten die gewaltige Donau, im Süden die Drau, im Westen der Wiener Wald und die Abfälle des oststeirischen Hügellandes umschließen, das dies ganze, an Ausdehnung etwa Böhmen gleichkommende Land im 9. Jahrhundert, ehe noch das wilde Reitervolk, dessen Abkömmlinge es jetzt bewohnen, hereinbrach, von deutschen Colonisten erfüllt war , weit über die Grenze Nieder - Oesterreichs und des anstoßenden jetzt noch deutschen Striches hinaus. Es ist gewiß nicht überflüssig, diese wenig beachtete und kaum noch gewürdigte frühe Germanisirung des südwest¬ lichen Ungarns näher ins Auge zu fassen. Fast in denselben Sitzen, wie jetzt die Magyaren westlich bis zur Enns vorgeschoben, hausten seit dem 6. Jahrhundert die mit jenen verwandten Avaren, ein rohes Nomaden- und Reitervolk wie sie, herrschend über unter¬ worfene slawische Bauern, die ihnen zinsten und Hilfstruppen stellten, sie selbst verschanzt hinter ihren riesigen „Ringen", deren es neun im ganzen Ge¬ biete gab, von da hervorbrechend zu Raub und Plünderung nach Deutschland, Italien, Griechenland, und unermeßlichen Raub zusammenhaufend. Erst der gewaltigste Volksherrscher der Deutschen im Mittelalter, Karl der Große, der überall seinen Nachfolgern die festen Bahnen vorzeichnete, der vor Allem der deutschen Bolkskraft die zukunstreiche Richtung nach dem slawischen Osten gab, zerschlug das Reich der Avaren in fünfjährigem Kriege (791 —79K), iwang ihre Fürsten zur Unterwerfung und Taufe, trieb den Rest über die Donau, in die „avarische Wüste", wie die Pußten zwischen Donau und Theiß von da ab geheißen wurden. Seitdem gehorchte das verödete Land Westlich der Donau den Franken. Ein deutscher Markgraf gebot in Pannonien. anderer über die Ostmark, welche das Land zwischen Wiener Wald und Enns umfaßte; zum ersten Male klang die Sprache des deutschen Herrenvolkes w diesen Regionen. Das Land war wenig mehr als eine Wüste, als die Franken Besitz er¬ griffen. Einzelne Städte hatten sich allerdings auch durch die schrecklichen Völkerstürme, welche gerade die Donaulande durchrasten, behauptet, wie Sa- baria, das jetzige Steinamanger. und slawische und avarische Ansiedlungen wogen durch's ganze Land zerstreut gewesen sein. Gewiß war aber die Bevölke¬ rung nur dünn gesät, weite Gebiete standen der Einwanderung offen. Eine solche ging zunächst von den Slawen aus. unzweifelhaft von den Slowaken, ^e mit den Mährern verwandt sind und noch jetzt merkwürdig rasch sich verbreiten. Sie wurden bald so zahlreich, daß sie die zurückgebliebenen Avaren bedrängten; ja um 840 bildete sich im südlichen Pannonien am Plattensee slawisches Fürstenthum unter deutscher Oberhoheit, dessen Hauptstadt das heutige Szatavär an der Szala wurde. Noch erinnern einzelne Localnamen Grenzboten II. 187b. ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/429>, abgerufen am 06.02.2025.