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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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Gewaltsamkeit, welche an die schlimmsten Zeiten der Dänenherrschast in
Schleswig erinnert, suchen die Magyaren den Deutschen, Slowaken, Ruthenen,
Walachen ihre Sprache aufzudrängen; das Magyarische soll nach dem Spra¬
chengesetz vom December 1868 herrschen im Parlament und in allen Staats¬
behörden, auch in Gegenden, wo die Magyaren nur dünn gesät sind; was
Magyarisirungszwecken dient, wird gefördert, deutsche Schulen aber entweder
unterdrückt oder in roher Weise zu Grunde gerichtet durch Magyarisirung-
Erscheint jedes gewaltsame Aufdrängen einer fremden Sprache, jeder Sprach¬
zwang in unsern Tagen als eine häßliche Tyrannei, jene Magyaristrungs-
Politik vollends ist eine Sünde wider Natur und Geschichte. Denn der herr¬
schende Stamm bildet in Ungarn nur die Minderheit; von 15 Millionen ge¬
hören ihm nur wenig über S Millionen an; die Deutschen mit den Juden
allein zählen schon gegen 2 Millionen, fast 8 Millionen entfallen auf Slawen
und Walachen. Und diese Stämme sind nur zum Theil den Magyaren
an Cultur nicht gewachsen, Deutsche und Juden behaupten ihnen gegenüber
eine unüberwindliche Ueberlegenheit, in ihren Händen ruhen Handel und Ge¬
werbe ganz ausschließlich, denn die Magyaren sind geblieben, was sie seit
Jahrhunderten gewesen sind, ein Bauern- und Hirtenvolk mit einem zahl¬
reichen, stolzen, herrschgewohnten Adel, ein Volk voll kriegerischen Feuers
und schroffen Nationalstolzes, aber ein Volk ohne höhere Cultur mit einer
Sprache, die ein turanischer Dialekt ist und nie zu einer Cultursprache werden
kann, völlig vereinzelt unter allen Sprachen Europas mit Ausnahme des
Türkischen und des Finnischen, nirgends verstanden außerhalb der Grenzen
Ungarns.

Zu dieser Naturwidrigkeit der magyarischen Nationalitätenpolitik gesellt
sich noch ein anderer Umstand; das ganze Verfahren läuft wider das histo¬
rische Recht. Denn zu keiner Zeit sind die Magyaren allein in dem Lande
gewesen, dessen Herrschaft sie führen; sie sind nie wesentlich über die Tief¬
landschaften an Donau und Theiß hinausgekommen, haben die gebirgigen
Ränder und selbst weite Striche des Flachlandes Deutschen, Slawen und
Rumänen überlassen. Eben ihre besten Könige riefen im 12. und 13. Jahr¬
hundert die Deutschen in die Thäler der Nordkarpathen und die herrlichen
Hügellandschasten Siebenbürgens, die sie jetzt noch inne haben; die Slowaken
aber, welche den ganzen gebirgigen Nordwesten Ungarns erfüllen, waren
früher im Lande als die Magyaren, wurden von ihnen erst aus der Ebene
in's Gebirge zurückgeworfen. Und dasselbe gilt theilweise von den Deutschen-
Freilich, daß die Vorfahren der jetzt in größeren und kleineren'Enclaven das
fruchtbare Hügelland um den Plattensee bewohnenden Deutschen vor
Ankunft der Magyaren sich angesiedelt hätten, das wird sich Schwert^
erweisen lassen und von manchen ist das Gegentheil bekannt. Dies ändert


Gewaltsamkeit, welche an die schlimmsten Zeiten der Dänenherrschast in
Schleswig erinnert, suchen die Magyaren den Deutschen, Slowaken, Ruthenen,
Walachen ihre Sprache aufzudrängen; das Magyarische soll nach dem Spra¬
chengesetz vom December 1868 herrschen im Parlament und in allen Staats¬
behörden, auch in Gegenden, wo die Magyaren nur dünn gesät sind; was
Magyarisirungszwecken dient, wird gefördert, deutsche Schulen aber entweder
unterdrückt oder in roher Weise zu Grunde gerichtet durch Magyarisirung-
Erscheint jedes gewaltsame Aufdrängen einer fremden Sprache, jeder Sprach¬
zwang in unsern Tagen als eine häßliche Tyrannei, jene Magyaristrungs-
Politik vollends ist eine Sünde wider Natur und Geschichte. Denn der herr¬
schende Stamm bildet in Ungarn nur die Minderheit; von 15 Millionen ge¬
hören ihm nur wenig über S Millionen an; die Deutschen mit den Juden
allein zählen schon gegen 2 Millionen, fast 8 Millionen entfallen auf Slawen
und Walachen. Und diese Stämme sind nur zum Theil den Magyaren
an Cultur nicht gewachsen, Deutsche und Juden behaupten ihnen gegenüber
eine unüberwindliche Ueberlegenheit, in ihren Händen ruhen Handel und Ge¬
werbe ganz ausschließlich, denn die Magyaren sind geblieben, was sie seit
Jahrhunderten gewesen sind, ein Bauern- und Hirtenvolk mit einem zahl¬
reichen, stolzen, herrschgewohnten Adel, ein Volk voll kriegerischen Feuers
und schroffen Nationalstolzes, aber ein Volk ohne höhere Cultur mit einer
Sprache, die ein turanischer Dialekt ist und nie zu einer Cultursprache werden
kann, völlig vereinzelt unter allen Sprachen Europas mit Ausnahme des
Türkischen und des Finnischen, nirgends verstanden außerhalb der Grenzen
Ungarns.

