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Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.

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einem langsam wirkenden Gifte -- gestorben sei, eilte der Mohr dorthin, um
sich die herzogliche Würde "aufnöthigen" zu lassen.

Charles hatte auf den Rath Lodovico's, welcher es nicht wünschte, daß
der König sich Mailand nähere, statt des Weges durch die Romagna den
durch Toscana gewählt und erreichte in rascheren Märschen als bisher Sar-
zana, den Schlüssel Toscanas. Hier traf er auf den ersten Widerstand.
Ein solcher konnte verhängnißvoll für ihn werden; denn sein Heer hatte weder
Magazine, noch Lebensmittel, noch Geld; eine lange Vertheidigung Sarzanas
konnte Alles verderben. Mit unerhörten Anstrengungen wurden daher die
größesten Geschütze, welche man besaß, auf die Felsen hinausgeschafft, die den
Platz umgaben und beherrschten, und von hier aus wurde die Stadt durch
ein furchtbares Feuer niedergeschmettert. Bald sah sich die Garnison genöthigt,
zu capituliren; die Apenninenstraße war frei, und ungehindert konnte der König
Pontremoli erreichen, wo sich die zu Genua eingeschiffte Artillerie und die
früher hierher vorausgesandten Schweizer wieder mit der Hauptmasse der
Armee vereinigten, während der Herzog von Orleans mit einem kleinen Corps
in Asti blieb *), um den schon jetzt zweideutig erscheinenden Herzog Lodovico
zu überwachen und auf alle Fälle die Rückzugsstraße zu sichern. Die fran¬
zösische Flotte fuhr längs der Westküste Italiens hin, um das Heer mit Mann¬
schaft und Munition versorgen zu können.

So war denn der ursprüngliche Plan der Franzosen wirklich gelungen;
und doch hätte noch im Herbste einiger Muth und etwas kriegerische Ent¬
schlossenheit genügt, um das Heer Charles' VIII. auszuhalten, als es die
schwierigen, durch Festungen geschützten Apenninenpässe von Sarzcma, Sarzam-
blo und Pietra-Santa zu durchschreiten hatte, um in das toscanische Land
einzudringen; der Widerstand Sarzanas, durch ein. auch nur kleines Heer un¬
terstützt, würde die gewagte Combination einer Vereinigung der rechten Flü¬
gel-Armee mit dem Hauptheer wahrscheinlich vereitelt haben; hier konnte eine
geringe Macht weltgeschichtliche Erfolge erringen! -- aber von dem Geiste,
der die Spartaner an den Thermopylen oder die Schweizer am Morgarten er¬
füllte, war bei den Florentinern der üppigen Medicäerzeit keine Spur vorhan¬
den. Pietro de' Medici erschien>ielmehr in des Königs Lager und willigte
uicht nur in die Uebergabe der Apenninenfestungen, sondern gestattete auch
bis zur Beendigung des neapolitanischen Krieges die Besetzung von Pisa und
Livorno durch französische Truppen, sodaß dem Landheere Charles' die Ver¬
bindung mit der Flotte gesichert war. Seine politische Schwäche kostete den
Medici die Führerschaft von Florenz; unter Savonarola's Einfluß kam es zu
einer leidenschaftlichen Volksbewegung, die mit Zerstörung des Medizäer-Pa-



') Desrcy und Onccllcmus

einem langsam wirkenden Gifte — gestorben sei, eilte der Mohr dorthin, um
sich die herzogliche Würde „aufnöthigen" zu lassen.

Charles hatte auf den Rath Lodovico's, welcher es nicht wünschte, daß
der König sich Mailand nähere, statt des Weges durch die Romagna den
durch Toscana gewählt und erreichte in rascheren Märschen als bisher Sar-
zana, den Schlüssel Toscanas. Hier traf er auf den ersten Widerstand.
Ein solcher konnte verhängnißvoll für ihn werden; denn sein Heer hatte weder
Magazine, noch Lebensmittel, noch Geld; eine lange Vertheidigung Sarzanas
konnte Alles verderben. Mit unerhörten Anstrengungen wurden daher die
größesten Geschütze, welche man besaß, auf die Felsen hinausgeschafft, die den
Platz umgaben und beherrschten, und von hier aus wurde die Stadt durch
ein furchtbares Feuer niedergeschmettert. Bald sah sich die Garnison genöthigt,
zu capituliren; die Apenninenstraße war frei, und ungehindert konnte der König
Pontremoli erreichen, wo sich die zu Genua eingeschiffte Artillerie und die
früher hierher vorausgesandten Schweizer wieder mit der Hauptmasse der
Armee vereinigten, während der Herzog von Orleans mit einem kleinen Corps
in Asti blieb *), um den schon jetzt zweideutig erscheinenden Herzog Lodovico
zu überwachen und auf alle Fälle die Rückzugsstraße zu sichern. Die fran¬
zösische Flotte fuhr längs der Westküste Italiens hin, um das Heer mit Mann¬
schaft und Munition versorgen zu können.

