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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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wird über die finsteren Mächte, die unser junges Reich zu untergraben, zu
vernichten trachten.

Indeß, nicht um den düsteren Ernst der Weltlage auszumalen, hab' ich
die Feder angesetzt. Vielmehr ist auch heute meine Absicht, den Leser eine
Weile spazieren zu führen in der Well des schönen Scheins, in welche der
Bewohner der Kaiserstadt sich nach vollbrachtem Tagewerk aus der Prosa der
Wirklichkeit so gern zu flüchten pflegt. Eine maßlose Fülle gab es zu plau-
dern, wollt ich Alles genau registriren, was unsere zwanzigfache Bühnenwelt
uns in den letzten Wochen an Altem und Neuem, an Gutem und Schlechtem
geboten. Beobachten wir also weise Selbstbeschränkung!

Die italienische Oper, von deren Debüt ich neulich berichtet, gehört be¬
reits der Vergangenheit. Glanzpunkte hat ihr kurzes Leben nicht aufzuweisen.
Außer dem Ehepaar Padilla sind nur mittelmäßige, ja kaum an dieses
Maß heranreichende Kräfte zum Vorschein gekommen. Das Schicksal dieses
Unternehmens wird nun wohl den Gedanken, in Berlin eine italienische Oper
zu installiren, auf längere Zeit, wenn nicht auf immer aus der Welt geschafft
haben. In der That, wie soll ein Publikum, das in der einheimischen Oper
fast-durchweg an Künstler ersten Ranges gewöhnt ist, wirkliche und anhat--
tende Theilnahme für eine Gesellschaft empfinden können, deren große Mehr¬
heit sich aus Unbedeutendheiten zusammensetzt? Ein Ensemble aus lauter
hervorragenden Kräften aber aus dem Lande der Sonne nach dem kalten
Norden zu locken, dazu fehlt es in der Hauptstadt des sparsamen Hohenzollern
reiches an dem erforderlichen Metall.

Das Schauspielhaus hat in der letzten Woche wieder eine Novität ge¬
bracht: "Die Modelle des Sheridan," Schauspiel in 4 Akten von Hugo Bürger
-- ein Versuch, ganz ähnlich, w^e ihn Gutzkow bei seinem "Urbild des Tar-
tüffe" gemacht, die Gesellschaft zu zeichnen, welcher der berühmte englische
Lustspieldichter und Parlamentsredner die Typen seiner "Lasterschule" ent¬
nommen hat. Ueber die Berechtigung dieser eigenthümlichen Art von Bühnen¬
dichtung mögen sich die Theoretiker streiten; es steht fest, daß jenes Gutz-
kow'sche Stück ein Drama von großer Wirksamkeit ist. Und, wenn man sich
auf die dem Bürger'schen Schauspiel gewordene Aufnahme verlassen will, so wird
man von demselben etwas Aehnliches behaupten müssen; freilich, ohne dafür
die durchschlagenden Gründe auffinden zu können. Abgesehen davon, daß bei
Gutzkow die Fabel unendlich inhaltsreicher, mannichfaltiger und spannender
ist, läßt sich die Behandlung, die in den beiden Stücken dem Helden wieder¬
fahren ist, gar nicht mit einander vergleichen. Gutzkow's Moliere handelt
vor unseren Augen, wir erleben es selbst, wie er den vergiftenden Auswuchs
der Gesellschaft besiegt und vernichtet. Bürger's Sheridan erzählt nur, was
er thun wird oder gethan hat; die einzige Handlung, welche wir unmittelbar


wird über die finsteren Mächte, die unser junges Reich zu untergraben, zu
vernichten trachten.

Indeß, nicht um den düsteren Ernst der Weltlage auszumalen, hab' ich
die Feder angesetzt. Vielmehr ist auch heute meine Absicht, den Leser eine
Weile spazieren zu führen in der Well des schönen Scheins, in welche der
Bewohner der Kaiserstadt sich nach vollbrachtem Tagewerk aus der Prosa der
Wirklichkeit so gern zu flüchten pflegt. Eine maßlose Fülle gab es zu plau-
dern, wollt ich Alles genau registriren, was unsere zwanzigfache Bühnenwelt
uns in den letzten Wochen an Altem und Neuem, an Gutem und Schlechtem
geboten. Beobachten wir also weise Selbstbeschränkung!

Die italienische Oper, von deren Debüt ich neulich berichtet, gehört be¬
reits der Vergangenheit. Glanzpunkte hat ihr kurzes Leben nicht aufzuweisen.
Außer dem Ehepaar Padilla sind nur mittelmäßige, ja kaum an dieses
Maß heranreichende Kräfte zum Vorschein gekommen. Das Schicksal dieses
Unternehmens wird nun wohl den Gedanken, in Berlin eine italienische Oper
zu installiren, auf längere Zeit, wenn nicht auf immer aus der Welt geschafft
haben. In der That, wie soll ein Publikum, das in der einheimischen Oper
fast-durchweg an Künstler ersten Ranges gewöhnt ist, wirkliche und anhat--
tende Theilnahme für eine Gesellschaft empfinden können, deren große Mehr¬
heit sich aus Unbedeutendheiten zusammensetzt? Ein Ensemble aus lauter
hervorragenden Kräften aber aus dem Lande der Sonne nach dem kalten
Norden zu locken, dazu fehlt es in der Hauptstadt des sparsamen Hohenzollern
reiches an dem erforderlichen Metall.

Das Schauspielhaus hat in der letzten Woche wieder eine Novität ge¬
bracht: „Die Modelle des Sheridan," Schauspiel in 4 Akten von Hugo Bürger
— ein Versuch, ganz ähnlich, w^e ihn Gutzkow bei seinem „Urbild des Tar-
tüffe" gemacht, die Gesellschaft zu zeichnen, welcher der berühmte englische
Lustspieldichter und Parlamentsredner die Typen seiner „Lasterschule" ent¬
nommen hat. Ueber die Berechtigung dieser eigenthümlichen Art von Bühnen¬
dichtung mögen sich die Theoretiker streiten; es steht fest, daß jenes Gutz-
kow'sche Stück ein Drama von großer Wirksamkeit ist. Und, wenn man sich
auf die dem Bürger'schen Schauspiel gewordene Aufnahme verlassen will, so wird
man von demselben etwas Aehnliches behaupten müssen; freilich, ohne dafür
die durchschlagenden Gründe auffinden zu können. Abgesehen davon, daß bei
Gutzkow die Fabel unendlich inhaltsreicher, mannichfaltiger und spannender
ist, läßt sich die Behandlung, die in den beiden Stücken dem Helden wieder¬
fahren ist, gar nicht mit einander vergleichen. Gutzkow's Moliere handelt
vor unseren Augen, wir erleben es selbst, wie er den vergiftenden Auswuchs
der Gesellschaft besiegt und vernichtet. Bürger's Sheridan erzählt nur, was
er thun wird oder gethan hat; die einzige Handlung, welche wir unmittelbar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/34>, abgerufen am 05.02.2025.