Die Grenzboten. Jg. 34, 1875, I. Semester. II. Band.unter Anderm zwei Beispiele erlebt, die so charakteristisch sind, daß ich sie Der Offizier kam die Stufen des Hotels herab und indem er dem kleinen unter Anderm zwei Beispiele erlebt, die so charakteristisch sind, daß ich sie Der Offizier kam die Stufen des Hotels herab und indem er dem kleinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/133608"/> <p xml:id="ID_1004" prev="#ID_1003"> unter Anderm zwei Beispiele erlebt, die so charakteristisch sind, daß ich sie<lb/> den Lesern der Grenzboten glaube mittheilen zu dürfen. Als im Herbst<lb/> 1864 der Rebellionskrieg im Süden noch blutig wüthete, stand ein höherer<lb/> Offizier der V. Se.-Armee auf den Stufen des Astor House am Broadway<lb/> in New Uork und sah in Gedanken vertieft in den dämmernden Abendhimmel<lb/> hinaus. Ich ging gerade vorüber. Da wurde er und ich plötzlich aus<lb/> unseren Gedanken aufgeschreckt durch eine helle Kinderstimme, welche rief:<lb/> „Große Schlacht am Potomac, 20000 Todte, die Boys in Blue" (B. Staaten-<lb/> Truppen) geschlagen, die letzten Kriegsnachrichten!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1005"> Der Offizier kam die Stufen des Hotels herab und indem er dem kleinen<lb/> seine S Ces. für ein Blatt gab, fragte er: „Nun, mein Junge, wo soll denn<lb/> die Schlacht gewesen sein?" — „Sie können's natürlich nicht wissen," war die<lb/> rasche Erwiderung, „wenn Sie hier im Astor House sind, statt vor der Front,<lb/> wo Sie hingehören!" Eine Schlacht aber war überhaupt nicht geschlagen<lb/> worden. — Ein ander Mal hatte Horace Greeley, der Gründer und Redacteur<lb/> der N. U. Tribune und spätere Präsidentschafts-Candidat, in Kingston<lb/> (N. U-) eine Rede gehalten, bei Gelegenheit einer Staatswahl-Campagne.<lb/> Mich führte ein Geschäft in derselben Gegend den folgenden Morgen nach<lb/> New-Uork. Der Zufall wollte es, daß nicht nur Greeley denselben Zug,<lb/> wie ich benutzte, sondern ich kam in denselben Wagen mit ihm, gerade hinter den<lb/> alten originellen Mann zu sitzen-, den jedes Kind an seinem stereotyp grauen<lb/> Rock, seinem hellgrauen Hut und seinen sonstigen Einzelnheiten kannte.<lb/> In Ponghkeepsie am Hudson war die erste Gelegenheit gegeben, Morgen^<lb/> zeitungen zu erlangen. Als wir hielten, stürzte sofort ein Zeitungsjunge in<lb/> unsern Oar, musterte rasch die Reisenden und verweilte einen Moment länger<lb/> bei Prüfung meines Bormannes, dann rief er mit gellender Stimme: „Große<lb/> Rede Horace Greeley's in Kingston! Ungeheure Rede!" — Greeley winkte.<lb/> Der Junge kam langsam durch den vollen Wagen heran, rechts und links<lb/> Zeitungen verlaufend. Endlich wurde auch Herr Greeley bedacht, — dann<lb/> verschwand der Junge schleunigst. Greeley durchflog sein Blatt, zuerst die<lb/> erste Seite, wo die Depeschen stehen, dann die zweite, dritte, vierte, — er suchte<lb/> jedenfalls den Bericht seiner „ungeheuren" Rede! Aus einmal stöhnte der<lb/> Alte vernehmlich: „Der verdammte Junge hat mir eine gestrige Zeitung auf¬<lb/> gehängt!" — Wir alle anderen hatten die heutige. Zu was es mitunter<lb/> solche kleine Zeitungs-Verkäufer bringen können, beweist gerade derselbe Horace<lb/> Greeley, der früher selbst ein solcher kleiner armer Zeitungs-Junge war, sich<lb/> mit dem Verdienst seines sauren Fleißes selbst bildete, und der Begründer<lb/> wurde des Blattes, das seit Jahren, wenn nicht als reichstes und größtes<lb/> Blatt, doch als das bedeutendste, anständigste und beste Tagesblatt in<lb/> Amerika bekannt wurde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