So war denn der ursprüngliche Plan der Franzosen wirklich gelungen;
und doch hätte noch im Herbste einiger Muth und etwas kriegerische Ent¬
schlossenheit genügt, um das Heer Charles' VIII. auszuhalten, als es die
schwierigen, durch Festungen geschützten Apenninenpässe von Sarzcma, Sarzam-
blo und Pietra-Santa zu durchschreiten hatte, um in das toscanische Land
einzudringen; der Widerstand Sarzanas, durch ein. auch nur kleines Heer un¬
terstützt, würde die gewagte Combination einer Vereinigung der rechten Flü¬
gel-Armee mit dem Hauptheer wahrscheinlich vereitelt haben; hier konnte eine
geringe Macht weltgeschichtliche Erfolge erringen! — aber von dem Geiste,
der die Spartaner an den Thermopylen oder die Schweizer am Morgarten er¬
füllte, war bei den Florentinern der üppigen Medicäerzeit keine Spur vorhan¬
den. Pietro de' Medici erschien>ielmehr in des Königs Lager und willigte
uicht nur in die Uebergabe der Apenninenfestungen, sondern gestattete auch
bis zur Beendigung des neapolitanischen Krieges die Besetzung von Pisa und
Livorno durch französische Truppen, sodaß dem Landheere Charles' die Ver¬
bindung mit der Flotte gesichert war. Seine politische Schwäche kostete den
Medici die Führerschaft von Florenz; unter Savonarola's Einfluß kam es zu
einer leidenschaftlichen Volksbewegung, die mit Zerstörung des Medizäer-Pa-



') Desrcy und Onccllcmus
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[0339] einem langsam wirkenden Gifte — gestorben sei, eilte der Mohr dorthin, um sich die herzogliche Würde „aufnöthigen" zu lassen. Charles hatte auf den Rath Lodovico's, welcher es nicht wünschte, daß der König sich Mailand nähere, statt des Weges durch die Romagna den durch Toscana gewählt und erreichte in rascheren Märschen als bisher Sar- zana, den Schlüssel Toscanas. Hier traf er auf den ersten Widerstand. Ein solcher konnte verhängnißvoll für ihn werden; denn sein Heer hatte weder Magazine, noch Lebensmittel, noch Geld; eine lange Vertheidigung Sarzanas konnte Alles verderben. Mit unerhörten Anstrengungen wurden daher die größesten Geschütze, welche man besaß, auf die Felsen hinausgeschafft, die den Platz umgaben und beherrschten, und von hier aus wurde die Stadt durch ein furchtbares Feuer niedergeschmettert. Bald sah sich die Garnison genöthigt, zu capituliren; die Apenninenstraße war frei, und ungehindert konnte der König Pontremoli erreichen, wo sich die zu Genua eingeschiffte Artillerie und die früher hierher vorausgesandten Schweizer wieder mit der Hauptmasse der Armee vereinigten, während der Herzog von Orleans mit einem kleinen Corps in Asti blieb *), um den schon jetzt zweideutig erscheinenden Herzog Lodovico zu überwachen und auf alle Fälle die Rückzugsstraße zu sichern. Die fran¬ zösische Flotte fuhr längs der Westküste Italiens hin, um das Heer mit Mann¬ schaft und Munition versorgen zu können. So war denn der ursprüngliche Plan der Franzosen wirklich gelungen; und doch hätte noch im Herbste einiger Muth und etwas kriegerische Ent¬ schlossenheit genügt, um das Heer Charles' VIII. auszuhalten, als es die schwierigen, durch Festungen geschützten Apenninenpässe von Sarzcma, Sarzam- blo und Pietra-Santa zu durchschreiten hatte, um in das toscanische Land einzudringen; der Widerstand Sarzanas, durch ein. auch nur kleines Heer un¬ terstützt, würde die gewagte Combination einer Vereinigung der rechten Flü¬ gel-Armee mit dem Hauptheer wahrscheinlich vereitelt haben; hier konnte eine geringe Macht weltgeschichtliche Erfolge erringen! — aber von dem Geiste, der die Spartaner an den Thermopylen oder die Schweizer am Morgarten er¬ füllte, war bei den Florentinern der üppigen Medicäerzeit keine Spur vorhan¬ den. Pietro de' Medici erschien>ielmehr in des Königs Lager und willigte uicht nur in die Uebergabe der Apenninenfestungen, sondern gestattete auch bis zur Beendigung des neapolitanischen Krieges die Besetzung von Pisa und Livorno durch französische Truppen, sodaß dem Landheere Charles' die Ver¬ bindung mit der Flotte gesichert war. Seine politische Schwäche kostete den Medici die Führerschaft von Florenz; unter Savonarola's Einfluß kam es zu einer leidenschaftlichen Volksbewegung, die mit Zerstörung des Medizäer-Pa- ') Desrcy und Onccllcmus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341821_134976/339>, abgerufen am 06.02.2025.