Zu dieser Naturwidrigkeit der magyarischen Nationalitätenpolitik gesellt
sich noch ein anderer Umstand; das ganze Verfahren läuft wider das histo¬
rische Recht. Denn zu keiner Zeit sind die Magyaren allein in dem Lande
gewesen, dessen Herrschaft sie führen; sie sind nie wesentlich über die Tief¬
landschaften an Donau und Theiß hinausgekommen, haben die gebirgigen
Ränder und selbst weite Striche des Flachlandes Deutschen, Slawen und
Rumänen überlassen. Eben ihre besten Könige riefen im 12. und 13. Jahr¬
hundert die Deutschen in die Thäler der Nordkarpathen und die herrlichen
Hügellandschasten Siebenbürgens, die sie jetzt noch inne haben; die Slowaken
aber, welche den ganzen gebirgigen Nordwesten Ungarns erfüllen, waren
früher im Lande als die Magyaren, wurden von ihnen erst aus der Ebene
in's Gebirge zurückgeworfen. Und dasselbe gilt theilweise von den Deutschen-
Freilich, daß die Vorfahren der jetzt in größeren und kleineren'Enclaven das
fruchtbare Hügelland um den Plattensee bewohnenden Deutschen vor
Ankunft der Magyaren sich angesiedelt hätten, das wird sich Schwert^
erweisen lassen und von manchen ist das Gegentheil bekannt. Dies ändert


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[0428] Gewaltsamkeit, welche an die schlimmsten Zeiten der Dänenherrschast in Schleswig erinnert, suchen die Magyaren den Deutschen, Slowaken, Ruthenen, Walachen ihre Sprache aufzudrängen; das Magyarische soll nach dem Spra¬ chengesetz vom December 1868 herrschen im Parlament und in allen Staats¬ behörden, auch in Gegenden, wo die Magyaren nur dünn gesät sind; was Magyarisirungszwecken dient, wird gefördert, deutsche Schulen aber entweder unterdrückt oder in roher Weise zu Grunde gerichtet durch Magyarisirung- Erscheint jedes gewaltsame Aufdrängen einer fremden Sprache, jeder Sprach¬ zwang in unsern Tagen als eine häßliche Tyrannei, jene Magyaristrungs- Politik vollends ist eine Sünde wider Natur und Geschichte. Denn der herr¬ schende Stamm bildet in Ungarn nur die Minderheit; von 15 Millionen ge¬ hören ihm nur wenig über S Millionen an; die Deutschen mit den Juden allein zählen schon gegen 2 Millionen, fast 8 Millionen entfallen auf Slawen und Walachen. Und diese Stämme sind nur zum Theil den Magyaren an Cultur nicht gewachsen, Deutsche und Juden behaupten ihnen gegenüber eine unüberwindliche Ueberlegenheit, in ihren Händen ruhen Handel und Ge¬ werbe ganz ausschließlich, denn die Magyaren sind geblieben, was sie seit Jahrhunderten gewesen sind, ein Bauern- und Hirtenvolk mit einem zahl¬ reichen, stolzen, herrschgewohnten Adel, ein Volk voll kriegerischen Feuers und schroffen Nationalstolzes, aber ein Volk ohne höhere Cultur mit einer Sprache, die ein turanischer Dialekt ist und nie zu einer Cultursprache werden kann, völlig vereinzelt unter allen Sprachen Europas mit Ausnahme des Türkischen und des Finnischen, nirgends verstanden außerhalb der Grenzen Ungarns. Zu dieser Naturwidrigkeit der magyarischen Nationalitätenpolitik gesellt sich noch ein anderer Umstand; das ganze Verfahren läuft wider das histo¬ rische Recht. Denn zu keiner Zeit sind die Magyaren allein in dem Lande gewesen, dessen Herrschaft sie führen; sie sind nie wesentlich über die Tief¬ landschaften an Donau und Theiß hinausgekommen, haben die gebirgigen Ränder und selbst weite Striche des Flachlandes Deutschen, Slawen und Rumänen überlassen. Eben ihre besten Könige riefen im 12. und 13. Jahr¬ hundert die Deutschen in die Thäler der Nordkarpathen und die herrlichen Hügellandschasten Siebenbürgens, die sie jetzt noch inne haben; die Slowaken aber, welche den ganzen gebirgigen Nordwesten Ungarns erfüllen, waren früher im Lande als die Magyaren, wurden von ihnen erst aus der Ebene in's Gebirge zurückgeworfen. Und dasselbe gilt theilweise von den Deutschen- Freilich, daß die Vorfahren der jetzt in größeren und kleineren'Enclaven das fruchtbare Hügelland um den Plattensee bewohnenden Deutschen vor Ankunft der Magyaren sich angesiedelt hätten, das wird sich Schwert^ erweisen lassen und von manchen ist das Gegentheil bekannt. Dies ändert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/428>, abgerufen am 05.02.2025.