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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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in Arm mit einem Kammerkätzchen das Beispiel seines Herrn nachzuahmen,
bis eine derbe Strafpredigt des anderen Burschen über die "Eselei" seines
Kameraden auch die beiden alten Officiere wieder zur Vernunft bringt. Na¬
türlich ist das Ende der Geschichte die Verlobung der Nichte mit dem jungen
Lieutenant. Schade nur, daß dieser Schwank in drei Acte auseinander gezo¬
gen ist; in einen, höchstens zwei Aufzüge zusammengedrängt, würde er drei¬
mal wirksamer sein. Die Zusammenziehung wäre um so dringender noth¬
wendig, als die Komik des Stückes ganz vorwiegend in den Situationen liegt;
der Witz des Dialogs ist äußerst mäßig. Das Beste in der Aufführung im
Wallnertheater ist übrigens die Nebenfigur des Kaplans, der, beiläufig be¬
merkt, von dem "Kulturkampf" noch nicht mit dem leisesten Hauch berührt
worden ist, sondern sich noch nach guter alter Sitte am liebsten mit einem
wohlgenährten Kapaun und der entsprechenden Flüssigkeit beschäftigt. Herr
Lebrun hat durch sein unübertreffliches Geberdenspiel aus dieser Figur ein
wahres Cabinetstück geschaffen, dem es vielleicht gelingt, das Ganze auf längere
Dauer zu halten.

Die kleineren Theater haben in letzter Zeit größtentheils von Gastspielen
gelebt. A in vortheilhaftesten zeigte sich dabei das Stadt- und das Residenztheater.
Die erstere dieser beiden Bühnen hat vorzugsweise für die hervorragenderen
Rudera des Wiener Stadttheaters als Asyl gedient. Da die betreffenden
Künstler sämmtlich früher in untergeordneteren Stellungen in Berlin gewesen
waren, so war es von doppeltem Interesse, die Resultate der Laube'schen
Schule zu beobachten. Wozu man es in derselben bringen kann, haben uns
Herr Siegwart Friedmann und Fräulein Kathi Frank gezeigt. Friedmann
ist zwar ein Schüler Dawison's, aber den endgültigen Schliff hat er von
Laube erhalten. Dawison's Einfluß hat, soviel sich hier erkennen ließ, nur
in einer Rolle die ausschließliche Herrschaft behalten: in Richard III. Hier
trägt der Künstler nicht nur Dawison's Costümsondern er copirt von An¬
fang bis zu Ende Vortrag, Haltung und Mimik seines unvergeßlichen
Meisters; aber er copirt nicht mit der Befangenheit eines sklavischen Nachah¬
mers, sondern mit der freien und sicheren Bewegung einer congenialen Natur,
und darum mit bedeutender Wirkung. Von Friedmann's selbständig geschaffenen
Charakteren dürfte am meisten sein Thorane in Gutzkow's "Königslieutenant"
zu loben sein. Er spielt die Rolle mit herzgewinnender Natürlichkeit, frei
von Ziererei, jeder, Zoll ein Edelmann. Daß er die gefährlichste Klippe dieses
Charakters, die übertriebene Sentimentalität, so geschickt vermeidet, ist ohne
Zweifel hauptsächlich dem Laube'schen Realismus zu verdanken- Zu welch
bedenklichen Consequenzen aber dieser Realismus führen kann, zeigte des
Künstlers Karl IX. in Lindner's Bluthochzeit. Lindner's Karl IX. ist aller¬
dings gewißermaßen eine psychiatrische Studie. Friedmann läßt sich aber an


in Arm mit einem Kammerkätzchen das Beispiel seines Herrn nachzuahmen,
bis eine derbe Strafpredigt des anderen Burschen über die „Eselei" seines
Kameraden auch die beiden alten Officiere wieder zur Vernunft bringt. Na¬
türlich ist das Ende der Geschichte die Verlobung der Nichte mit dem jungen
Lieutenant. Schade nur, daß dieser Schwank in drei Acte auseinander gezo¬
gen ist; in einen, höchstens zwei Aufzüge zusammengedrängt, würde er drei¬
mal wirksamer sein. Die Zusammenziehung wäre um so dringender noth¬
wendig, als die Komik des Stückes ganz vorwiegend in den Situationen liegt;
der Witz des Dialogs ist äußerst mäßig. Das Beste in der Aufführung im
Wallnertheater ist übrigens die Nebenfigur des Kaplans, der, beiläufig be¬
merkt, von dem „Kulturkampf" noch nicht mit dem leisesten Hauch berührt
worden ist, sondern sich noch nach guter alter Sitte am liebsten mit einem
wohlgenährten Kapaun und der entsprechenden Flüssigkeit beschäftigt. Herr
Lebrun hat durch sein unübertreffliches Geberdenspiel aus dieser Figur ein
wahres Cabinetstück geschaffen, dem es vielleicht gelingt, das Ganze auf längere
Dauer zu halten.

Die kleineren Theater haben in letzter Zeit größtentheils von Gastspielen
gelebt. A in vortheilhaftesten zeigte sich dabei das Stadt- und das Residenztheater.
Die erstere dieser beiden Bühnen hat vorzugsweise für die hervorragenderen
Rudera des Wiener Stadttheaters als Asyl gedient. Da die betreffenden
Künstler sämmtlich früher in untergeordneteren Stellungen in Berlin gewesen
waren, so war es von doppeltem Interesse, die Resultate der Laube'schen
Schule zu beobachten. Wozu man es in derselben bringen kann, haben uns
Herr Siegwart Friedmann und Fräulein Kathi Frank gezeigt. Friedmann
ist zwar ein Schüler Dawison's, aber den endgültigen Schliff hat er von
Laube erhalten. Dawison's Einfluß hat, soviel sich hier erkennen ließ, nur
in einer Rolle die ausschließliche Herrschaft behalten: in Richard III. Hier
trägt der Künstler nicht nur Dawison's Costümsondern er copirt von An¬
fang bis zu Ende Vortrag, Haltung und Mimik seines unvergeßlichen
Meisters; aber er copirt nicht mit der Befangenheit eines sklavischen Nachah¬
mers, sondern mit der freien und sicheren Bewegung einer congenialen Natur,
und darum mit bedeutender Wirkung. Von Friedmann's selbständig geschaffenen
Charakteren dürfte am meisten sein Thorane in Gutzkow's „Königslieutenant"
zu loben sein. Er spielt die Rolle mit herzgewinnender Natürlichkeit, frei
von Ziererei, jeder, Zoll ein Edelmann. Daß er die gefährlichste Klippe dieses
Charakters, die übertriebene Sentimentalität, so geschickt vermeidet, ist ohne
Zweifel hauptsächlich dem Laube'schen Realismus zu verdanken- Zu welch
bedenklichen Consequenzen aber dieser Realismus führen kann, zeigte des
Künstlers Karl IX. in Lindner's Bluthochzeit. Lindner's Karl IX. ist aller¬
dings gewißermaßen eine psychiatrische Studie. Friedmann läßt sich aber an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/36>, abgerufen am 06.02.2025.