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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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mit ansehen, ist die, daß er sich inmitten einer hochadligen Gesellschaft, eine
gegen ihn angesponnene Intrigue durchkreuzend, mit einer unbedeutenden
Schauspielerin verlobt, eine Handlung, die unter gleichen Umständen von
jedem rechtschaffenen Manne erwartet werden muß. Auch daß seine Worte
das Gepräge eines außerordentlichen Geistes trügen, kann nicht behauptet
werden. So ist denn der Held in dem Bürger'schen Stück ohne Zweifel am
schlechtesten weggekommen. Ungleich besser ist die Charakteristik seines poli¬
tischen Gegners, des gewaltigen Generalproeurators Lord Thurlow gelungen.
Er, seine Nichte Harriet, der Schotte Maegone und die Schauspielerin Lucy
Lenley sind Figuren von Fleisch und Blut, mit individuellem Leben, die
übrigen "Modelle" sind mehr oder weniger Schatten. Ueberhaupt entbehrt
man während der ganzen Vorstellung das Gefühl der Unmittelbarkeit -, es ist,
als sähe man diese Menschen und was sie treiben durch einen Schleier. Und
vor Allem: das Stück ist durchaus nicht, um diesen abgedroschenen aber zu¬
treffenden Ausdruck zu gebrauchen, auf der Höhe der Situation. Nach des
Dichters unverkennbarer Absicht sollen die großen Gegensätze, welche während
des amerikanischen Freiheitskrieges das politische Leben Englands beherrschten,
das Grundcolorit seines Schauspiels bilden. Die Verwirklichung dieser Ab¬
sicht aber ist gänzlich fehlgeschlagen. Dagegen darf rückhaltlos zugestanden
werden, daß der technische Bau des Stückes ein außergewöhnliches Geschick
bekundet. Alles in Allem ist der "durchschlagende Erfolg", welchen Bürger's
"Modelle" davongetragen haben, zwar abermals ein Beweis der bescheidenen
Anforderungen des heutigen Theaterpublikums, immerhin aber wird hier doch
etwas ungleich Reelleres, Befriedigenderes geboten, als in gewissen anderen
auf der königl. Bühne recipirten "Schau"- und "Lust"-spielen, an denen
eigentlich nur die Anmaßung zu bewundern ist, mit welcher sie auf den Markt
gebracht werden. Hugo Bürger ist noch jung; man wird von seinem unbe¬
streitbaren Talent noch bessere Früchte erwarten dürfen.

Eine andere dramatische Neuigkeit hat' in der letzten Woche das Wallner¬
theater zum Besten gegeben, einen Schwank, betitelt: "Der Lieutenant und
nicht der Oberst" von Louis von Saville. Die Idee des Stückes ist nicht
übel: Ein Oberst, ein Major, und ein Lieutenant von demselben Husaren-
Regiment, alle Drei Junggesellen, widmen sich nach glücklich überstandenem
Feldzuge auf dem Gute des Obersten in Gesellschaft des Dorfkaplans dem
Jagdvergnügen. Da kommen dem Oberst urplötzlich seine drei Schwestern auf
den Hals, und zwar mit dem Project, ihn mit der jugendlichen Tochter der
Einen, also mit seiner Nichte, zu verheirathen. Anfangs wird der Plan mit
Hohnlachen zurückgewiesen, allmählich aber wird der Alte warm, dem Major
passirt in einem töte-5,-töte mit der einen unverheirateten Schwester
des Obersten ein Gleiches und ein alter Bursch des Obersten beeilt sich, Arm


mit ansehen, ist die, daß er sich inmitten einer hochadligen Gesellschaft, eine
gegen ihn angesponnene Intrigue durchkreuzend, mit einer unbedeutenden
Schauspielerin verlobt, eine Handlung, die unter gleichen Umständen von
jedem rechtschaffenen Manne erwartet werden muß. Auch daß seine Worte
das Gepräge eines außerordentlichen Geistes trügen, kann nicht behauptet
werden. So ist denn der Held in dem Bürger'schen Stück ohne Zweifel am
schlechtesten weggekommen. Ungleich besser ist die Charakteristik seines poli¬
tischen Gegners, des gewaltigen Generalproeurators Lord Thurlow gelungen.
Er, seine Nichte Harriet, der Schotte Maegone und die Schauspielerin Lucy
Lenley sind Figuren von Fleisch und Blut, mit individuellem Leben, die
übrigen „Modelle" sind mehr oder weniger Schatten. Ueberhaupt entbehrt
man während der ganzen Vorstellung das Gefühl der Unmittelbarkeit -, es ist,
als sähe man diese Menschen und was sie treiben durch einen Schleier. Und
vor Allem: das Stück ist durchaus nicht, um diesen abgedroschenen aber zu¬
treffenden Ausdruck zu gebrauchen, auf der Höhe der Situation. Nach des
Dichters unverkennbarer Absicht sollen die großen Gegensätze, welche während
des amerikanischen Freiheitskrieges das politische Leben Englands beherrschten,
das Grundcolorit seines Schauspiels bilden. Die Verwirklichung dieser Ab¬
sicht aber ist gänzlich fehlgeschlagen. Dagegen darf rückhaltlos zugestanden
werden, daß der technische Bau des Stückes ein außergewöhnliches Geschick
bekundet. Alles in Allem ist der „durchschlagende Erfolg", welchen Bürger's
„Modelle" davongetragen haben, zwar abermals ein Beweis der bescheidenen
Anforderungen des heutigen Theaterpublikums, immerhin aber wird hier doch
etwas ungleich Reelleres, Befriedigenderes geboten, als in gewissen anderen
auf der königl. Bühne recipirten „Schau"- und „Lust"-spielen, an denen
eigentlich nur die Anmaßung zu bewundern ist, mit welcher sie auf den Markt
gebracht werden. Hugo Bürger ist noch jung; man wird von seinem unbe¬
streitbaren Talent noch bessere Früchte erwarten dürfen.

Eine andere dramatische Neuigkeit hat' in der letzten Woche das Wallner¬
theater zum Besten gegeben, einen Schwank, betitelt: „Der Lieutenant und
nicht der Oberst" von Louis von Saville. Die Idee des Stückes ist nicht
übel: Ein Oberst, ein Major, und ein Lieutenant von demselben Husaren-
Regiment, alle Drei Junggesellen, widmen sich nach glücklich überstandenem
Feldzuge auf dem Gute des Obersten in Gesellschaft des Dorfkaplans dem
Jagdvergnügen. Da kommen dem Oberst urplötzlich seine drei Schwestern auf
den Hals, und zwar mit dem Project, ihn mit der jugendlichen Tochter der
Einen, also mit seiner Nichte, zu verheirathen. Anfangs wird der Plan mit
Hohnlachen zurückgewiesen, allmählich aber wird der Alte warm, dem Major
passirt in einem töte-5,-töte mit der einen unverheirateten Schwester
des Obersten ein Gleiches und ein alter Bursch des Obersten beeilt sich, Arm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/35>, abgerufen am 06.02.2025.