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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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der Veranschaulichung derselben nicht genügen, er beschenkt uns auch noch mit
einer pathologischen Studie, indem er uns einen von periodischen Hustenan¬
fällen gequälten, mit herben Schmerzen kämpfenden Brustkranker vorführt.
Die Leistung wird mit virtuoser Naturwahrheit durchgeführt, aber ganz ab¬
gesehen von der Frage, ob eine derartige Darstellung sich noch innerhalb der
Grenzen des ästhetisch Zulässigen hält, ist dieselbe auch gar nicht durchführbar.
Im ersten Act hat der Zuschauer den Eindruck, als ob dem unglücklichen
König jeden Augenblick der Odem ausgehen könne und im dritten Act, in der
Bartholomäusnacht, sieht er ihn rasen wie einen Löwen. Um das Publikum
auf diese Disharmonie vorzubereiten, sollte wenigstens gleich auf dem Zettel
angezeigt sein, daß Se. Majestät im ersten Akt an einem heftigen Katarrh
erkrankt sind, nachher aber unerwartet schnell wieder zu Kräften kommen.
Im Uebrigen wird die schwierige Rolle von Friedmann durchaus genial ge¬
faßt , nur thut er leicht eine kleine Nuance zuviel. Es mag das an seiner
Vorliebe für das Gräßliche liegen. Daß er diese Vorliebe besitzt, scheint mir
daraus hervorzugehen, daß er sich uns, nachdem er in theilweise klassischen
Rollen die besten Erfolge erzielt, noch in dem Anzengruber'schen "Trauerspiel"
"Hand und Herz" präsentirte. Es ist dies ein schweizerisches Bauerndrama,
aufgebaut mit dem ganzen raffinirten Apparat der Pariser Ehebruchstragödie,
nur noch um hundert Procent entsetzlicher -- kurz, das gräßlichste Stück, das
man sich denken kann. Der Charakter des Helden zumal, des moralisch und
physisch ganz versunkenen Görg Friedner ist beispiellos abstoßend, und man
weiß wirklich nicht, soll man mehr das Genie bewundern, mit welchem der
Künstler dieser Figur ein furchtbar wahres Leben einhauchte, oder die Todes¬
verachtung, mit welcher er sich, indem er diese Rolle in sein Repertoir auf¬
nahm, über die Mahnungen des guten Geschmacks hinwegsetzte. -- Mehr
übrigens, als Friedmann, verdankt Fräulein Kathi Frank der Laube'schen
Schule. Als sie das hiesige Victoriatheater verließ, wußte man wohl, daß sie
eine schöne Erscheinung sei; daß sie aber das Zeug zu einer bedeutenden
Tragödin habe, mögen nur Wenige geahnt haben. Heute sehen wir sie wie¬
der als das demnächstige Mitglied des Wiener Hofburgtheaters. Wie sie jetzt
vor uns steht, ist sie die Verkörperung des Laube'schen Prinzips: vortreffliche
Klarheit des Vortrags, Correctheit und Deutlichkeit des Spiels, aber überall
eine gewisse realistische Härte und Nüchternheit, eine fast grausame Abstreifung
des Idealen. Am auffallendsten tritt dies in der Rolle der Maria Stuart
zu Tage. Durchaus am Platze war dagegen die Künstlerin als Leonore in
Feuillee's "Dalila". Da übrigens Fräulein Frank ihr Gastspiel noch fortsetzt,
so kommen wir wohl auf ihre Leistungen zurück.

Einen alten Liebling begrüßte das Berliner Publikum im Residenztheater:
Frau Antonie Janisch. Sie gehörte früher dem Wallnertheater an, später


Gienzlwlcn II. I87S. ^ S

der Veranschaulichung derselben nicht genügen, er beschenkt uns auch noch mit
einer pathologischen Studie, indem er uns einen von periodischen Hustenan¬
fällen gequälten, mit herben Schmerzen kämpfenden Brustkranker vorführt.
Die Leistung wird mit virtuoser Naturwahrheit durchgeführt, aber ganz ab¬
gesehen von der Frage, ob eine derartige Darstellung sich noch innerhalb der
Grenzen des ästhetisch Zulässigen hält, ist dieselbe auch gar nicht durchführbar.
Im ersten Act hat der Zuschauer den Eindruck, als ob dem unglücklichen
König jeden Augenblick der Odem ausgehen könne und im dritten Act, in der
Bartholomäusnacht, sieht er ihn rasen wie einen Löwen. Um das Publikum
auf diese Disharmonie vorzubereiten, sollte wenigstens gleich auf dem Zettel
angezeigt sein, daß Se. Majestät im ersten Akt an einem heftigen Katarrh
erkrankt sind, nachher aber unerwartet schnell wieder zu Kräften kommen.
Im Uebrigen wird die schwierige Rolle von Friedmann durchaus genial ge¬
faßt , nur thut er leicht eine kleine Nuance zuviel. Es mag das an seiner
Vorliebe für das Gräßliche liegen. Daß er diese Vorliebe besitzt, scheint mir
daraus hervorzugehen, daß er sich uns, nachdem er in theilweise klassischen
Rollen die besten Erfolge erzielt, noch in dem Anzengruber'schen „Trauerspiel"
„Hand und Herz" präsentirte. Es ist dies ein schweizerisches Bauerndrama,
aufgebaut mit dem ganzen raffinirten Apparat der Pariser Ehebruchstragödie,
nur noch um hundert Procent entsetzlicher — kurz, das gräßlichste Stück, das
man sich denken kann. Der Charakter des Helden zumal, des moralisch und
physisch ganz versunkenen Görg Friedner ist beispiellos abstoßend, und man
weiß wirklich nicht, soll man mehr das Genie bewundern, mit welchem der
Künstler dieser Figur ein furchtbar wahres Leben einhauchte, oder die Todes¬
verachtung, mit welcher er sich, indem er diese Rolle in sein Repertoir auf¬
nahm, über die Mahnungen des guten Geschmacks hinwegsetzte. — Mehr
übrigens, als Friedmann, verdankt Fräulein Kathi Frank der Laube'schen
Schule. Als sie das hiesige Victoriatheater verließ, wußte man wohl, daß sie
eine schöne Erscheinung sei; daß sie aber das Zeug zu einer bedeutenden
Tragödin habe, mögen nur Wenige geahnt haben. Heute sehen wir sie wie¬
der als das demnächstige Mitglied des Wiener Hofburgtheaters. Wie sie jetzt
vor uns steht, ist sie die Verkörperung des Laube'schen Prinzips: vortreffliche
Klarheit des Vortrags, Correctheit und Deutlichkeit des Spiels, aber überall
eine gewisse realistische Härte und Nüchternheit, eine fast grausame Abstreifung
des Idealen. Am auffallendsten tritt dies in der Rolle der Maria Stuart
zu Tage. Durchaus am Platze war dagegen die Künstlerin als Leonore in
Feuillee's „Dalila". Da übrigens Fräulein Frank ihr Gastspiel noch fortsetzt,
so kommen wir wohl auf ihre Leistungen zurück.