unter Anderm zwei Beispiele erlebt, die so charakteristisch sind, daß ich sie
den Lesern der Grenzboten glaube mittheilen zu dürfen. Als im Herbst
1864 der Rebellionskrieg im Süden noch blutig wüthete, stand ein höherer
Offizier der V. Se.-Armee auf den Stufen des Astor House am Broadway
in New Uork und sah in Gedanken vertieft in den dämmernden Abendhimmel
hinaus. Ich ging gerade vorüber. Da wurde er und ich plötzlich aus
unseren Gedanken aufgeschreckt durch eine helle Kinderstimme, welche rief:
„Große Schlacht am Potomac, 20000 Todte, die Boys in Blue" (B. Staaten-
Truppen) geschlagen, die letzten Kriegsnachrichten!"
Der Offizier kam die Stufen des Hotels herab und indem er dem kleinen
seine S Ces. für ein Blatt gab, fragte er: „Nun, mein Junge, wo soll denn
die Schlacht gewesen sein?" — „Sie können's natürlich nicht wissen," war die
rasche Erwiderung, „wenn Sie hier im Astor House sind, statt vor der Front,
wo Sie hingehören!" Eine Schlacht aber war überhaupt nicht geschlagen
worden. — Ein ander Mal hatte Horace Greeley, der Gründer und Redacteur
der N. U. Tribune und spätere Präsidentschafts-Candidat, in Kingston
(N. U-) eine Rede gehalten, bei Gelegenheit einer Staatswahl-Campagne.
Mich führte ein Geschäft in derselben Gegend den folgenden Morgen nach
New-Uork. Der Zufall wollte es, daß nicht nur Greeley denselben Zug,
wie ich benutzte, sondern ich kam in denselben Wagen mit ihm, gerade hinter den
alten originellen Mann zu sitzen-, den jedes Kind an seinem stereotyp grauen
Rock, seinem hellgrauen Hut und seinen sonstigen Einzelnheiten kannte.
In Ponghkeepsie am Hudson war die erste Gelegenheit gegeben, Morgen^
zeitungen zu erlangen. Als wir hielten, stürzte sofort ein Zeitungsjunge in
unsern Oar, musterte rasch die Reisenden und verweilte einen Moment länger
bei Prüfung meines Bormannes, dann rief er mit gellender Stimme: „Große
Rede Horace Greeley's in Kingston! Ungeheure Rede!" — Greeley winkte.
Der Junge kam langsam durch den vollen Wagen heran, rechts und links
Zeitungen verlaufend. Endlich wurde auch Herr Greeley bedacht, — dann
verschwand der Junge schleunigst. Greeley durchflog sein Blatt, zuerst die
erste Seite, wo die Depeschen stehen, dann die zweite, dritte, vierte, — er suchte
jedenfalls den Bericht seiner „ungeheuren" Rede! Aus einmal stöhnte der
Alte vernehmlich: „Der verdammte Junge hat mir eine gestrige Zeitung auf¬
gehängt!" — Wir alle anderen hatten die heutige. Zu was es mitunter
solche kleine Zeitungs-Verkäufer bringen können, beweist gerade derselbe Horace
Greeley, der früher selbst ein solcher kleiner armer Zeitungs-Junge war, sich
mit dem Verdienst seines sauren Fleißes selbst bildete, und der Begründer
wurde des Blattes, das seit Jahren, wenn nicht als reichstes und größtes
Blatt, doch als das bedeutendste, anständigste und beste Tagesblatt in
Amerika bekannt wurde.
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