Einen alten Liebling begrüßte das Berliner Publikum im Residenztheater:
Frau Antonie Janisch. Sie gehörte früher dem Wallnertheater an, später


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[0037] der Veranschaulichung derselben nicht genügen, er beschenkt uns auch noch mit einer pathologischen Studie, indem er uns einen von periodischen Hustenan¬ fällen gequälten, mit herben Schmerzen kämpfenden Brustkranker vorführt. Die Leistung wird mit virtuoser Naturwahrheit durchgeführt, aber ganz ab¬ gesehen von der Frage, ob eine derartige Darstellung sich noch innerhalb der Grenzen des ästhetisch Zulässigen hält, ist dieselbe auch gar nicht durchführbar. Im ersten Act hat der Zuschauer den Eindruck, als ob dem unglücklichen König jeden Augenblick der Odem ausgehen könne und im dritten Act, in der Bartholomäusnacht, sieht er ihn rasen wie einen Löwen. Um das Publikum auf diese Disharmonie vorzubereiten, sollte wenigstens gleich auf dem Zettel angezeigt sein, daß Se. Majestät im ersten Akt an einem heftigen Katarrh erkrankt sind, nachher aber unerwartet schnell wieder zu Kräften kommen. Im Uebrigen wird die schwierige Rolle von Friedmann durchaus genial ge¬ faßt , nur thut er leicht eine kleine Nuance zuviel. Es mag das an seiner Vorliebe für das Gräßliche liegen. Daß er diese Vorliebe besitzt, scheint mir daraus hervorzugehen, daß er sich uns, nachdem er in theilweise klassischen Rollen die besten Erfolge erzielt, noch in dem Anzengruber'schen „Trauerspiel" „Hand und Herz" präsentirte. Es ist dies ein schweizerisches Bauerndrama, aufgebaut mit dem ganzen raffinirten Apparat der Pariser Ehebruchstragödie, nur noch um hundert Procent entsetzlicher — kurz, das gräßlichste Stück, das man sich denken kann. Der Charakter des Helden zumal, des moralisch und physisch ganz versunkenen Görg Friedner ist beispiellos abstoßend, und man weiß wirklich nicht, soll man mehr das Genie bewundern, mit welchem der Künstler dieser Figur ein furchtbar wahres Leben einhauchte, oder die Todes¬ verachtung, mit welcher er sich, indem er diese Rolle in sein Repertoir auf¬ nahm, über die Mahnungen des guten Geschmacks hinwegsetzte. — Mehr übrigens, als Friedmann, verdankt Fräulein Kathi Frank der Laube'schen Schule. Als sie das hiesige Victoriatheater verließ, wußte man wohl, daß sie eine schöne Erscheinung sei; daß sie aber das Zeug zu einer bedeutenden Tragödin habe, mögen nur Wenige geahnt haben. Heute sehen wir sie wie¬ der als das demnächstige Mitglied des Wiener Hofburgtheaters. Wie sie jetzt vor uns steht, ist sie die Verkörperung des Laube'schen Prinzips: vortreffliche Klarheit des Vortrags, Correctheit und Deutlichkeit des Spiels, aber überall eine gewisse realistische Härte und Nüchternheit, eine fast grausame Abstreifung des Idealen. Am auffallendsten tritt dies in der Rolle der Maria Stuart zu Tage. Durchaus am Platze war dagegen die Künstlerin als Leonore in Feuillee's „Dalila". Da übrigens Fräulein Frank ihr Gastspiel noch fortsetzt, so kommen wir wohl auf ihre Leistungen zurück. Einen alten Liebling begrüßte das Berliner Publikum im Residenztheater: Frau Antonie Janisch. Sie gehörte früher dem Wallnertheater an, später Gienzlwlcn II. I87S. ^ S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/37>, abgerufen am 06.02.2025.